Die Crowdfunding-Plattform Seedmatch hat gerade die Eine-Million-Euro-Marke überschritten. Damit hat die Finanzierungsform zwar einen Meilenstein erreicht. Aber was verbirgt sich dahinter? Worauf müssen Startups und Investoren achten? Gründerszene hat sich die Grundlagen und die Anbieter einmal angesehen und viele Stärken aber auch gewichtige Schwächen bei der Massen-Finanzierung gefunden.
Criwdinvesting Risiken

Crowdfunding: Mehr als ein Modewort?

Dass die Finanzierung über die Masse mehr als nur ein Buzzword des vergangenen Jahres ist, hat sich spätestens vor wenigen Tagen gezeigt: Blumen im Abonnement – für dieses Konzept hat sich das Berliner Startup Bloomy Days 100.000 Euro aus der Crowd gesichert. Auf Seedmatch (www.seedmatch.de) brachten insgesamt 177 Investoren das Kapital in weniger als 100 Minuten zusammen. Im Februar hatte das Dolmetscher-Startup Lingoking innerhalb weniger Stunden die gleiche Summe eingesammelt und damit doppelt ebenfalls so viel frisches Kapital wie ursprünglich erhofft in die eigenen Kassen gespült. Aber ist die Startup-Finanzierung im Jahr 2012 wirklich so einfach geworden, wie es angesichts solcher Erfolgsgeschichten klingen mag?

Natürlich ist einer der Grundbausteine eines jeden Startups die Geschäftsidee. Aber auch weniger romantische Pflichten gibt es zu erfüllen. Dazu gehört sicherlich auch die Frage nach der passenden Finanzierung. Mit einem Business-Angel oder einem Venture-Capitalist etwa können sich Gründer zwar wichtiges Know-how in das eigene Unternehmen holen und auf bestehende Netzwerke zurückgreifen. Dem gegenüber will sich Crowdfunding die Macht der Masse zunutze machen – oder anders formuliert: den Hype per Mundpropaganda gleich zusammen mit der Finanzierung in die Wege leiten.

Zwischen hohen Renditen und Startup-Risiken

Das Konzept ist zunächst einfach erklärt. Die Investoren erwerben eine (stille) Beteiligung an den Startups und sind damit an möglichen Gewinnausschüttungen und am Wachstum des Unternehmenswertes beteiligt. Dabei sollte allerdings nicht vergessen werden, dass Startup-Investments Risikoanlagen sind und als solche zwar mitunter attraktive Renditen in Aussicht stellen, die zu einer Vervielfachung des eingesetzten Kapitals führen können. Dem gegenüber steht aber auch immer ein möglicher Totalverlust des Investments. Renditeversprechen gibt es bei Plattformen wie Seedmatch, Innovestment (www.innovestment.de) oder Bergfürst (www.bergfuerst.com) meist nicht.

Wer garantiert aber den Investoren, dass alles mit rechten Dingen zugeht? Als stille Gesellschafter haben die Geldgeber zwar in der Regel kein Mitspracherecht. Die Startups sind aber meist vertraglich verpflichtet, Quartalsberichte und Jahresabschlüsse für die Investoren zu veröffentlichen. Nicht nur um den Hype zu schüren sollte also gleichzeitig ein reger Austausch stattfinden, damit keine Missverständnisse entstehen und die Investoren immer auf dem neuesten Stand der Dinge sind, sagt etwa Seedmatch-Gründer und -Geschäftsführer Jens-Uwe Sauer (hier übrigens im Interview).

Legale Restriktion beim Finanzierungsumfang

Faktisch ist Crowdfunding in Deutschland derzeit auf eine Summe von 100.000 Euro begrenzt. Hintergrund für diese Marke ist das Verkaufsprospektgesetz: „Ausgenommen von der Prospektpflicht sind nur: […] Angebote, […] bei denen der Verkaufspreis der im Zeitraum von zwölf Monaten angebotenen Anteile insgesamt 100.000 Euro nicht übersteigt, […]“, heißt es dort in § 8f Abs. 3. Somit stehen derzeit die Startups durch das VerkProsG bei einer Finanzierung per Crowdfunding über dieser Summe vor enormen bürokratischen (und finanziellen) Hürden.

