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Seinen letzten Abend verbringt der Internetmillionär Thomas Wagner auf einer Polizeiwache in Venedig. Wenige Stunden zuvor ist er auf einen perfiden Betrug hereingefallen, jetzt erstattet er Anzeige – so zumindest erzählen es Vertraute des Unternehmers, dessen Leipziger Firma Unister Portale wie Fluege.de und Ab-in-den-Urlaub.de betreibt.

Wagner, 38, und sein Mitgesellschafter Oliver Schilling, 39, seien per Kleinflugzeug mit 1,5 Millionen Euro Bargeld in einem Koffer angereist – und hätten sich im Austausch Falschgeld andrehen lassen.

Der Betrug wäre wohl nicht ans Licht der Öffentlichkeit gelangt, wären Wagner und Schilling nicht auf dem Rückflug aus Venedig tödlich verunglückt, gemeinsam mit einem 65 Jahre alten angeblichen Finanzvermittler an Bord und dem 73-jährigen Piloten in der Maschine. An der Unfallstelle in den slowenischen Bergen fanden die dortigen Ermittler Papiere, die Wagners Strafanzeige belegen.

Angeblich hatten Wagner und Schilling in Venedig einen Investor getroffen. Das mitgebrachte Geld sollte als Sicherheit für einen Zwölf-Millionen-Euro-Kredit dienen, den der Mann in die kurz vor der Pleite stehende Firma Unister habe stecken wollen. Dieses Geld habe Wagner in einem Koffer in Schweizer Franken erhalten. Doch erst, als der vermeintliche Investor über alle Berge gewesen sei, habe Wagner den Inhalt des Koffers geprüft und festgestellt: Unter der obersten Schicht echter Schweizer Franken lag nur Falschgeld.

Was klingt wie ein Coup aus einem Hollywoodstreifen, ist ein gern genutzter Trick. Nur werden die meisten Fälle nicht öffentlich. Weil sich die betroffenen Unternehmer dafür schämen, derart übers Ohr gehauen worden zu sein. Oder weil Schwarzgeld im Spiel war. Fachleute nennen die Betrugsform Rip-Deals, was vom Englischen „to rip“ kommt – entreißen oder umgangssprachlich abziehen.

Trotz Warnungen fallen immer wieder Unternehmer herein

Das Bundeskriminalamt teilt auf Anfrage mit, diese Betrugsart sei dort bekannt. Man könne zwar die Fallzahlen nicht beziffern, gehe jedoch davon aus, dass es ein „großes Dunkelfeld“ gebe. Auch beim österreichischen Bundeskriminalamt schlagen immer wieder solche Fälle auf, sagt eine Sprecherin.

Sogar auf der Internetseite der deutschen Botschaft in Rom gibt es eine Warnung: Seit einigen Jahren häufen sich vor allem in Norditalien solche Vorfälle, wird dort vermerkt. Trotzdem fallen immer wieder Unternehmer darauf hinein.

Einer von ihnen ist Rudolf Haberleitner. Als er im Juni 2013 die Lobby des Best Western im italienischen Udine betritt, hat er viel Bargeld bei sich: eine Million Euro. Für seine Handelskette Dayli, den ehemaligen österreichischen Ableger von Schlecker, braucht er Geld. Im Hotel will er den Mann treffen, der seine Firma retten soll: einen Investor, der ihm 26 Millionen Euro überweisen will – ein Privatkredit.

Der Täter schnappte sich die Taschen und floh

Die Million in bar soll der Österreicher dem Investor als „Sondertilgung“ mitbringen, also eine Art erste Sicherheit auf den Kredit. Haberleitner ist ein erfahrener Geschäftsmann, damals 67 Jahre alt. Er ist mit drei Begleitern in die Viela Tricesimo gekommen und er hat sich nach wochenlangen Verhandlungen über einen Mittelsmann per Vertrag abgesichert: Erst wenn seine Hausbank bestätigt, dass die Überweisung des Investors eingegangen ist, wird er das Geld bei der gegenüberliegenden Bank einzahlen.

Wenige Stunden nach dem Treffen, erzählt er heute, steht Haberleitner damals in der Polizeiwache von Udine und schildert, was kurz zuvor geschah: „Mitten in den Verhandlungen ist der Mann plötzlich aufgesprungen, hat sich die beiden Taschen geschnappt und ist weggerannt in Richtung Hauptstraße.“ Einer seiner Begleiter sei hinterhergelaufen, doch der Mann sei in ein wartendes Auto gesprungen – und weg war er. Ein paar Wochen später ist Haberleitners Unternehmen mit 886 Filialen und 3.468 Mitarbeitern pleite.

