Andreas von Bechtolsheim 1985 in einer Fabrikhalle seines Unternehmens Sun Microsystems in Kalifornien

Ein Experiment beginnt immer mit einer kühnen These. Diese hier geht so: Ohne Jugend forscht gäbe es Google nicht. Ohne den Wettbewerb für Nachwuchsforscher, der in diesem Jahr 50. Jubiläum feiert, gäbe es auch keine Homecomputer.

Der Proband ist Andreas von Bechtolsheim. Der 59-jährige Bayer gewann 1974, da war er 18, bei Jugend forscht den Bundeswettbewerb im Fachbereich Physik. Mit einem Projekt zur Messung von Strömungen per Ultraschall. Danach hat von Bechtolsheim, der am Ammersee geboren und in Lindau am Bodensee aufgewachsen ist, eine Traumkarriere hingelegt.

Was aus Jungforschern so alles werden kann

Seine erfolgreiche Biografie gilt als bestes Beispiel dafür, was aus Jungforschern so alles werden kann. Er ist einer der reichsten Deutschen – das Wirtschaftsmagazin Forbes schätzt sein Vermögen auf aktuell vier Milliarden US-Dollar. So gesehen scheint zu stimmen, was die Veranstalter der 1965 von Verleger Henri Nannen initiierten Forscher-Olympiade behaupten.

Eine Teilnahme an dem Wettbewerb, heißt es dort, sei „der Start in eine vielversprechende Karriere und ein Meilenstein in der persönlichen Entwicklung“. Außerdem werde durch diese naturwissenschaftliche Talentförderung die „Zukunftsfähigkeit unserer Gesellschaft“ gesichert.

Die Sache hat bloß einen Haken: Nur ein Jahr nachdem Andreas von Bechtolsheim die Jury mit seiner selbst konstruierten Messapparatur begeisterte, zog er in die USA, wo er noch immer lebt, im Silicon Valley, Kalifornien. Ein milliardenschwerer, erfolgreicher Unternehmer, schwer greifbar. Denkt man. Dabei wäre es interessant herauszufinden, wie genau das war, damals, als durch Jugend forscht sein Leben umgekrempelt wurde. Schließlich hat er über den Wettbewerb mal den verheißungsvollen Satz gesagt: „Von da an begann mein Leben, interessant zu werden.“

„Andy“ – ein unprätentiöser Spitzenunternehmer

Einen Versuch ist es wert. Per E-Mail an info@seineFirma. Die Firma, das ist das Hightech-Unternehmen Arista Networks in Santa Clara. Ob es wohl möglich wäre, Andreas von Bechtolsheim über Jugend forscht ein paar Fragen zu stellen? Kaum eine Stunde später schreibt Amanda zurück, eine Mitarbeiterin des deutschstämmigen Firmengründers und -chefs. Klar, sagt sie, nur her damit. Sie werde die Mail an „Andy“ weiterleiten. In Amerika ist aus Andreas Andy geworden, auch das Adelsprädikat „von“ hat er abgelegt, Andy Bechtolsheim, das reicht. Prompt mailt der seine Antworten zurück, auf Englisch, inklusive lässigem Abschiedsgruß: „Cheers“.

Vielleicht liegt es daran, dass Andreas von Bechtolsheim einfach ein feiner Mensch ist. Vielleicht auch daran, dass ihm Jugend forscht am Herzen liegt, nach all den Jahren noch. Vermutlich stimmt beides.

Denn wenn man die E-Mail-Korrespondenz extrahiert, bleibt als Essenz: Jugend forscht hat mein Leben verändert. So zumindest sieht das der Mann, der oft als Computergenie bezeichnet wird, oder, wie mal in der New York Times, als „erstaunliche Mischung aus Künstler und Ingenieur“: „Der Wettbewerb hat damals meine Perspektive erweitert“, sagt er, auf das, was er in seinem Leben erreichen könne. Plötzlich habe er gemerkt, dass er sich nicht nur interessante Ideen ausdenken, sondern komplexe Experimente auch selbst zu einem Ergebnis bringen könne. Und dann war es auch noch ein Vergnügen. „So viel Spaß wie bei Jugend forscht hatte ich in meiner ganzen Schulzeit nicht.“ Um das auszukosten, machte er so oft mit, wie er konnte, insgesamt drei Mal.