Die Kosten für die Erstellung eines Verkaufsprospektes betragen mindestens 12.000 Euro, für die Prüfung des Verkaufsprospekts kommen zusätzlich voraussichtlich noch einmal 6.000 Euro hinzu, rechnet Sauer vor. Mit der Erstellung und Prüfung würden demnach etwa zwei bis drei Monate vergehen, die dem Startup zusätzlich aufgebürdet werden. Für Finanzierungen in Höhe von 200.000 oder 300.000 Euro dürfte dieser Aufwand unverhältnismäßig hoch sein. Damit ist auch das derzeit gehypte Crowdfunding in dieser Größenordnung keine Lösung für Startups, hier klafft eine erhebliche Finanzierungslücke.

Unterschiedliche Crowdfunding-Modelle

Bewusst oberhalb dieser Grenze und mit einem etwas anderen Modell will sich die unter anderem von StudiVZ-Gründer und Business-Angel Dennis Bemmann (hier im Interview) gegründete Plattform Bergfürst etablieren. Bei der jungen Plattform gibt es keine stillen Beteiligungen. Eine Lizenz der Bonner Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) erlaubt es dem Anbieter, Aktien als echtes Eigenkapital zu platzieren – selbst im siebenstelligen Euro-Bereich. Im Anschluss wird dann der Handel dieser Aktien angeboten.

Im Gegensatz zu den Wettbewerbern fokussiert sich Bergfürst also weniger auf Frühphasenfinanzierung, sondern will auch in das Segment der Wachstumsfinanzierung bereits etablierter Geschäftsmodelle vorstoßen, in dem größere Volumina an der Tagesordnung sind. In der Größenordnung von einer bis drei Millionen Euro sollen sich die Emissionen auf Bergfürst bewegen – zumindest, wenn es nach dem Anbieter geht.

Demgegenüber unterscheiden sich die Modelle von Seedmatch und Innovestment übrigens vor allem in zwei Aspekten: Zum einen bestimmt Innovestment die Bewertung eines Startups in einer Auktion, erklärt Innovestment-CEO Filipe da Costa. Das soll attraktiven Startups eine Upside im Finanzierungsprozess ermöglichen, wirbt er. Zweitens möchte man mit einer Mindestinvestition von rund 1.000 Euro und einer Partizipation am Exit-Erlös ein anderes Investorensegment ansprechen.

Knifflig: Die richtige Festlegung des Unternehmenswerts

Das alles klingt zunächst zwar gut für Startups. Allerdings hat das Crowdfunding-Konzept auch mitunter deutliche Schwächen – nicht für jedes Jungunternehmen eignet sich die Finanzierungsform. Die Problematik fängt nämlich bereits bei den Grundlagen an, insbesondere der Festlegung des gegenwärtigen und zukünftigen Unternehmenswerts, der für die Berechnung der Beteiligungsverhältnisse notwendig ist. Schon bei ersterem bietet die meist angewandte Discounted-Cashflow-Analyse einen gewissen Gestaltungsspielraum, der sich im Nachhinein schnell als Fallstrick erweisen kann.

Noch gravierender aber können die Fehler bei der Ermittlung des zukünftigen Unternehmenswertes werden. Oftmals wird hier schlicht EBIT (Earnings before interest and taxes) mal einem „branchentypischen“ Multiplikator gerechnet. Da dieser aber frei wählbar ist und selbst im Branchenvergleich eine große Spannweite aufweist, kann dies in der Euphorie – und wer würde dieser nicht erliegen – schnell zu einer Überschätzung führen – und damit für verärgerte Crowd-Investoren in der Zukunft sorgen.

In Gesprächen mit einem oder mehreren Profi-Investoren könnte all das zwar im Vorfeld oder selbst im Nachhinein vergleichsweise einfach neu verhandelt werden. Beim Crowdinvesting aber würde dies einen erheblichen Aufwand bedeuten beziehungsweise in der Regel nahezu unmöglich sein.

Erhebliche Tücken bei der Vertragsgestaltung

Auch weitere wichtige Fragen müssen im Vorfeld geklärt sein. Können die Anteile im Rahmen von weiteren Finanzierungsrunden verwässert werden? Gibt es Exit-Klauseln, die den Ausstieg der Crowd-Investoren nur zu vorher festgelegten Terminen möglich machen? Oder sind diese gar an eine bestimmte Geschäftsentwicklung gekoppelt? Auch hier können sich erhebliche Tücken ergeben, sowohl für Startups als auch für die Investoren. Mitunter mag es also durchaus sinnvoll erscheinen, auch bei einem Crowdinvesting-Projekt einen VC mit an Bord zu haben, der sein Finanzierungs-Know-how mit in die Vertragsgestaltung einbringen kann.

