Nach dem Training hatte ich mächtig Muskelkater

Gleich wird Strom durch meinen Körper fließen. Mehrere Kabel hängen aus meinem engen Sportanzug heraus, bei jedem Schritt baumelt ein ganzer Kabelsalat an meiner Seite. Ich muss schnell ein paar böse Gedanken vertreiben, denn erst kürzlich habe ich wieder „Green Mile“ gesehen. Kay Rathschlag, dessen System ich hier ausprobiere, verbindet die verschiedenen Kabel mit einem Gerät (Foto unten). Er setzt sich – und bedient ein paar Regler in seiner App.

Der Prototyp, mit dem ich trainiert habe

Langsam beginnt es an meinem Bauch zu kribbeln, es wird stärker, an Armen und Schulter folgt ein leichter Druck. In Intervallen von wenigen Sekunden kribbelt es – und lässt wieder nach. Das sind Stromimpulse, die da gerade durch meinen Oberkörper laufen. So soll sich das Sport-Training der Zukunft anfühlen.

Mehrere Jahre hat das Frankfurter Startup Antelope an diesem verkabelten Sportanzug getüftelt. Er funktioniert mit dem sogenannten Elektro-Myo-Stimulationstraining (EMS). Das Prinzip: Durch Strom kontrahiert der Muskel stärker, er zieht sich also mehr zusammen als sonst. So lässt sich der Effekt von Training – beispielweise mit Hanteln – erhöhen.

In der letzten Folge der Vox-Show „Die Höhle der Löwen“ hatte das Fitness-Startup seinen großen Auftritt. Damals entlockte das Gerät Investorin Judith Williams hysterische Lachanfälle, Frank Thelen sagte: „Ich glaube, es gibt einen Trend darin, seinen Körper durch Substanzen, die man zu sich nimmt, zu Höchstleistungen zu bringen.“ Geld geben wollte dagegen keiner der Juroren. Seit dem Dreh hat sich bei dem Startup einiges getan. Eine Indiegogo-Kampagne läuft – und Anfang 2016 will Antelope seine ersten Sportanzüge ausliefern.

Kay Rathschlag, der Gründer von Antelope, ist zu uns die Redaktion gekommen, um mir zu zeigen, wie das Ganze funktioniert.

Der Anzug

Ich ziehe für den Test den kompletten Antelope-Anzug an – Oberteil und Hose. Der Stoff fühlt sich angenehm auf der Haut an, dabei sind Elektroden in die Kleidung integriert, aber solange kein Strom fließt, spüre ich sie nicht. Auch die Kabel merke ich nicht. Das wirkt alles gut verarbeitet. Laut Rathschlag lässt sich der Anzug einfach in der Waschmaschine reinigen.

Damit die Elektroden direkt auf der Haut liegen, darf man drunter keine Kleidung mehr tragen. Das Gerät, das ich an der Seite trage, enthält auch die Batterie, die laut Startup bis zu vier Stunden hält. In der fertigen Version sieht das Gerät klein und sexy aus (siehe Foto unten). Und stört dann auch nicht beim Laufen.

Das Training

Mit dem neuen Trainingsanzug brauche ich also keine Gewichte in die Hand nehmen, sondern muss nur meine Hand wie beim Hantel-Training nach oben führen. Durch den Strom ziehen sich meine Muskeln zusammen. Per Bluetooth bin ich mit einem Smartphone verbunden und kann die Belastung genau austarieren. Der Antelope-Entwickler regelt beispielsweise meine Belastung am Bauch hoch, ab einem bestimmten Punkt wird es unangenehm. Den Belastungsintervall hat er auf vier Sekunden eingestellt, solange kribbelt es.

Einfache Bewegungen sind plötzlich anstrengend

Im Rhythmus der Belastungen fange ich mit den Übungen an. Immer wenn Strom fließt, führe ich meine Hand nach oben – als hätte ich ein Gewicht in der Hand. Die Übungen lassen sich auch mit Hanteln kombinieren, insgesamt soll das Training mit EMS die Gelenke schonen. Ich mache noch ein paar Kniebeugen, selbst diese einfache Übung wird durch den Anzug unglaublich schwer.

