Ein Beitrag von Daniel Kirch, Investment-Manager beim Seedfonds Aachen.

Berlin, Hamburg und München – diese Städte fallen einem zuerst als deutsche Startup-Zentren ein. Sie sind recht groß, modern, und ziehen Massen junger Talente an. In Nordrhein-Westfalen denkt man da eher an Düsseldorf und die Medienstadt Köln. Weniger prominent auf dem Hipster-Radar, dafür hochtechnologisch innovativ, ist Aachen.

Innovativ aber (noch) nicht „startupisiert“

So paradox es klingen mag: Aachen ist innovativ, aber nicht „startupisiert“. Dieser scheinbare Gegensatz liegt in der Entwicklung der Aachener Szene begründet. Die führende technische Hochschule und die verschiedenen akademischen Forschungsinstitute entwickeln mit den größten Drittmitteln Deutschlands innovative Produkte und Prozesse für volkswirtschaftlich bedeutende Industrien. Außerdem liefern sie trainierten Nachwuchs für den Mittelstand und Konzerne.

Bei den Offiziellen der Stadt und der Uni existiert gar die Vision eines europäischen Stanfords. Zurzeit entsteht in Aachen einer der größten Forschungscampus Europas: Auf 800.000 Quadratmetern sollen rund 120 Unternehmen in sechs Clustern forschen und entwickeln, unter anderem in den Trendbranchen Biomedizintechnik und nachhaltige Energie. Doch der Vergleich mit der amerikanischen Spitzenuni scheitert bei der Verzahnung von Industrie und Startups. Der offizielle Fokus liegt eben nicht auf Entrepreneurship (schon die hohen Mieten auf dem Campus wären viel zu hoch für Startups).

Im Schatten der technologischen Industrie hat sich in den vergangenen Jahren eine lebendige Entrepreneurship-Kultur entwickelt – allerdings unterscheidet sie sich von der in Köln oder Berlin und bleibt deswegen etwas außerhalb der Wahrnehmung.

Zu dieser Kultur beigetragen haben unter anderem öffentliche Förderprogramme und regelmäßige Startup-Wettbewerbe und Coaching-Events von Handelskammer (AC²) sowie Universität. Ein Beispiel hierfür ist der im Mai eröffnete erste universitäre IT-Inkubator Deutschlands.

Aachen, die High-Tech-Schmiede

Während sich zwar einige erfolgreiche Internet- und E-Commerce-Startups in Aachen entwickeln konnten – beispielsweise der „Plus-Size-Fashion“-Händler Navabi, der Verkehrsmittelvergleich FromAtoB* und der Lifescience-Händler Antikoerper-online* – findet sich nach wie vor ein starker Footprint auf dem Gebiet der High-Tech- und Hardware-Startups. Die richten sich häufig an einen B2B-Markt und werden in der breiten Masse gar nicht bekannt: Die jungen Firmen entwickeln Produkte in der Biotechnologie, Medizintechnik, Elektrotechnik, im Maschinenbau oder industrieller SaaS. Diese Ausrichtung auf Hochtechnologie für institutionelle Kunden anstatt Web und Media für B2C ist der Hauptunterschied von Aachen zu anderen Startup-Citys.

High-Tech-Startups brauchen viel Kapital

Startups benötigen in der Regel mehr als nur einen Co-Working-Platz mit MacBook, Club Mate und Networking, um gedeihen zu können. Gerade High-Tech-Startups zeichnen sich durch einen hohen Kapitalbedarf für die technische Produktentwicklung bis zur Zertifizierung und Marktzulassung sowie Abhängigkeiten von externen Regularien und Gesetzmäßigkeiten aus. Und bringen dadurch ein hohes unternehmerisches Risiko mit sich.

Deswegen benötigen High-Tech-Startups ein entsprechendes Ökosystem, welches in Aachen nach und nach aufgebaut wurde – und weiter ausgebaut werden sollte. Zwei Beispiele hierfür sind die Unterstützungen der Aachener Gesellschaft für Innovation und Technologietransfer (Agit) und die Exist-Förderung (Gründerstipendium und Forschungstransfer) durch das Gründerzentrum der RWTH. Beide greifen hiesigen High-Tech-Startups bei typischen Startschwierigkeiten unter die Arme, denn dem hohen Risiko stehen große Chancen gegenüber.

Das unterstreicht die Statistik der Agit, die noch nie so viele technologisch geprägte Gründungen registriert hat wie 2014. 70 Prozent davon waren Spin-Offs der RWTH Aachen. Die Auslastung der Inkubator-Arbeitsplätze bei den Zentren der Agit lag im vergangenen Jahr bei 99 Prozent.

Eigener Platz in der Startup-Landschaft

Aachen soll und kann keine andere Startup-Stadt der Republik imitieren. Es wird seinen eigenen Platz finden, der von innovativer High-Tech mit Schwerpunkt B2B-Geschäft geprägt sein wird. Dafür muss die Förderung der Entrepreneurship-Kultur von allen Beteiligten weiter forciert werden. Startups dürfen nicht mehr als Wettbewerb zu universitärer Forschung und als sekundärer Karriereweg angesehen werden, sondern müssen Bestandteil von Academia, Industrie und Politik werden. Hierfür sind noch einige Meter zu gehen, aber die Aachener sind auf einem guten Weg.

*Disclaimer: Der Seedfonds Aachen, bei dem der Autor als Investment-Manager arbeitet, ist bei FromAtoB und Antikoerper-online investiert.

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