Eigene Konstruktionen faszinieren ihn noch immer

Dieser im besten Sinne nerdige Wettbewerb ist genau sein Ding. Von klein auf ist Andreas ein Frickler. Baut mit sechs den Kassettenrekorder des Vaters auseinander (und wieder zusammen), beschäftigt sich mit 12 mit Amateurfunk und digitaler Elektronik und entwickelt mit 16 seinen eigenen Mikroprozessor. Tag und Nacht verbringt er damit, die Hard- und Software dafür auszutüfteln. Das sei die bis dahin intensivste Zeit seines Lebens gewesen, sagt er. „Ich war total fasziniert davon, selbst etwas zu konstruieren. Diese Faszination ist mir bis heute geblieben.“ So wie andere ihre erste große Liebe erinnern, so hingerissen beschreibt er seine „erste Lötstelle“ – „die roch einfach magisch“.

Dann kommt Jugend forscht. Gibt ihm mehr Selbstbewusstsein und „höhere Ziele für mein Leben“. Ein paar Semester studiert er Elektrotechnik an der Technischen Universität in München. Aber zu der Zeit, 1975, gibt es dort für Studenten keine Computer. Er dagegen hatte zu Hause im Bastelkeller längst Rechner zusammengelötet. Und sogar schon als Gymnasiast einen lukrativen Deal mit dem Vater eines Freundes. Für dessen Firma baut er Steuerungscomputer, die der Mittelständler vom Bodensee nach Russland verkauft. Pro Gerät bekommt der Junge 100 Mark. Verdient dadurch bald mehr als sein Vater, ein Lehrer. Von der TU wechselt von Bechtolsheim frustriert an eine Uni in den USA, macht seinen Doktor an der Eliteuniversität Stanford.

Mit seinem ersten Coup krempelt er die Computerwelt um

Und hat eine Idee, die zu seinem ersten Coup wird: Kompakte Hochleistungscomputer samt Bildschirm für den Schreibtisch, sogenannte Workstations. Dafür gründet er 1982 mit drei Kommilitonen seine erste Firma: Sun Microsystems. Damit macht er dem Giganten IBM mächtig Konkurrenz und krempelt die Computerwelt um, „Silicon Valley erlebte ein neues Hightech-Märchen“, schrieb damals der Spiegel und verglich von Bechtolsheim mit Steve Wozniak und Steve Jobs, den Apple-Gründern. Später wird Sun an Oracle verkauft.

Der Elektroingenieur baut, wir sind im Silicon Valley, einige weitere IT-Unternehmen auf – schließlich habe ihm Jugend forscht das Handwerkszeug dafür mitgegeben, sagt er heute: „In beiden Fällen geht es darum, eine gute Idee zu haben, ein Produkt zu entwickeln und es auf den Markt zu bringen – stets mit begrenzten Ressourcen.“ So gesehen sei seine Teilnahme „die beste Vorbereitung auf mein künftiges Leben als Firmengründer“ gewesen.

Bei Google hatte der Valley-Visionär sofort den richtigen Riecher

Dann, 1998, beweist der Valley-Visionär aus Bayern ein besonders gutes Gespür, inzwischen investiert er auch in Startups: Die Stanford-Studenten Larry Page und Sergey Brin brauchen Geld, um ihre Idee zu verwirklichen. Von Bechtolsheim begeistert sich für ihre Visionen und stellt ihnen als einer der Ersten einen Scheck über 100.000 Dollar aus. So ging das mit Google los.

Und von Bechtolsheim, durch Sun ohnehin schon vermögend geworden, wird noch reicher.

Ob sein Leben ohne Jugend forscht anders verlaufen wäre? Andreas von Bechtolsheim lässt sich auf das Gedankenspiel ein, so sinnlos es ist: „Ziemlich sicher“, sagt er, „wäre ich dann in Deutschland geblieben und hätte eine sehr viel weniger interessante Karriere gemacht.“

Ende der Versuchsanordnung. Schlussfolgerung: Auch ohne Jugend forscht gäbe es vermutlich Google. Kompakte Computer auch. Und irgendjemand würde sich schon finden, um aufstrebenden Startups im Silicon Valley finanzielle Anschubhilfe zu leisten.

Nur Andreas von Bechtolsheim wäre ein anderer.

Der diesjährige bayerische Landeswettbewerb von „Jugend forscht“ startet am Montag in Regensburg. 1949 Schüler, davon sind rund ein Drittel Mädchen, stellen ihre Projekte vor. Die Gewinner fahren im Mai zum Bundesfinale nach Ludwigshafen.

Dieser Artikel erschien zuerst in der Welt.

Bild: Stiftung Jugend forscht e.v.