Der zweite Modus des Gerätes ist eine dauerhafte Kontraktion durch den Anzug. Das fühlt sich ein bisschen so an, als würde ich einen Duschkopf direkt auf meine Haut richten.

Die Gesundheit

EMS ist keine neue Idee. Das System wird seit Jahren in der Reha eingesetzt, auch Sportler wie Usain Bolt trainieren damit. Seit ein paar Jahren gibt es auch spezielle Fitness-Studios, die EMS anbieten. Kay Rathschlag betreibt selbst mehrere solcher Studios. Der große Unterschied bei Antelope: Der Anzug und das Trainingsgerät sind vergleichsweise günstig und können auch selbst bedient werden.

Die große Frage, die dabei über allem schwebt: Schadet das Training meinem Körper? Das ist durchaus umstritten. Von „gefährlichen Stromstößen“ schrieb Spiegel Online noch Anfang des Jahres. Eine Frau hatte über Herzrasen und Schmerzen in der Brust geklagt, weil die Mitarbeiterin im Studio den Strom zu hoch geregelt habe.

Der NDR hat mehrere Mediziner zu dem Thema befragt. Der Tenor: Grundsätzlich spricht nichts gegen EMS. Doch man sollte vorsichtig damit umgehen. Die Mediziner raten, nicht mehr als ein bis zweimal die Woche mit EMS zu trainieren – bei guter Anleitung. Ansonsten könne man seine Gesundheit schneller schädigen als beim herkömmlichen Training.

Verantwortlich für die potentielle Gefahr ist das Enzym Creatin-Kinase, das bei intensivem Muskeltraining in erhöhter Dosis ausgeschüttet wird. Es versorgt die Muskeln mit Energie – bei Muskelkater ist es beispielsweise stärker im Blut konzentriert. Wer wenig trainiert, erhöht seine Creatin-Kinase-Werte im Blut beim Einsatz von EMS deutlich. Da das Enzym durch die Nieren abgebaut wird, muss man also aufpassen, dass man die Organe nicht schädigt. Es ist deswegen besonders wichtig, ausreichend viel zu trinken, empfehlen die Ärzte.

Eine Anleitung durch einen menschlichen Trainer habe ich aber natürlich nicht, wenn ich mit Antelope trainiere. Kay Rathschlag sagt, dass es in der App genaue Anleitungen gebe. Es sei aber auf jeden Fall wichtig, verantwortungsvoll mit dem Gerät umzugehen.

Der Preis

Die Geräte und Anzüge aus den Studios kosten mehrere tausend Euro. In diesem Punkt sieht das Frankfurter Startup seinen großen Vorteil, denn der Anzug ist wesentlich günstiger.  Die komplette Montur – Oberteil und Hose – kosten etwa 1.300 US-Dollar. Über die Crowdfunding-Kampagne lässt sich das Set bestellen.

Andere Modelle wie ein Tank-Top sind günstiger. Für den Massenmarkt erscheint der Preis relativ hoch – das war auch einer der Gründe, warum die Investoren der „Höhle der Löwen“ ausgestiegen sind. Für Sportbegeisterte, die regelmäßig trainieren, kann sich der Anzug aber lohnen. Die monatliche Gebühr für ein Fitness-Studio kann man auf diesem Wege einsparen.

Das Fazit

Ich finde: Das Training mit dem Anzug macht Spaß. Ich kann also künftig damit joggen gehen – oder Gymnastik machen. Kay Rathschlag betont, das ganze ergänze das Sporttraining nur, es ersetze es nicht. So könne man den Anzug beispielweise auch im Fitness-Studio anziehen. Die fertige App müsste mir am Ende allerdings eine gute und umfassende Anleitung bieten. Die konnte ich bislang nicht testen. In diesem Fall wäre ich dann wohl auch bereit, den Preis zu zahlen. Denn ein Gerät, das Strom durch meinen Körper leitet, muss eine gute Qualität besitzen.

So klein wird das Gerät sein

Bilder: Kim Richters