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paula-hannemann Change.org-Deutschlandchefin Paula Hannemann

Deutschlandchefin Paula Hannemann von Change.org im Interview

Change.org ist keine kleine Polit-Spielerei von weltverbesserlichen Hippies. Die Petitionsplattform wächst um drei Millionen Nutzer pro Monat und kommt mittlerweile auf über 70 Millionen. Das Weiße Haus, das EU-Parlament und weitere Insitutionen setzen auf ihre Beratung. Ihre Petitionen werden teilweise von hunderttausenden Menschen unterschrieben – und oftmals unter dem Druck der Masse oder bei Diskussionen mit Entscheidungsträgern umgesetzt. Deutschlandchefin Paula Hannemann im Gespräch mit Gründerszene.

Was macht Change.org besonders?

Change.org ist mittlerweile ein weltweites Zuhause für soziale Veränderungen, auf dem sich über 70 Millionen Menschen engagieren und sich für Anliegen einsetzen, die ihnen am Herzen liegen. Es gibt sonst keine Plattform, welche so global Menschen zusammen bringt und deren gemeinsames Handeln ermöglicht. Und unser Wachstum ist explosionsartig.

Wie schnell wachst ihr?

Momentan wachsen wir um drei Millionen Nutzer pro Monat. Zu unseren über 70 Millionen Nutzern zählen wir übrigens nur, wer innerhalb eines Jahres mindestens einmal aktiv ist.

Und wie aktiv sind eure Nutzer?

50 Prozent der Nutzer haben mindestens zwei Kampagnen unterschrieben. Eine Unterschrift ist dabei aber nicht mit einem Facebook-Like zu vergleichen. Kampagnen-Ersteller brauchen fortlaufend Unterstützung: Sie schreiben ihren Unterstützern E-Mails mit der Aufforderung zu demonstrieren, Politiker oder Medien anzutwittern und mehr. Online-Petitionen auf Change.org sind die Koordinationsstelle für alle möglichen Protestformen und –taktiken, sei es nun online wie offline. Für Journalisten ist es ein soziales Thermometer für Themen, die Menschen gerade bewegen.

Du selbst bist auf der Plattform sehr aktiv. Warst du schon vorher engagiert oder hat das die Arbeit mit sich gebracht?

Ich habe angefangen bei Greenpeace und entwickelte dort eine Online-Kampagnen-Plattform – daraus ist allerdings nichts geworden. Danach war ich noch beim WWF und bin dann zu Change.org gekommen.

Wie vergleichst Du Greenpeace, WWF und Change.org in Punkto öffentliche Wahrnehmung und erreichte Ergebnisse?

Das ist schwer zu vergleichen. Change.org in der jetzigen Form gibt es erst seit drei Jahren. Die Bekanntheit ist dennoch immens. Aber wir haben nicht die Historie und das Schwergewicht eines Greenpeace oder WWF. Zudem sind wir keine NGO, sondern ein Social Business, eine Plattform. Bei uns machen Menschen Kampagnen – und wir unterstützen sie.

Euer Angebot ist kostenlos. Wie finanziert ihr euch?

Die erste Säule ist eine weltweit erreichbare kostenlose Plattform, die wir mit 18 Teams in 18 Ländern unterstützen. Die zweite Säule sind gesponsorte Petitionen. Das ist zu vergleichen mit einer Facebook-Anzeige und wird nach einem Cost-Per-Action-Modell abgerechnet. Organisationen wie Ärzte ohne Grenzen, Peta oder die UN können so die eigene Unterstützerschaft nachhaltig vergrößern und werden durch unser Movement Supporter Team unterstützt. Die Beträge hierfür variieren je nach Land, in dem man operiert. Zudem wurden wir im letzten Jahr mit 15 Millionen Euro von der Omidyar Group des Ebay-Gründers Pierre Omidyar und seiner Frau Pam unterstützt – hierbei handelt es sich um eine philanthropische Minderheitsbeteiligung, die explizit einen IPO oder Exit ablehnt. Die dritte Säule sind vom Nutzer beworbene Petitionen. Allerdings gibt es hier eine Deckelung bei 1.000 Euro, damit niemand die Plattform mit Werbeanzeigen aufkauft.

Was ist die Kernaufgabe deines Teams?

