Blick ins Programm von Astro TV: Chakren-Kerzen und das Salomo-Kartendeck im Angebot

Es waren harte Vorwürfe, die ARD-Reporter Reinhold Beckmann vor kurzem in seiner Sendung erhob: Der Sender Astro TV und das dahinter stehende Berliner Unternehmen Adviqo schlugen „aus Not und Leichtgläubigkeit Kapital“. Labile Menschen in Krisensituationen würden von den Beratern des Esoterik-Konzerns systematisch ausgenommen. Bei Beckmann wollte sich das Unternehmen dazu nicht äußern. Gründerszene hat mit dem Adviqo-Vorstand erstmals über die Vorwürfe sprechen können, zudem über die strategischen Herausforderungen, vor denen das Unternehmen steht – und über die vielfältigen Verbindungen Adviqos in die deutsche Startup- und VC-Szene.

Neu ist die Kritik an Astro TV nicht. Die Beckmann-Sendung schlug allerdings Wellen, weil sich kurz zuvor ein Aktivist der Guerilla-Gruppe Peng in eine Live-Sendung geschleust und vor laufender Kamera den Entzug der Sendelizenz gefordert hatte. Bei der Medienanstalt Berlin-Brandenburg läuft seither ein Prüfverfahren.

Immer wieder gibt es Berichte über Kunden, die sich an den Berater-Hotlines des Unternehmens in den Ruin telefonieren. Zum Abzocke-Verdacht kommt: Das Geschäft mit der sogenannten Lebensberatung ist vielen im Grundsatz suspekt. Kein Wunder. Bei Astro TV tun Sterndeuter, Kartenleger oder Schamanen Dienst. Sabine Sahlmann zum Beispiel „berät ihre Kunden auf Deutsch und Englisch und lässt ihnen bei Bedarf auch universelle Energien mittels Fern-Reiki zukommen“. Bei Questico, dem wichtigsten Onlineportal von Adviqo, sind Berater gelistet, die sich als „hellwissendes und hellsehendes Engelmedium“ verstehen oder als „geschulter Lichtpionier der Neuen Zeit“. Berater Hassan Gast hilft Ratsuchenden, „ihre Schwingungsfrequenz auf allen Ebenen zu erheben“.

Umsätze mit dem „Life Coaching“ machen neben den Beratern vor allem Adviqo, ein laut Beckmann „öffentlichkeitscheues wirtschaftliches Imperium“. Was tatsächlich kaum bekannt ist: Wie eng das Unternehmen mit der VC- und Startupszene verflochten ist.

Der Wooga-COO verteidigt Adviqo

Seit der Gründung 1999 gehört mit Wellington Partners einer der renommiertesten Risikokapitalgeber des Landes zu den Investoren des Unternehmen. In ein Vorgängerunternehmen von Adviqo hatten einst auch die Samwer-Brüder investiert. Und im Adviqo-Aufsichtsrat sitzt heute mit Wooga-COO und Hitflip-Gründer Jan Miczaika ein prominenter und respektierter Kopf der Startupwelt.

Gründerszene hat sowohl bei Miczaika als auch beim VC Wellington Partners angefragt, ob aus der Beckmann-Berichterstattung Konsequenzen zu ziehen seien – etwa ein Rückzug aus dem Gesellschafterkreis (Wellington Partners) oder die Niederlegung des Aufsichtsmandats (Miczaika). Wellington Partners hat auf die Anfrage nicht reagiert, schreibt auf seiner Website aber: Adviqo sei eine „große Erfolgsgeschichte“, weswegen der VC immer „standhafte Unterstützung“ geleistet habe.

Jan Miczaika COO Wooga
Jan Miczaika COO Wooga Jan Miczaika, Wooga-COO und Hitflip-Gründer

Miczaika aber war zum Gespräch bereit und machte deutlich: Einen Grund für einen Rückzug sieht er nicht, die Kritik hält er für überzogen. Die Beratung über die Plattformen von Adviqo geschehe „vertraulich und anonym, es geht nicht in Richtung Medizin oder Recht, explizit wird die Verwendung von Magie ausgeschlossen“, so Miczaika. Es gebe „einen Beratungskodex und andauernde Supervisionen“.

