60 Milliarden Dollar – so viel erwirtschaftet die gesamte deutsche Wirtschaft in einer knappen Woche, alle 80 Millionen Menschen und die Tausenden von Firmen zusammen. An der New Yorker Börse bewegte der Apple-Konzern am Montag diese Summe innerhalb weniger Minuten, und zwar mithilfe einer einzigen E-Mail des Chefs Tim Cook. Doch genau deshalb könnte ihm nun die Börsenaufsicht SEC auf die Pelle rücken.

Die Aktie des Technologiekonzerns war am Montag von den Panikverkäufen betroffen wie alle anderen. Schon kurz nach Öffnung der Börse ging es über zehn Prozent abwärts.

Doch während des Tages legte Apple plötzlich eine fulminante Gegenbewegung hin, die Aktie schoss zeitweise sogar ins Plus und beendete den Handelstag mit einem Minus von vergleichsweise geringen 2,5 Prozent. Vom tiefsten Punkt hatte der Konzern damit schließlich rund 60 Milliarden Dollar an Firmenwert wieder gutgemacht.

Antwort vor Handelsbeginn

Ein entscheidender Katalysator dafür war eine private E-Mail des Firmenchefs Tim Cook, die dieser an den CNBC-Moderator James Cramer sendete. Dieser hatte Cook am Wochenende in einer E-Mail gefragt, wie es denn um die Geschäfte des Konzerns insbesondere in China stehe. „Wir sind am Markt in einer harten Zeit, und jede Klärung, die ich vor Öffnung der Börsen bekommen könnte, wäre hilfreich“, schrieb er.

Tatsächlich antwortete Cook, der als Frühaufsteher bekannt ist, um 5 Uhr kalifornischer Zeit, 8 Uhr New Yorker Zeit, also rechtzeitig vor Handelsbeginn.

„Jim, wie du weißt, geben wir während des Quartals selten Updates und kommentieren selten die Bewegungen der Apple-Aktie. Aber ich weiß, dass deine Frage viele Investoren beschäftigt“, beginnt Cook, um dann konkret zu werden.

„Ich bekomme jeden Tag Updates zu unserer Geschäftsentwicklung in China, auch heute morgen, und ich kann dir sagen, dass wir im Juli und August weiterhin starkes Wachstum in unserem Geschäft in China gesehen haben. Das Wachstum bei den Aktivierungen von iPhones hat sich über die vergangenen Wochen sogar noch beschleunigt, und im chinesischen App-Store hatten wir in den vergangenen zwei Wochen das beste Geschäft im ganzen Jahr.“ Er schloss seine E-Mail mit dem Hinweis, dass er die Zukunft natürlich auch nicht vorhersagen könne, aber optimistisch sei.

Mail wurde öffentlich

Cramer tat natürlich das, was jeder Journalist in dieser Situation tun würde – er machte die E-Mail öffentlich, verlas sie zunächst im Fernsehprogramm von CNBC. Anschließend wurde die E-Mail auf Twitter publiziert. Die Investoren sahen dies und waren ob der positiven Nachrichten so entzückt, dass die Apple-Aktie nach oben schoss.

Doch inzwischen melden sich Anwälte zu Wort, die in diesem Vorgehen ein eklatantes Vergehen gegen die Veröffentlichungspflichten eines börsennotierten Konzerns sehen. Denn das Gesetz schreibt vor, dass ein Unternehmen kursrelevante Nachrichten allen Investoren gleichzeitig zukommen lassen muss. Kein Anleger darf Informationen bevorzugt und vor anderen Anlegern erhalten.

„Die SEC wird zweifellos darauf schauen“, sagte Thomas Gorman, der US-Marktberichterstatter von MarketWatch. Er verteidigt für die Anwaltskanzlei Dorsey & Whitney Firmen und Privatpersonen, die ins Visier der Börsenaufsicht geraten sind. Andere Experten äußerten sich ähnlich.

Cramer besitzt selbst Apple-Aktien

Allerdings ist die Rechtslage nicht ganz eindeutig. Denn wie bei Fällen in der Vergangenheit klargestellt worden war, können Firmen auch die Medien zur Verbreitung börsenrelevanter Nachrichten nutzen, sogar Twitter. Indem die Nachricht bei CNBC verlesen wurde, wäre dieser Anforderung Genüge getan.

Das Problem in diesem Fall ist jedoch, dass der CNBC-Reporter Cramer selbst Apple-Aktien besitzt, was er auch mehrmals öffentlich kundgetan hat. Da Cooks E-Mail direkt an ihn gerichtet war, könnte er damit einen einzelnen Investor unberechtigt bevorzugt haben. Weder SEC noch Apple oder CNBC wollten sich bislang dazu äußern.

In Deutschland gelten ähnliche Regeln. Auch hier sieht die sogenannte Ad-hoc-Pflicht vor, dass Unternehmen Anlegern kursrelevante Informationen gleichzeitig zukommen lassen müssen. Allerdings ist hierzulande zusätzlich vorgeschrieben, dass vor allen anderen zunächst die Finanzaufsicht zu informieren ist. Dadurch würde eine E-Mail eines deutschen Firmenchefs im Stile Tim Cooks auf jeden Fall gegen die Regeln verstoßen.

Dieser Artikel erschien zuerst bei Die Welt.

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