„Wir könnten sogar ein ,Enabler‘ für andere Startups werden“, sagt BlaBlaCar-Mitgründer Nicolas Brusson.

Mit stolzen 1,5 Milliarden Dollar wurde das französische Vorzeige-Startup BlaBlaCar zuletzt bewertet. Damit gehört das Unternehmen, das PKW-Mitfahrten von Stadt zu Stadt vermittelt, zu den wenigen europäischen Startups, die den Status eines Unicorns erreicht haben.

Auch die Finanzierungsrunde in dreistelliger Millionenhöhe im vergangenen Spätsommer gehört in Europa zu den wenigen in der Größenordnung. Mehr Geld erhielten zuletzt nur der schwedische Musikstreamingdienst Spotify, der Berliner Essenslieferservice Delivery Hero oder der niederländische Bezahlservice Adyen. Insgesamt sammelte BlablaCar bislang von Investoren, darunter bekannte Namen wie Accel Partners, Index Ventures oder Insight Venture Partners, mehr als 335 Millionen Dollar ein.

Gegründet wurde BlaBlaCar von Frédéric Mazzella, Francis Nappez und Nicolas Brusson als digitale Version der in Deutschland schon bekannten Mitfahrzentrale. Seit 2013 ist das Unternehmen in Deutschland aktiv. Den hiesigen Wettbewerber Carpooling, der die Websites Mitfahrzentrale.de und Mitfahrgelegenheit.de betreibt, kaufte das französische Startup im April 2015.

Die Zukauf-Taktik hat sich für BlaBlaCar bewährt, mittlerweile ist die Mitfahr-Plattform in 22 Ländern aktiv, hat gut 25 Millionen registrierte Kunden und vermittelt etwa 10 Millionen Fahren im Quartal. Das aggressive Wachstum kommt dabei sogar vergleichsweise spät im Leben des Unternehmens: Die erste Version der Plattform ist unter dem Namen Covoiturage.fr bereits 2004 gestartet.

Zuletzt hatte BlaBlaCar für Schlagzeilen gesorgt, weil Plattform angekündigt hat, Gebühren für die Vermittlung der Fahrten einzuführen. Bislang war für die Mitfahrer nur ein Unkostenbeitrag fällig. Über die Höhe der Gebühren schweigt sich das Startup noch aus – diese sollen aber von der Fahrtlänge abhängen. Vielen Kunden, so fielen zumindest die ersten Reaktionen aus, gefällt das nicht.

Update vom 8. Juli 2016: Nutzer bekommen nun erstmals angezeigt, wieviel BlaBlaCar einbehalten werden. Mitfahrer sehen in den Suchergebnissen nun den zu bezahlenden Fahrpreis wie auch die zukünftig fällig werdenden Gebühren. Letztere muss der Nutzer allerdings noch nicht bezahlen, erst in ein paar Wochen soll die neue Bezahl-Struktur greifen. Die Gebühren liegen demnach zwischen 10 und 15 Prozent des Fahrpreises, bei einer 30-Euro-Fahrt werden für den Mitfahrer zum Beispiel 4 Euro aufgeschlagen. Der Fahrer erhält weiterhin den vollen Fahrpreis ohne Abzüge.

Im Interview spricht BlaBlaCar-Mitgründer Nicolas Brusson über die Geschichte des Startup-Namens, die schwierigen Eigenarten Europas als Startup-Standort – und darüber, was die Plattform eigentlich ist.

Nicolas, ich muss das zuerst fragen: Wie kam es zu diesem ungewöhnlichen Firmennamen?

(Lacht.) Ursprünglich hieß das Unternehmen Covoiturage – damit kann man international aber nicht starten. Außerdem ist er zu generisch, es heißt übersetzt schlicht „Fahrgemeinschaft“. Die Leute haben dann immer gesagt: „Ich habe über eine dieser ,Covoiturage’-Seiten gebucht.“ Also haben wir überlegt, welche Eigenschaft beim Service wichtig ist. Und das ist, wie gesprächig die Leute sind. Bla, Blabla oder Blablabla. Da die Domain international zu haben und günstig war, haben wir uns für den Namen entschieden.

Im Nachhinein: War das die richtige Entscheidung?

Naja, die Leute reden drüber. Wir reden drüber. Ein funky Name macht sein Marketing allein. Und das soziale Element, das der Name betont, ist wahnsinnig wichtig. Man ist ja auf engstem Raum für potenziell eine lange Zeit.

Bist Du mit der Entwicklung des Unternehmens zufrieden – und was kommt in den nächsten zwei bis drei Jahren?