Gründerszene konnte auch mit dem Adviqo-Vorstand sprechen, der bislang öffentlich keine Stellung zu den Vorwürfen genommen hatte. Einige Fragen der Beckmann-Redaktion seien „extrem tendenziös“ gewesen, begründet Adviqo-CFO Klaus Lechner sein Schweigen. Er habe daher gesagt: „Nein, ich mache da nicht mit, weil ich nicht glaube, dass das der Klarstellung unseres Geschäftsmodells dient.“ Vor allem, weil die Journalisten nicht verstanden hätten, „wie verschwindend klein der Anteil unseres Fernsehgeschäfts ist“.

Vom Experten-Portal zum Esoterik-Riesen

Um das nachzuvollziehen, hilft ein Blick in die Geschichte und den heutigen Aufbau von Adviqo. Gegründet wird das Unternehmen 1999 von einem Team um den ehemaligen Procter & Gamble-Manager Sylvius Bardt. Gemeinsam mit dem Ex-BCG-Mann Dieter Kohl, dem Investmentbanker Bryan Leppi und dem Softwareentwickler Ulrich Kohl, der zuvor für Sun und SAP tätig war, baut Bardt ein Expertenportal auf. Questico, so heißt die Seite, vermittelt Fachleute für alles Mögliche: Karriere, Finanzen, Recht – selbst Haustiere. Doch das Geschäft läuft nicht rund. Mit der Ausnahme eines Bereichs: Spiritualität, Astrologie, „Lebenshilfe“. Von 2002 an fokussiert sich das Portal nur noch auf diese Themen.

Mit dem Pivot wird Questico zu einem der schnellstwachsenden Startups des Landes. 2004 wird der TV-Sender Astro TV gegründet, es folgen Ableger in Großbritannien, Polen und Ungarn. 2010 wird der Konkurrent Viversum übernommen, zu dessen Investoren seit 2007auch der European Founders Fund der Samwer-Brüder gehörte. Im gleichen Jahr wechselt Firmengründer Sylvius Bardt in den Aufsichtsrat. Seit 2012 heißt das Unternehmen Adviqo, seit 2013 führen Klaus Lechner und CTO Tim Weickert, früher Technikchef beim Gamingunternehmen Bigpoint, die Geschäfte.

Heute gibt es Niederlassungen in sieben europäischen Ländern mit insgesamt 350 Mitarbeitern, über 14.000 aktive Berater stehen 3,5 Millionen registrierten Kunden zur Verfügung. Adviqo setzt nach eigenen Angaben über 93 Millionen Euro im Jahr um (der letzte im Bundesanzeiger ausgewiesene Umsatzerlös für 2013 lag bei knapp 87 Millionen Euro, 2012 waren es noch 92 Millionen). Unter dem Adviqo-Dach gibt insgesamt neun Marken: Portale wie Tarot.de oder Horoskop.de, die Beratermarktplätze Viversum und Questico – und eben Astro TV.

Vorstand Lechner verteidigt das Programm: „Der Anteil des Fernsehgeschäfts am Gesamtvolumen der Adviqo AG ist gering.“ 2013 wurden drei Millionen Euro mit Astro TV umgesetzt (und fast 57 Millionen über Beratungsleistungen). Der Sender dient stattdessen als eine Art Appetizer. „Astro TV ist für uns eher ein Marketing-Tool um zu zeigen, wie Anrufe bei Lebensberatern funktionieren. Astro TV ist eine Unterhaltungsmarke – quasi die Bild-Zeitung für diesen Bereich.“

Telefonberatung für bis zu 4,50 Euro – pro Minute

Das Ziel: die Nutzer in Richtung von Beratermarktplätzen wie Questico zu bewegen. Die sind nämlich deutlich lukrativer als das Fernsehformat. Bei Astro TV werden pro Call-in 50 Cent fällig. Damit kann der Sender gerade so kostendeckend arbeiten, erklärt Lechner. Bei Questico zahlen Anrufer aus dem Festnetz für die erste Telefonberatung nichts – doch Folgeanrufe können sehr teuer werden. Je nach Berater kosten die Telefonate zwischen 1,99 und 4,50 Euro – pro Minute.

