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Christian Lindner trifft Lars Hinrichs

Er ist kaum wiederzuerkennen: Einen Fuß auf den Boden gestützt, die Hände ruhen im Schoß, das Gesicht ist ausdruckslos – ruhig abwartend sitzt Christian Lindner am Rednertisch, während hinter ihm sein schreiendes und wild gestikulierendes Abbild über die Leinwand tobt.

Das Hamburger Karriere-Netzwerk Xing hat zum „Spielraum Talk“ geladen, der beginnt – wie könnte es anders sein – mit der inzwischen legendären Wutrede des FDP-Chefs. Rund hundert Vertreter aus Politik und Wirtschaft sind der Einladung gefolgt, um gemeinsam mit Lindner und Xing-Gründer Lars Hinrichs über den gesellschaftlichen Umgang mit unternehmerischem Scheitern zu diskutieren. Nun verfolgen sie lachend und klatschend das Video.

Der Erfolg seiner Rede habe ihn überrascht, sagt Lindner. Die Resonanz habe aber weniger mit seiner Person zu tun, sondern sei vor allem der Thematik geschuldet: „Ich glaube, dass sehr viel mehr Menschen als nur ich selbst es im Grunde leid sind, dass wir in Deutschland diesen Wechsel haben: Wenn du erfolgreich bist, dann hast du zufälligerweise eine gute Idee gehabt und wenn du nicht erfolgreich bist, dann war ja völlig klar, dass das absurd ist, was man sich hat einfallen lassen. Das mögen viele nicht mehr, auch ich nicht.“

Warum denn in Deutschland Unternehmertum so kritisch gesehen werde, will der Moderator wissen. Lindner überlegt. „Wir haben in Deutschland eine gewisse generelle geschmäcklerische Ablehnung wirtschaftlicher Freiheit, Stichwort Neoliberalismus und Turbokapitalismus, und zum anderen ist es vielleicht ein psychologisches Problem. Nämlich, dass man vielleicht selber gerne ins Risiko gehen würde, aber die Courage nicht hat.“ Beides würde er gerne überwinden, sagt der FDP-Chef. Denn Unternehmertum schaffe nicht nur Arbeitsplätze und einen gesellschaftlichen Mehrwert in Form von innovativen Produkten, sondern sei auch für jeden persönlich auf eine große Bereicherung. Er verweist auf seine eigene Erfahrung – auch wenn sein Unternehmen gescheitert ist. „Man hat trotzdem etwas über sich gelernt und ist ein Stück weitergekommen.“

Diese Erfahrung hat auch Lars Hinrichs gemacht. Er sagt: „Rückschläge machen einen nur stärker.“ Hinrichs musste im Jahr 2001 seine Kommunikations-Agentur insolvent melden, zwei Jahre später gründete er Open Business Club, das heutige Xing. Statt immer nur auf die Risiken zu schauen, müsse man sich auf die Chancen konzentrieren und versuchen, aus seinen Fehlern zu lernen, glaubt Hinrichs. „Ein Fehler ist etwas immer erst dann, wenn man etwas zwei Mal falsch macht.“

G Tipp – Lesenswert bei Gründerszene Interview: Biedern Sie sich gerade an die Startupszene an, Herr Lindner?

Dann wendet er sich an den FDP-Chef. „Was waren denn deine Lektionen, Christian?“ Spätestens jetzt wird klar, hier sitzen sich nicht ein Politiker und ein Unternehmer gegenüber, sondern zwei gescheiterte Gründer mit einer geteilten Geschichte. „Du, Lars, also ich finde…“, setzt Lindner zu einer Antwort an. Das obligatorische Startup-Du will bei ihm nicht so recht natürlich klingen. Doch im Laufe der Veranstaltung wird Lindner zunehmend lockerer, punktet mit Eloquenz und Fachwissen.

Auf Fragen aus dem Publikum gibt er klare Antworten: Ja, ganz richtig, bei der Ich-AG sei damals Einiges schiefgelaufen, hier müsse die Politik noch viel lernen. Und ja, das Anstellen von ausländischen Fachkräften müsse vereinfacht, der Kündigungsschutz für kleine Unternehmen gelockert werden. „Aber kein Hire and Fire. So was darf es in Deutschland nicht geben!“

Wichtige Aufgaben für die Politik seien außerdem, die Rahmenbedingungen für privates Wagniskapital zu stärken und eine gemeinsame europäische Datenschutzlinie zu schaffen, um dem europäischen Markt Wachstumschancen zu eröffnen.

Es geht aber nicht nur um Lindners politische Ziele, zahlreiche Hamburger Gründer nutzen die Chance, die beiden Protagonisten persönlich nach ihren Erfahrungen fragen zu können. Ob denn das Gründen alleine oder im Team erfolgversprechender sei, will jemand wissen.

„Im Team“, sagt Lindner. „Auf jeden Fall alleine“, sagt Hinrichs und spielt auf seinen ehemaligen Mitgründer Peer-Arne Böttcher an, mit dem Hinrichs einst die Agentur gegründet und sich später entzweit hatte.

„Da ist jetzt aber Häme drin“, ruft Lindner grinsend, schnappt sich sein Mikro und zeigt mit ausgestrecktem Zeigefinger auf Hinrichs: „Häme-Alarm! Häme-Alarm!“ Und plötzlich ist er wieder da: der lebhafte Lindner aus dem Landtag.

Bild: Katja Scherer