Es ist der ganz große Wachstumsmarkt: Während der Umsatz des deutschen Einzelhandels von Januar bis November 2016 um 1,9 Prozent wuchs, legten die Händler im Internet um 5,4 Prozent zu. Und im Weihnachtsgeschäft, zu dem das Statistische Bundesamt noch keine Zahlen veröffentlicht hat, dürfte der Online-Handel die Konkurrenz in den Läden noch einmal überflügelt haben.

Nicht nur Bücher, Kleidung und Schuhe kaufen die Deutschen inzwischen selbstverständlich über das Internet ein. Auch Matratzen, Spielzeug oder Möbel werden zunehmend online geordert. Selbst Lebensmittelketten werben für die Bestellung im Netz.

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Dass die Digitalisierung den Handel wie kaum eine andere Branche verändert, setzt nicht nur die Unternehmen unter Druck, sondern auch ihre Mitarbeiter. Wer erfolgreich sein will, muss möglichst überall Zuhause sein – in der Fußgängerzone wie im virtuellen Raum. Multichannel-Handelsexperten sind gefragt. Doch darauf ist in den Unternehmen fast niemand vorbereitet.

Unbefriedigender Zustand für Mitarbeiter

Weil in den Ausbildungsordnungen von Groß- oder Einzelhandelskaufleuten das Thema Onlinehandel nicht vorkommt, prägen Autodidakten die boomende Branche. Wer den E-Commerce beherrscht, hat es sich in der Regel selbst beigebracht.

Das ist ein unbefriedigender Zustand für Mitarbeiter und Unternehmen. Abhilfe ist allerdings in Sicht. Ab 2018 startet mit dem E-Commerce-Kaufmann ein neuer Ausbildungsberuf speziell für den digitalen Handel.

Nicole Heinrich ist erleichtert. „Dieses Profil hat uns gefehlt“, sagt die Leiterin Ausbildung und Personalmarketing beim Hamburger Handelsriesen Otto Group. „Der deutsche Bildungsapparat ist bislang nicht darauf eingestellt, Talente für den seit Jahren sehr dynamisch wachsenden E-Commerce-Bereich vorzubereiten.“ Sie wertet als Meilenstein, dass der Staat nun erstmals seit zehn Jahren einen neuen kaufmännischen Ausbildungsberuf zulässt. „Damit können wir die Digitalisierung in der Branche weiter vorantreiben.“

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Derzeit behelfen sich die Unternehmen vielfach mit Quereinsteigern. „Das hat sich bislang zwar bewährt, reicht aber nicht für die Zukunft“, sagt Katharina Weinert, die Leiterin der Abteilung Bildung und Berufsbildung beim Handelsverband Deutschland (HDE). „Über den neuen Beruf wird man systematischer und qualifizierter auf eine Karriere im Onlinehandel vorbereitet.“ Danach würden die Händler verlangen.

Kultusministerkonferenz entwickelt Rahmenlehrplan

Der Bedarf ist entsprechend groß. Zumal E-Commerce nicht einfach eine Ergänzung des Handels ist, eine besondere Form, Reisen zu buchen oder Waren im In- und Ausland für den Wiederverkauf zu ordern. „Vielmehr ermöglicht das Internet als Kommunikations- und Transaktionsmedium völlig neue Geschäftsmodelle im Handel, löst Grenzen der tradierten Handelsstufen auf und verlangt daher andere Kompetenzen“, sagt Martin Groß-Albenhausen, stellvertretender Hauptgeschäftsführer des E-Commerce-Verbandes bveh.

Welche genau, wird derzeit noch in der Ausbildungsordnung festgeschrieben. Parallel entwickelt ein Arbeitskreis der Kultusministerkonferenz den Rahmenlehrplan für den Berufsschulunterricht. Los geht es dann im kommenden Sommer – gut drei Jahre nach den ersten Gesprächen über das neue Berufsbild. „Das ist wahnsinnig schnell“, sagt HDE-Expertin Weinert.

