Ein Beitrag von Simon Schmincke, Investor beim schwedischen VC Creandum. Dort ist er für die DACH-Region zuständig.

Im Januar bin ich von Berlin nach Stockholm gezogen, in einen eher traditionellen Vorort. Allein stehende Häuser, die Anwohner fahren Kombis, man grüßt sich auf dem Weg zur Straßenbahn höflich, aber distanziert.

In der ersten Woche nach unserem Einzug – wir lebten im Kistenchaos, kannten die Nachbarn noch nicht – klingelte es plötzlich. Vor der Tür standen zwei Mädchen, vielleicht zwölf Jahre alt. Die beiden wollten Blumen verkaufen, um ihren Schulausflug zu finanzieren. Ich hatte mir bislang noch kein Bargeld geholt, nicht einmal darüber nachgedacht. Ich erklärte den Mädchen, dass ich sehr gerne Blumen kaufen würde, aber keine Schwedischen Kronen im Haus habe. Ich entschuldigte mich. Die beiden verzogen keine Miene: „We accept mobile payments, no worries“. In perfektem Englisch. Das saß.

„Es ist noch zu früh, morgens geht das Gerät nicht.“

Rückblick: Seit dem Frühjahr 2015 müssen Berliner Taxifahrer Kreditkartengeräte bei sich führen. Bei jeder zweiten Fahrt muss ich mir jedoch immernoch vorwurfsvoll anhören, warum ich denn bitte kein Bargeld bei mir hätte – und ob wir nicht einfach eine Sparkasse anfahren könnten. Das endete teilweise in Beschimpfungen, mindestens jedoch in Grundsatzdiskussionen, bis dann doch das Gerät aus dem Handschuhfach zum Vorschein kam.

„Es ist noch zu früh, morgens geht das Gerät nicht“, sagte ein Taxifahrer auf der Fahrt zum Flughafen einmal. In vielen Berliner Restaurants kann man bis heute Rechnungen von mehr als 100 Euro nur in bar bezahlen. Öfter bekam ich zu hören: „Dit is Berlin, beim Späti die Straße runter gibt es einen Automaten, glaub ich“. Der kostet auch nur 5,90 Euro pro Abhebung. Dit is 2016 in Berlin.

Dieser Text soll kein „In Schweden ist alles besser“-Artikel sein. Sonst wäre ich nicht jede Woche zurück in Berlin. Die Stadt ist großartig und wird immer besser. Aber der Text soll ein Denkanstoß dafür sein, dass es auch anders geht. Besonders beim bargeldlosen Bezahlen können wir in Berlin noch nachlegen.

Die Straßenbahntickets lassen sich per SMS kaufen

Ich bin jetzt seit drei Monaten in Stockholm. Und ich habe seit drei Monaten kein Bargeld in der Hand gehabt. Es war einfach nicht notwendig. Der Getränkeautomat in der U-Bahn, der Parkscheinautomat, der Händler am Markt, der mir samstags immer frische Kräuter verkauft – überall kann ich mit Karte bezahlen. Das ist nicht die Ausnahme, sondern der Standard. Die Straßenbahntickets kaufe ich per SMS oder habe eine NFC-Karte im Geldbeutel.

In Deutschland fühle ich mich oft so, als müsste ich mich entschuldigen, wenn ich an der Supermarktkasse mit Karte bezahle. Könnte ja länger dauern. Und ja, es dauert manchmal tatsächlich länger. Das hat aber auch einen Grund: Denn an der Kasse im Supermarkt wissen die Mitarbeiter oft nicht, dass man bei Beträgen unter 20 Euro per NFC in wenigen Sekunden bezahlen kann – durch Auflegen der Karte auf den Kartenleser, sogar ohne Pin. Immer noch haben wir Deutschen eine negative Einstellung gegenüber Karten und Mobile Payments, und die fehlende Akzeptanz der Händler trägt sicherlich zu der derzeitigen Situation bei.

An der Supermarktkasse in Schweden läuft das so: Ich gebe den Pin meiner Kreditkarte im Gerät ein, noch während die Waren gescannt werden. Wenn der letzte Artikel auf dem Band liegt, bestätige ich die Summe, und es geht direkt mit dem nächsten Kunden weiter. Das sind minimale Prozessverbesserung, aber sie helfen die Vorurteile gegen ein bargeldloses Bezahlen zu reduzieren.

Eine App ersetzt das Bargeld im Privaten

Cringle, Money Beam von Number26, die Paypal-App – die Angebote für sogenanntes Peer-to-Peer-Payment nutzen in Deutschland nur wenige. 2012 haben sich in Schweden alle großen Banken zusammen geschlossen und ermöglichen das Versenden von Geld in einer Peer-to-Peer-App und das geschieht in Echtzeit. Direkt vom Konto des Nutzers, nur die Handynummer des Empfängers genügt. Das hat einen großen Einfluss auf das alltägliche Leben.

Es geht in diesen Fällen nicht darum, dass man kein Bargeld dabei hat und der Arbeitskollege das Mittagessen vorstreckt, sondern darum gemeinsame Ausgaben zu teilen oder bei großen Gruppen das Bezahlen zu beschleunigen – ja, sechsmal den Pin einzeln einzugeben dauert eben auch. So zahlt einer, die anderen schicken ihm das Geld einfach. Das Geld ist nach dem Bezahlen direkt auf dem Konto verfügbar, alle großen Banken machen mit. Es gibt sogar eine App für die Apple Watch. Dieses Angebot heißt Swish und ersetzt Bargeld auch im Privaten vollständig.

Die Kunden müssen sich durchsetzen

Alle reden gerade über das Thema FinTech. Ich bin als einer der ersten Investoren von der Banking-App Number26 sehr daran interessiert, dass die jungen Unternehmen Erfolg haben. Ich frage mich jedoch, was sich bei uns verändern muss, damit sich die Akzeptanz vom Bezahlen mit der Karte oder dem Smartphone weiter durchsetzt.

Natürlich geht es auch Deutschland langsam voran. Doch das reicht noch nicht, wie ein Blick in die USA, Großbritannien und Skandinavien zeigt. Es ist auch klar, dass der Händler die Technik bereit stellen muss – die dann reibungslos funktionieren muss. Am Ende bin ich aber überzeugt, dass wir als Kunden in der Lage sind, uns durchzusetzen. Und den Händler dazu zu bewegen, sich weiter zu entwickeln. Nur müssen wir das auch artikulieren.

Achja, es gibt einen Ort, für den man in Schweden Bargeld braucht: die öffentlichen Toiletten. Wann Deutschland wohl an diesem Punkt ankommt?

Bild: Simon Schmincke