Wir können in Europa mindestens noch auf das fünf- oder zehnfache anwachsen. Das Potenzial allein mit der gegenwärtigen Plattform und dem dahinter stehenden Geschäftsmodell ist riesig. Und international gibt es noch sehr viele Länder, in denen es einen Dienst wie BlaBlaCar noch gar nicht gibt. Und dort ist das Transportnetzwerk meist sogar besonders schlecht ausgeprägt, in Indien oder Lateinamerika zum Beispiel. In solchen Emerging Markets geht es darum, Mobilität für Massen überhaupt erst möglich zu machen.

Und danach? Wie sieht die Zukunft der Mobilität aus?

Zum einen kann man ja ein Transport-Netzwerk für Menschen aufbauen. Das machen wir gerade. Darauf kann man aber viele andere Sachen aufsetzen. Warentransport zum Beispiel oder auch Versicherungsprodukte. Aber wir bauen auch eine „Trusted Community“ auf, die sich durch Informationen und Ratings der Nutzer auszeichnet. Wir sind das einzige Netzwerk, bei dem die Mitglieder teilweise stundenlang auf engstem Raum nebeneinandersitzen.

Über Uber – Hier geht’s zum zweiten Teil des Interviews

Also ein ganz spezielles soziales Netzwerk?

Heute 25 Millionen Menschen Mitglieder, bald könnten es 200 Millionen sein. Wir bauen ein Vertrauens-Netzwerk auf. In einer Sharing-Community ist das ein wesentliches Element. Man muss sich einmal vorstellen, wie viel wir über eine Person aussagen können, wenn 100 Leute ihre Bewertung abgegeben haben, nachdem sie alle stundenlang zusammengesessen haben. In fünf bis zehn Jahren können wir andere Dienstleistungen auf diesen Informationen aufbauen.

Zum Beispiel?

Da kann man sich ja vieles vorstellen. Wir könnten sogar ein „Enabler“ für andere Startups werden und ein soziales Login ermöglichen. Nur eben mit persönlicheren, auf Peer-2-Peer-Bewertungen basierenden Informationen, die Facebook oder Google so nie bekommen können. Wie vertrauenswürdig ist eine Person? Wir sehen ja in neuen Märkten selbst, wie schwierig es ist, an diese Informationen heranzukommen. Da wäre es natürlich toll, wenn es bereits einen Trust-Broker gebe und wir nicht bei Null anfangen müssten.

Selbst bei Airbnb trifft man die Hosts nicht immer, obwohl man in ihrer Wohnung übernachtet. Und man sieht im Online-Profil vorher meist nur die Wohnung, nicht die Gastgeber. Bei BlablaCar ist es umgekehrt.   Weiterlesen…

„Wir könnten sogar ein ,Enabler‘ für andere Startups werden“, sagt BlaBlaCar-Mitgründer Nicolas Brusson.

Zurück ins Jetzt. Wenn es ums Vertrauen geht, dann muss es ja auch das Gegenteil geben: Was passiert eigentlich, wenn ein BlaBlaCar-Mitglied nicht vertrauenswürdig war?

Man muss da unterscheiden zwischen Vertrauen und Sicherheit auf der einen und Versicherung auf der anderen Seite. Der Account ist erst mal ans Telefon gekoppelt. Damit sind schon einige Informationen bekannt, die verifiziert werden können. Über die Bezahlfunktion sind die Profile künftig dann mit einer Bankverbindung verknüpft. Das hilft beispielsweise, um sicherzustellen, das es keine Fake-Accounts gibt. In Indien machen wir auch ID-Checks, weil die dortige Community das so möchte. Noch aussagekräftiger sind aber die Peer-2-Peer-Reviews. Und die bilden wir ab, mehrere zehn Millionen davon. In Sachen zusätzliche Versicherung arbeiten wir mit Axa zusammen und haben Angebote sowohl für den Fahrer als auch für die Passagiere im Angebot.

Aber gibt es bei den gegenseitigen Bewertungen nicht die Problematik, dass man sich nicht traut, den anderen schlecht zu bewerten, damit man selbst keine schlechte Bewertung bekommt? Airbnb hatte damit ja lange zu kämpfen.

Zu Beginn gab es die. Deswegen haben wir kürzlich den Prozess geändert: Ich kann Deine Bewertung nicht sehen, bevor ich meine nicht abgegeben habe. Damit können Nutzer ehrlich sein.

Die gleiche Lösung also wie bei Airbnb.

