Amazon-Fresh

Amazon Fresh gibt es zwar noch gar nicht in Deutschland. Dass sich die hiesigen Lebensmittelhändler trotzdem vor dem US-Riesen fürchten müssen, ist allerdings kein lauwarmes Geplänkel. Eine aktuelle Untersuchung, die Gründerszene vorliegt, zeigt, wie Amazon in den Markt prescht. Denn schon jetzt nimmt der Online-Händler den Berechnungen der Unternehmensberatung Oliver Wyman zufolge auf das Jahr hochgerechnet 40 bis 50 Millionen Euro an Umsatz weg – allein in München und lediglich über Prime Now, das sich eigentlich gar nicht auf Lebensmittel fokussiert.

Das ist jedoch nur ein winziger Teil. Sechs bis acht Milliarden Euro könnten vom stationären Handel zu den Online-Lieferdiensten abwandern, habe die Studie ermittelt. Fehlen den durchschnittlichen Warenkörben nur ein bis drei Euro pro Kauf, heißt es in der Untersuchung, operieren viele Filialen nicht mehr positiv. Der Analyse zufolge könnten rund 15 Prozent der Supermärkte – 1.500 bis 1.700 in absoluten Zahlen – bald Verluste machen, wenn diese Prognose tatsächlich eintritt. Etwa 40.000 Arbeitsplätze stünden im stationären Handel damit auf der Kippe.

Es zeigt sich derzeit also ein skurriles Bild im deutschen Lebensmittelgeschäft. Auf der einen Seite verhandeln Rewe und Edeka mit Tengelmann heftig um die einzelnen Filialen von Kaiser’s, weil bei geringen Margen jeder Kunde zählt. Auf der anderen Seite ist es längst kein Geheimnis mehr, wie online-affin die Kunden mittlerweile sind. Gerade zitiert das Handelsblatt eine Lidl-Umfrage, nach der mehr als die Hälfte der Kunden das Einkaufen im Internet zumindest einmal ausprobieren möchten.

Vor diesem Hintergrund hilft es auch wenig, dass mittlerweile jede Supermarktkette, die etwas auf sich hält, einen eigenen Lieferdienst betreibt. Rund drei Dutzend gibt es davon in Deutschland. Vor Kurzem erst hatte das zur schwäbischen Schwarz-Gruppe gehörende Kaufland seinen eigenen Dienst in Berlin gestartet, nun wird dieser schon von der Hauptstadt nach Hamburg ausgeweitet. Das Angebot setzt, wie die meisten anderen auch, auf eine eigene Lieferflotte.

Während das Online-Angebot von Kaufland dabei über eine komplett eigenständige Logistik verfügt, setzen andere stärker auf eine Verknüpfung zwischen Online-Geschäft und den Filialen vor Ort. Die können dann zum Beispiel – dem Vernehmen nach bald etwa bei Lidl – als schnelle Abholstelle für Online-Einkäufe genutzt werden.

Aber auch hier ist Amazon bereits weiter. Eine eigene Logistik braucht zwar auch der US-Riese. Frische Lebensmittel brauchen anders als das sonstige Angebot schließlich Kühlung. Aber bei der besonders kritischen letzten Meile wird Amazon Fresh nicht auf eine eigene Lieferflotte angewiesen sein, wie die Oliver-Wyman-Untersuchung betont: Das Unternehmen packt die frischen Lebensmittel nicht in spezielle Kühl-Transporter, sondern in Kühltaschen, die wiederbenutzbar sind und die einfach jedem beliebigen Spediteur mitgegeben werden können. Die Kosten pro Zustellung durch Lastenfahrräder oder Kleinfahrzeuge lokaler Spediteure lägen zwar schätzungsweise zum Start noch bei rund vier Euro je Lieferung, so die Studie, könnten aber künftig auf etwas weniger als einen Euro sinken.

Resultat: Deutlich günstigere Lieferkosten – beim geringmargigen Geschäft mit Lebensmitteln sei das ein kaum zu unterschätzender Wettbewerbsvorteil, finden die Studienbetreiber. Da zählt auch das oft vorgebrachte Argument wenig, die Filialen müssten die Investitionen ins Onlinegeschäft tragen. Denn Letzteres könnte bald schon fest in der Hand von Amazon sein.

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