Zwar kann die Masse hervorragende Beiträge im Bereich Social-Marketing und Steigerung der Bekanntheit von Unternehmen leisten – was auch eines der Kernmerkmale des Crowdinvesting ist. Beim Aufbau von Buchhaltung, Controlling, Rechnungswesen etcetera hilft sie allerdings nicht. Mit solchen Strukturen kennen sich wiederum Venture-Capital- und Private-Equity-Unternehmen aus.

Sofern ein Gründerteam nicht über sehr gute Erfahrung im gesellschaftsrechtlichen, organisatorischen und administrativen Bereich verfügt, betont Bergfürst-CEO Guido Sandler, kann das Crowdfunding bei einem Startup schnell zur Bruchlandung werden, da die vollständigen, richtigen und zeitnahen Unternehmensinformationen nicht bereit gestellt werden können. Passiert dies, kann die Stimmung schnell kippen und das Vertrauen und die Unterstützung ausbleiben.

Kommunikationswille gefragt

Ohne Businessplan geht also auch beim Crowdfunding nichts. Immerhin gilt es zukünftige Investoren zu überzeugen – auch wenn es Privatleute sind. Generell sollte die Geschäftsidee massenfähig sein, also zum einen das Potenzial haben, eine Vielzahl von Menschen zu begeistern. Zum anderen sollte auch das Geschäftsmodell von der Crowd und ihrer Multiplikatorwirkung profitieren können. Das bedeutet insbesondere: Das Produkt muss verständlich sein und einen hohen, nachvollziehbaren Kundennutzen bringen. Nur wenn die (Mund-)Propaganda-Maschinerie – der Hype – schnell in Gang gesetzt wird, kommen die Vorteile der Finanzierungsform zum Tragen.

Nicht zuletzt zählt dabei der Kommunikationswillen des Startups – nur wer sich hier (pro)aktiv zeigt und am Dialog interessiert ist, kann Investoren begeistern. Dahingehend sind sich die Plattformbetreiber einig. Schließlich geht es um das meist hart verdiente Bare. Unzufriedene (Klein-)Investoren können schnell für sehr schlechte Stimmung sorgen und manchmal sicherlich schwieriger zufrieden zu stellen sein als Investment-Profis – wer schon einmal ein typisches Internet-Forum besucht hat, weiß, wie schnell ein Hype auch nach hinten losgehen kann.

Crowdfunding als Zukunftsmodell?

Noch ist Crowdfunding ein recht neues Phänomen, zumindest hierzulande. Es findet derzeit ein Lernprozess statt, sowohl auf seiten der Plattformen wie auch auf Seiten der Startups. Und es gibt noch genug Nachbesserungspotenzial. Erstere müssen insbesondere darauf achten, dass sich das Crowd-Kapital auch mit anderen Finanzierungsformen versteht. Sollten Folgefinanzierungen durch VCs oder Co-Investitionen mit Angels unattraktiv werden, droht dem Crowdfunding ein schnelles Ende.

Jenseits des derzeitigen Hypes können allein erfolgreiche Crowd-Finanzierungsrunden für mehr Verständnis im Markt sorgen, wann eine solche Finanzierung sinnvoll sein kann und welche konkrete Plattform zu welchem Startup passt. Letztendlich sollte auch bei den Investoren im Bewusstsein verankern, dass Startup-Kapital Risikokapital ist – und als solches zwar gute Renditen verspricht, im schlimmsten Fall aber ein Totalverlust droht.

Anders als in vielen anderen Segmenten gibt es derzeit auch in den USA noch keine geeigneten Vorbilder, da aufgrund der bisherigen gesetzlichen Regelungen harte Barrieren für entsprechende Angebote bestanden. Diese wurden nun im Rahmen des Jobs Act von 2012 aufgelöst (was europäische Startups darüber wissen müssen, finden Leser hier auf VentureVillage).

Der Blick auf die Entwicklung des Crowdfunding bleibt also spannend. Direkt vergleichbar sind die Märkte aber nur beschränkt – in den USA war es bereits in der Vergangenheit vergleichsweise einfach, eine Early-Stage-Finanzierung zu erhalten. Um so wichtiger wäre es, dass sich gerade im Größensegment bis 100.000 Euro – und vielleicht auch noch etwas darüber – in Deutschland eine solide Finanzierungsform als Teil des Startup-Ökosystems etabliert.

Bildmaterial: knipseline  / pixelio.de