Ja. Es gibt aber auch die Möglichkeit, sich an den Mitgliederservice zu wenden, wenn z.B. etwas nicht gut gelaufen ist.

Gibt es eigentlich viele Nutzer, die hauptsächlich mitfahren und welche, die meistens selbst fahren?

Eigentlich mischt es sich ganz gut. Ein Drittel der Nutzer machen beides. Was ganz interessant ist: Viele, die hauptsächlich als Fahrer unterwegs waren, werden nach einigen Jahren zum Passagier. Diese Dynamik unterscheidet uns zum Beispiel auch von Uber, wo die „Funktionen“ klar geklärt sind.

Lass uns nun mal über das Gründen reden. Du warst ja auch eine lange Zeit im Silicon Valley: Wenn Ihr noch mal von vorne anfangen könntet – würdet Ihr das wieder von Frankreich aus machen?

Ganz ehrlich, ich glaube es ist nicht wichtig, wo man startet. Viel entscheidender ist, wo man die Mitarbeiter findet und wohin man expandiert. Etwa die Hälfte unserer Mitarbeiter sitzt heute in Paris: Tech, Produkt, Finanzen, administrative Aufgaben – die zentralen Funktionen. Und dann haben wir mehr als ein Dutzend Büros. In Hamburg, München, Mailand, Madrid, Mexiko oder Sao Paulo.

Und was die Verfügbarkeit von Investment-Kapital oder die Gesetzgebung angeht?

Auch da ist es in Europa ziemlich egal, ob man in Paris, London, Berlin oder Stockholm sitzt. Natürlich gibt es Unterschiede zwischen den Städten. In einem Markt sind die Steuern vorteilhafter, im anderen ist das Arbeitsrecht anders. Aber das sind Kleinigkeiten und sie entscheiden nicht über Erfolg oder Misserfolg.

Sicherlich gibt es dennoch Sachen, die in Europa besser sein könnten.

Natürlich. Es muss vor allem einfacher für hiesige Startups werden, über die Grenzen hinaus zu wachsen. Wenn man ein Unternehmen in Frankreich startet, muss man in Deutschland fast noch mal von vorne anfangen – unter vollkommen anderen Bedingungen. Das kostet Zeit, Geld und Kraft. Europa muss dahingehend „flacher“ werden. Aber das wird noch lange dauern.

Heute ist es für ein europäisches Startup nicht viel leichter, in ein benachbartes Land zu expandieren, als es das für ein US-Unternehmen ist, das nach Europa kommt. Und da die dann meistens größer sind, haben sie einen Vorteil. Mehrwertsteuer, Zahlungen, persönliche Daten – für all das brauchen wir eine einheitliche EU-Regulierung.

Und was die Mentalität der potenziellen Kunden angeht – verstecken sich die Europäer zu sehr hinter dem Status quo? In Paris hat es ja sogar Gewalt gegen Uber-Fahrer gegeben.

Das ist sicherlich der Fall. Aber man darf es auch nicht überbewerten. Uber zum Beispiel hatte in New York die gleichen Probleme wie in Paris. Man denkt manchmal gerne, die ganze USA seien wie das Silicon Valley. Und selbst dort schaut der Gesetzgeber sehr kritisch auf Uber. Zum Beispiel wird die Frage gestellt, ob Uber seine Fahrer nicht fest einstellen muss.

Du sprichst gerne von Uber. Ist das unter dem Label „Mobility“ ein Wettbewerber für BlaBlaCar?

Es nennt sich zwar beides Ride-sharing. Aber die Modelle sind fundamental unterschiedlich. Bei Uber drückt man auf einen Knopf und dann kommt ein Fahrer, der mich an mein gewünschtes Ziel bringt. Unser größtes Asset ist und bleibt die Community. Bei Uber gibt es so etwas nicht.

Gibt es überhaupt einen direkten Wettbewerber?

Nein. Der Wettbewerb sind die unterschiedlichen Optionen, die der Nutzer hat. Unser Hauptwettbewerber sind letztlich jene Autos, die mit freien Sitzplätzen umher fahren, aber auch die Bahn oder Busse.

Fernbusse könnten sich in den vergangenen Monaten gut etablieren, vor allem in Deutschland.

Und das war für uns sogar von Vorteil. Denn so wurde den Leuten bewusst gemacht, dass es günstigere Alternativen zur Bahn gibt. Bei der Suche nach dem günstigsten Preis landen sie dann oft bei BlaBlaCar.

Nicolas, vielen Dank für das Gespräch!

Bild: BlaBlaCar