Wer da einmal angefixt und regelrecht süchtig nach spiritueller Beratung wird, den kann die Questico-Beratung in den Ruin treiben. Dass die Gefahr besteht, das bestätigen Experten. Der Suchttherapeut Christoph Teich sagt der Zeitung Christ & Welt, die Sucht entstehe „durch die Unmittelbarkeit des Angebots“. Und: „Ein Antidepressivum wirkt erst nach zwei Wochen. Eine Hotline oder den Sender aber kann ich anrufen, wann ich will.“ Gerade Menschen in Krisensituation drohten in ein psychisches Abhängigkeitsverhältnis zu geraten, glaubt die Sektenexpertin Anja Gollan. Bei Beckmann sagt sie: „Das heißt, dass wichtige Lebensentscheidungen nicht mehr selber getroffen werden, sondern komplett dem Berater übergeben werden.“

„Unsere Zielgruppe sind schwerpunktmäßig Frauen, die Gesprächsbedarf haben, meistens, weil sie gerade einen Bruch in ihrem Leben erleben“, gibt Adviqo-Vorstand Klaus Lechner zu. Gründerszene hat mit Lechner über weitere Kritikpunkte an seinem Unternehmen gesprochen.

  • Mit dem zu Astro TV gehörigen Shop mache Adviqo Umsatz mit quasi wertlosen „Produkten wie Energiesteinen, magischen Kugelschreibern und Wächterkugeln“, wird bei Beckmann kritisiert. Der Shop sei schon 2014 geschlossen worden, erwidert Lechner, „weil dort schon eher kritisch eingestufte Produkte vertreten waren“.
  • Wie seriös sind Beratungen auf Grundlage von Fern-Reiki, von Lichtpionieren oder Engelsmedien? „Themen wie Astrologie und Tarot sind eigentlich eher Gesprächskatalysatoren, die den Einstieg in eine Konversation erleichtern. Man unterhält sich zu Beginn über das Horoskop und kommt dann später auf Beziehungs-, Berufs- oder Finanzthemen, also der Lebensberatung.“
  • Was befähigt, was qualifiziert die Questico-Berater für die sogenannte Lebensberatung? „Jeder kann sich auf unseren Marktplätzen darstellen. Ob ein Berater qualifiziert ist, überprüfen wir regelmäßig, etwa anhand von Zertifikaten. Aber natürlich ist das schwer nachzuweisen. Zwar ist Astrologie ja durchaus eine Wissenschaft, es gibt Akademien, aber am Ende ist es am Kunden zu entscheiden, ob er ein Angebot annimmt.“
  • Wie stellt man so etwas wie Qualitätsmanagement sicher? „Klar ist: Wer groben Unfug behauptet, den lassen wir nicht weiter bei uns tätig sein. Dazu gehören schwarze Magie oder das Versprechen auf Partnerrückführung. Das widerspricht unserem Kodex, an den sich alle Berater halten müssen. Allerdings wissen wir nicht, was Berater im Gespräch erzählen, wir können und wollen nicht mithören. Der Ratsuchende kann sich absolut auf Vertraulichkeit verlassen! Wenn sich allerdings ein Kunde beschwert, dann gehen wir dem sofort nach. Wir machen zum Beispiel Mystery Calls. Das kommt schon öfter vor.“

Die Herausforderungen: Mobile und die Jungen

Lieber spricht Lechner aber über die strategischen Herausforderungen für Adviqo. Mit gut 15 Jahren ist das Unternehmen in Deutschland fast ein Internet-Dino, Trends und Marktbewegungen gehen an Adviqo nicht vorbei. Statt wie zu Beginn vor allem über Call-Center laufen heute „60 bis 70 Prozent des Geschäfts über unsere Online-Plattformen“, sagt Lechner. Jetzt gehe es darum, eine jüngere Zielgruppe für die Lebensberatung zu gewinnen. „Das geht in Richtung Chat und Messaging. Wir testen zum Beispiel gerade eine neue Mobile-App in Kanada und Irland.“ Jüngere Nutzer, sagt Lechner hätten „weniger Interesse an Telefongesprächen. Die wollen chatten oder hätten gerne ein Video.“ Adviqo erweitert die Produktpalette um Webinare und Konferenzplattformen.

Um solche Trends zu verstehen und besser auf die Bedürfnisse junger Kunden einzugehen, wurde auch Wooga-Mann Jan Miczaika als Aufseher geholt, vom Firmengründer und heutigen Aufsichtsratschef Sylvius Bardt. Miczaika erklärt: „Was mich an Adviqo gereizt hat, war, dass das Unternehmen viel Marketing auf traditionellen Kanälen wie TV und Print macht, die ich nicht so gut kenne. Auf der anderen Seite gibt es die Herausforderung, mobile erfolgreich zu sein. Da kann ich helfen.“

Bild: Screenshot Astro TV