Der Vorfall ist offenbar typisch für den Trick, mit dem Unternehmer aus ganz Europa um ihr Geld gebracht werden. Sie werden angewiesen, einen Koffer voller Bargeld mitzubringen, manchmal auch Gold oder Juwelen, die den vermeintlichen Kreditgebern als Sicherheit dienen sollen oder als Provision für den Vermittler. Beim Treffen reißen die Gangster die Taschen mit den Wertgegenständen plötzlich an sich und sind verschwunden. Oder sie tauschen die „Sicherheit“, wie wohl im Fall Unister geschehen, gegen Falschgeld ein.

In Italien wird wegen Rip-Deals kaum ermittelt

Auch die Osnabrücker Staatsanwaltschaft ist in den vergangenen eineinhalb Jahren tief in dieses Thema eingetaucht. Ursprünglich waren die Ermittler durch einen geprellten Geschäftsmann aus ihrer Region auf die Betrugsmasche aufmerksam geworden. Er war von angeblichen Investoren aus Israel nach Italien gelockt worden und hatte dort anstatt echten Geldes von den Betrügern Blüten angedreht bekommen.

Seit Ende 2014 wurden die Ermittlungen immer größer, sagt Oberstaatsanwalt Alexander Retemeyer. Mithilfe von Telefonüberwachungen seien die Behörden einem Ring von Rip-Deal-Kriminellen auf die Schliche gekommen, mehrere Personen kamen schließlich in Untersuchungshaft. Momentan sitzt dort noch ein 27-jähriger Kölner – ein einschlägig Vorbestrafter, wie Retemeyer sagt. Die Kriminellen, erklärt er, kämen in der Regel nicht aus Italien, sondern aus Deutschland, Österreich, Frankreich oder dem ehemaligen Jugoslawien.

Es gebe aber einen Grund, warum die Betrüger ihre Opfer meistens nach Italien lockten: „Wegen Rip-Deals wird dort kaum ermittelt.“ Auch die Zusammenarbeit mit den italienischen Behörden gestalte sich schwierig, sagt der Staatsanwalt. „Ein von uns beantragter Einsatz eines verdeckten Ermittlers wurde von der Generalstaatsanwaltschaft Mailand unter Hinweis auf die dortige Rechtslage als unzulässig abgelehnt.“

Wagner wollte einen letzten Rettungsversuch starten

In Deutschland gibt es sogar schon Privatermittler, die sich einen Teil ihres Lebensunterhaltes damit verdienen, im Auftrag der Betrogenen die Gangster zu jagen – weil die italienische Polizei es kaum tut. „Begehrte Targets von Rip-Deals sind meist Unternehmer, die in finanziellen Schwierigkeiten stecken“, sagt einer von ihnen, der Ermittler Josef Resch.

Suchen die meisten Opfer also in Italien die letzte Rettung für ihre Firma? Der Osnabrücker Ermittler Retemeyer vermutet etwas anderes. In vielen Fällen reisten die Betrogenen nach Italien, weil sie dort Schwarzgeld waschen wollten – ein Geldkoffer als Bareinlage für einen Kredit bietet sich geradezu an.

Das bestätigt auch das Bundeskriminalamt: Längst nicht jeder Fall werde zur Anzeige gebracht. Häufig seien die Geschädigten wohlhabende Bundesbürger, die sich aktiv auf die Suche nach Geschäftspartnern begeben würden, um Schwarzgeld zu waschen. Dafür kommen auch Immobiliengeschäfte infrage. Schätzungen reichen bis zu einem jährlichen Schaden von 100 Millionen Euro durch diese Betrugsart.

Bei Unister-Gründer Thomas Wagner kann es dagegen als wahrscheinlich gelten, dass er mit dem Geldkoffer nach Venedig reiste, um einen letzten Rettungsversuch für seine angeschlagene Firma zu unternehmen. Das Internetunternehmen bestätigte mittlerweile, dass er „auf Investorensuche“ gewesen sei. Das angebliche Kreditgeschäft war von langer Hand eingefädelt worden.