Ich selbst verantworte das Team für Deutschland. Als Deutschlandchefin bin ich für Teamführung, Kampagnenauswahl, Kommunikation und den Aufbau des Finanzierungsmodells verantwortlich. Ich besorge aber auch Drucker und Papier (lacht). Allgemein ist es unsere Aufgabe, Menschen bei ihren Kampagnen zu unterstützen. Das reicht von einer kurzen Mail an die Initiatoren, wie etwa „Füge deiner Kampagne doch noch ein Bild hinzu“, oder „Schreibe nicht direkt an Angela Merkel, sondern lieber einem lokalen Politiker“. Ebenso unterrichten wir die Presse über neue Kampagnen. Und wir haben einen großen E-Mail-Verteiler, mit dem wir Nutzer über neue Kampagnen informieren.

Du erzählst mit Herzblut von deinem Beruf. Was begeistert Dich daran am meisten?

Ich erhalte jeden Tag etwa zwei E-Mails, dass eine Petition erfolgreich war. Das ist für die eigene Arbeit extrem motivierend, auch weil man weiß, dass es, bevor es das Internet gab, viel weniger Möglichkeiten für diese Menschen gab. Die Kosten, um eine Bewegung zu initiieren, haben sich drastisch verringert. Was großartig ist, denn normalerweise haben Menschen mit wenig Macht auch wenig Geld.

Wo siehst Du Dich dann in zehn Jahren?

Ich kann mir gut vorstellen, dann noch bei Change.org zu arbeiten. Wir sind eine globale Organisation und es gibt spannende Aufgaben. Ich ziehe demnächst aus privaten Gründen nach Vietnam, werde die Rolle der Deutschlandchefin abgeben und innerhalb von Change.org andere Aufgaben wahrnehmen.

Wie kontrollert ihr, dass auf der Webseite kein Schindluder getrieben wird?

Wir sind eine offene Plattform, bei der auch kontroverse Themen erlaubt sind. Aber es gibt eine rote Linie, ein klares Spielfeld und Community-Richtlinien. Was die Grenzen der freien Meinungsäußerung übertritt, tolerieren wir nicht. Wir haben Tracking-Mechanismen und ein User-Support-Team, welches rund um die Uhr etwaigen Hinweisen von Nutzern nachgeht. Im äußersten Fall haben wir die Möglichkeit, Petitionen zu löschen – was aber trotz 25.000 neuer Petitionen pro Monat sehr selten passiert. Das gibt Hoffnung.

Ihr seid fast ausschließlich eine Petitionsplattform. Aber mit euren Nutzern und Mitteln wäre auch mehr möglich. Was habt ihr vor?

Wir werden bestimmt nicht stehen bleiben. Zur Zeit ist die Plattform zum Beispiel noch nicht perfekt auf den Nutzer zugeschnitten. Wir werden uns mehr in Richtung Facebook entwickeln müssen, wesentlich mehr mit sozialen Filtern arbeiten und auch mobil auf dem Smartphone stärker werden. Daran arbeiten wir in den nächsten Monaten. Auch wollen wir Menschen mit einfachen Mobiltelefonen die Möglichkeit geben, an Petitionen teilzunehmen, Stichwort SMS. Auch war Change.org lange Zeit eine Einbahnstraße was den Dialog angeht: Nutzer konnten eine Kampagne an einen bestimmten Entscheidungsträger starten, aber der konnte nicht antworten – mittlerweile ist das über verifizierte Entscheidungsträgerprofile möglich. Nur weil etwas in der Petition steht, muss das nicht die einzig richtige Lösung sein – es muss immer einen sinnvollen Dialog geben, der digital und skalierbar organisiert werden kann. Wir lernen gerade erst, wie Online-Petitionen funktionieren.

Das sind dennoch nur Details. Wollt ihr auch in weitere Bereiche vordringen?

Wir arbeiten unter anderem mit der European Citizen’s Initiative zusammen. Deren Online-Tool ist derzeit so schwierig für Bürger zu benutzen, dass es fast unmöglich ist, die geforderten eine Million Stimmen zu erreichen. Wir stehen im Austausch mit dem EU-Parlament. Das Weiße Haus bat uns, ihnen Tipps zu geben, bevor ihre Petitions-Plattform entwickelt wurde. Wir haben ein Interesse daran, dass Dialogplattformen überall entstehen. Wir haben damit global angefangen, aber hoffen, dass das nicht so bleibt, sondern von vielen Entscheidungsträgern übernommen wird.

Paula, danke für das Gespräch.

Bild: Change.org