In Zusammenarbeit mit Unternehmen und anderen Verbänden hat der HDE das Konzept für die neue Ausbildung ausgearbeitet. Vorgesehen ist eine dreijährige Ausbildung, bei der Jugendliche zunächst die kaufmännischen Grundlagen für eine Tätigkeit im Handel lernen. „Es geht um Vertriebskanäle und Sortimentsgestaltung, um Produktdarstellungen und Markenschutz, aber auch um Social Media und Online-Marketing“, beschreibt Weinert.

Geeignet ist der neue Lehrberuf für Absolventen aller Schulformen. Im Fokus stehen aber vor allem Gymnasiasten und Realschüler, heißt es beim HDE. Wichtig sind gute Noten in Fächern wie Deutsch, Mathe und Englisch, wie Otto-Ausbilderin Heinrich betont.

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„Noch wichtiger aber ist die Persönlichkeit des Bewerbers.“ In den Auswahlgesprächen will sie auf Leidenschaft, Eigeninitiative und Neugier achten und ob sich jemand schon auskennt in der digitalen Welt, weil er beispielsweise ein Blog schreibt oder einen eigenen Web-Shop betreibt. Online-Affinität sei unerlässlich. Die Bewerbungsphase beginnt bei Otto schon im April.

Die Verträge dürfen aber erst geschlossen werden, wenn die Ausbildungsordnung final steht. Das soll etwa am Endes diesen Jahres soweit sein. Zum Start suchen die Hamburger erst einmal nur drei bis fünf Nachwuchskräfte, um Erfahrungen zu sammeln. Branchenweit rechnet der HDE mit rund 1000 Lehrstellen in 150 Unternehmen. Es dürften aber bald mehr werden.

Denn das Interesse ist groß, wie Verbandsvertreterin Weinert versichert. Neben Einzelhändlern und Großhandelsfirmen wollen auch Tourismuskonzerne, Hotels, Gaststätten oder Industrieunternehmen mit eigenen Online-Shops E-Commerce-Kaufleute ausbilden. „Interesse gibt es zudem bei Banken, Versicherungen und Zeitungsverlagen.“ Dort wolle man aber die ersten Entwicklungen abwarten.

Abschluss ist der „Fachwirt für E-Commerce“

Angeboten wird die Ausbildung bundesweit. Die Azubi-Vergütung wird der anderer Kaufmannsberufe entsprechen, also rund 800 Euro im ersten Jahr. Welche Schwerpunktregionen sich herausbilden werden, steht noch nicht fest. „Es wird sicherlich nicht in jeder kleinen und mittleren Stadt eine Fachklasse geben“, sagt Weinert. Städte und Kreise mit einer hohen Dichte an E-Commerce-Firmen hätten aber gute Chancen, beispielsweise Berlin, Hamburg und Frankfurt, dazu München, Nürnberg und Leipzig.

Die Unternehmen rechnen mit genügend Bewerbern. „E-Commerce-Kaufmann ist ein attraktiver Beruf, der sicherlich viele Jugendliche von einer Karriere im Handel überzeugen kann, die bislang noch nicht an diese Branche gedacht haben“, sagt Heinrich. Der Otto-Konzern hat seinen Bedarf bislang mit internen Weiterbildungen seiner Groß- und Außenhandelskaufleute sowie mit Absolventen der Fachhochschule Wedel gedeckt.

Dort hat das Familienunternehmen vor fünf Jahren einen Lehrstuhl gestiftet, an dem Studenten die Abschlüsse Bachelor oder Master für E-Commerce machen können. Die Akademiker steigen üblicherweise als Projektleiter und Contentmanager ein. „Wir brauchen aber auch Absolventen für diese kaufmännischen Profile“, sagt Ausbildungsleiterin Heinrich. Aufstiegsmöglichkeiten soll es im Anschluss geben. Der HDE kündigt bereits an, dass der Abschluss „Fachwirt für E-Commerce“ folgen soll.

Dieser Artikel erschien zuerst bei Welt Online.

Bild: Tetra Images/Getty, Grafiken: Die Welt