Bild: Emmanuel Faure

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Lange Anbahnungen sind typisch für die Rip-Deals

Es gab laut einem Bericht des Manager Magazins schon vor Monaten erste Kontakte zu Mittelsmännern, die Wagner den Kontakt zum angeblichen Geschäftsmann herstellten. Neben einem ausführlichen E-Mail-Verkehr existierten demnach Schriftstücke, die genau festhielten, wer wann welchen Geldkoffer übergeben sollte.

Solche langen Anbahnungen sind typisch für diese Art von Betrugsfällen, sagen Retemeyer und Resch. Wie im Fall Wagner werben die Täter häufig Mittelsmänner an, die sich als Finanzberater oder Ähnliches vorstellen und vorgeben, einen reichen Geschäftsmann zu kennen, der gerade über viel flüssiges Kapital verfüge.

Zur Vorbereitung solcher Coups gehört auch, dass meist sehr professionell wirkende Verträge aufgesetzt werden, in denen die Rückzahlungsmodalitäten für die angeblichen Privatkredite festgelegt werden. Der österreichische Unternehmer Haberleitner hat der Welt am Sonntag seinen Vertrag von damals zur Verfügung gestellt. Darin heißt es: „Das Darlehen wird mit einem festen Zinssatz von 3,0 Prozent p.a. verzinst. Die Laufzeit des Darlehens beträgt fünf Jahre.“ Es wirkt alles vollkommen seriös.

Per Telefonüberwachung wurden einige Straftaten verhindert

In anderen Fällen existieren sogar gut gemachte falsche Internetseiten. Etwa bei einer Serie von Betrügereien, die sich 2013 in der Schweiz abspielte. Dort hatte eine Bande eine Website programmiert, die angeblich einem Sohn des russischen Oligarchen Viktor Vekselberg gehören sollte: Leonard Vekselberg, einem vorgeblich liquiden Investor. Der falsche Vekselberg entriss einer Reihe von Opfern ihr Geld. Einen Sohn namens Leonard hat der russische Milliardär überhaupt nicht.

Bei der Staatsanwaltschaft Osnabrück immerhin führten die Ermittlungen per Telefonüberwachung dazu, dass Straftaten verhindert werden konnten, indem die Polizei Beinahe-Opfer kurz vor der Geldübergabe anrief. Andere Unternehmer warb die Staatsanwaltschaft an, um mitzuspielen – und konnte so Täter auf frischer Tat ertappen.

Es gibt aber auch Betrogene, die auf eigene Faust, ohne Polizei, mit den Betrügern auf Tuchfühlung gehen. Das wagte zum Beispiel der Hamburger Unternehmer Andreas von Froreich, dessen Firma Getränke produzieren lässt. 2010 suchte er über ein Internetportal Sponsoren für sein Startup. Mehrere Investoren zeigten sich interessiert, erzählt er. Zwei Geschäftsmänner wollten gar eine Million Euro investieren.

Die Herren trugen Maßanzüge und Rolex

Bald erhielt er täglich Anrufe von den Osteuropäern: Man solle sich in Mailand treffen. Tatsächlich ließ sich von Froreich auf das Treffen in einem Café in der Innenstadt ein – allerdings, wie er sagt, nur zum Schein. Die Männer hätten ihm dort erklärt, er müsse ein zweites Mal kommen, diesmal mit einem Geldkoffer – und würde im Austausch einen anderen Koffer mit Schweizer Franken erhalten. „Die Herren waren gut gekleidet, trugen Maßanzüge und Rolex“, erinnert er sich. Es scheint, als fände er das Erlebnis im Nachhinein sogar ganz amüsant.

Dass von Froreich den Kontakt dann abbrach, war wohl gut so. Denn Abenteuer wie dieses können lebensgefährlich werden. Die deutsche Botschaft in Rom warnt, dass die Täter brutal seien. In einem Fall habe die handgreifliche Auseinandersetzung zwischen den Betrügern und dem Opfer, das sich zur Wehr setzte, tödlich geendet.

Weil die Aufklärungsraten gering sind, stehen für Unister die Chancen schlecht, dass die Firma ihr Geld wiedersieht. Der verbliebene Gesellschafter Daniel Kirchhof kündigte diese Woche an, er wolle selbst Anzeige erstatten, gegen unbekannt. Er wolle wissen, wieso sein ehemaliger Geschäftspartner Wagner überhaupt mit so viel Bargeld in der Gegend herumgeflogen sei.

Bild: Emmanuel Faure

Der Artikel erschien zuerst bei Die Welt.