„Was hat sich seit Snowden geändert? Nichts. Null“

Unsere Daten sind da draußen. Sie schwirren in der Cloud, bei Google, Facebook und auf den Servern des Geheimdienstes NSA herum. Niemand kann genau sagen, wo sonst noch überall. Vor 18 Monaten hat Edward Snowden mit seinen spektakulären Enthüllungen dafür gesorgt, dass es die ganze Welt weiß. Doch die Politik scheint machtlos zu sein, Daten besser zu schützen, ihre Verwendung zu reglementieren. Wir leben in rasend schnellen Zeiten – unsere Regierungsapparate können offenbar nicht Schritt halten. Was sollen wir tun? Antworten sollte es auf einer Veranstaltung in der Humboldt Universität Berlin mit dem etwas sperrigen Namen „Schutz von Privatsphäre und Daten in Zeiten von Big Data, staatlicher Überwachung und digitaler Grenzenlosigkeit“ geben.

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Der ehemalige Innnovationsberater von Hillary Clinton, Ben Scott, konstatierte in seiner Keynote nüchtern: „Eineinhalb Jahre ist es her, seit dem wir durch Edward Snowden wissen, dass die NSA unsere Daten sammelt und analysiert. Was hat sich seit dem geändert? Nichts. Null.“ Man hat sich offenbar mit dem Umstand abgefunden, dass eine Überwachung stattfindet, so Scott. Aber unsere Haltung zum Internet habe sich seitdem dramatisch geändert. Während wir es drei Jahre zuvor, während des arabischen Frühlings, noch als Freiheitsmaschine bejubelt hatten, sei jetzt so etwas wie ein zynischer Skeptizismus spürbar. Man bewege sich wie zuvor durch das Netz – obwohl alle wissen, dass da draußen jemand alle Datenspuren verfolgt und zucke lediglich leicht angewidert mit den Schultern.

Der ehemalige Präsident des Bundesverfassungsgerichts, Hans-Jürgen Papier warnte in seiner Eingangsrede eindringlich vor den Gefahren: „Es gibt keine unsensiblen, persönlichen Daten. Es geht um unsere Freiheit!“ Auf den beiden Podien danach wurde deutlich, wie schwer sich unser Rechtssystem tut, wenn es um digitale Themen geht. Es wurde nicht dafür gemacht. Man sei von Big Data und der unbegrenzten Möglichkeit, alle Daten speichern zu können überrascht worden, hieß es. Und dann wurde vor allem über die USA diskutiert. Die NSA sei anderen Geheimdiensten technisch weit überlegen und in den USA sei es allen klar, dass man alles wissen will und muss, gab Stephan Mayer, MdB und Mitglied des NSU-Untersuchungsausschusses zu bedenken. Offenbar auch, was Kanzlerin Angela Merkel per Handy bespricht. Der BND sei laut Mayer gar nicht in der Lage, alle Bürger in Deutschland abzuschöpfen. Außerdem sei er ein Auslandsdienst mit klaren Regularien, die das nicht zuließen.

Was muss jetzt getan werden?

Ernst Uhrlau, ehemaliger Präsident des BND, präsentierte sich als kühler Pragmatiker: „Die USA haben weltweite Interessen. Keine Freunde. Sie verfolgen eine Strategie der militärischen Unverwundbarkeit und Informationsvorherrschaft. Sie müssen als globaler Player so verfahren. Deutschland nicht.“ Etwas emotionaler sieht es Georg Mascolo, ehemaliger Spiegel-Chefredakteur: „Mit Abhörmaßnahmen gefährdet man Freundschaften zu anderen Staaten. Der Schaden ist größer als die Erkenntnise, die man gewonnen hat.“ Einig war sich die Runde, dass Snowdens Enthüllungen zu einem Umdenken geführt haben. Mascolo hat seinen Optimismus noch nicht verloren: „Nach Snowden hat eine Fülle von Entwicklungen eingesetzt. Ich setze auf das Recht.“ Es sollte rechtlich geklärt werden, wie tief Geheimdienste in die Privatsphäre der Bürger eingreifen dürfen.

Aber was muss jetzt getan werden? Ist das sogenannte „No-Spy-Abkommen“ der richtige Weg? Das Publikum hatte daran große Zweifel. Ein Politikstudent fragte, wie man denn überprüfen wolle, ob sich Regierungen tatsächlich an ein solches Abkommen hielten? Eine Antwort darauf gab es nicht. Reinhard Priebe, ehemaliges Mitglied der Europäischen Kommission: „Der EU fehlt es einfach an Kompetenz, aber es ist schon sehr viel unternommen worden.“ Eine gemeinsame Arbeitsgruppe mit den Amerikanern hätte zu mehr Verständnis in den USA geführt. Aber ohne gemeinsame europäische Standards werde man auf der anderen Seite des Atlantiks einfach nicht ernst genommen – darauf wies Thomas Jarzombek, MdB und Mitglied im Ausschuss Digitale Agenda, hin. Sein Blick richtet sich auch nach Osten: „Man sollte nicht immer nur auf die USA schauen, sondern auch an China und Russland denken.“ Bei allen Beschränkungen und Sicherheitsmechanismen solle man daran denken, dass Daten inzwischen ein wichtiger Wirtschaftsfaktor seien, von dem die Zukunft vieler Unternehmen abhänge.

Firmen wie Google, Facebook oder Amazon leben bereits in dieser Zukunft. Und sie leben gut. Manchmal so gut, dass ihre Macht Ängste auslöst. Weil die Verantwortung für persönliche Daten in unseren digitalen Zeiten auch bei jedem einzelnen Anwender liegt. Jarzombek: „Jede Datenschutztechnik oder Regulierung ist obsolet, wenn die Leute ihre Daten freiwillig hergeben.“ Fans von Smartphones würden mit einem schnellen Mausklick alle Türen und Tore für den Zugriff auf ihre Daten öffnen, ohne jemals die Geschäftsbedingungen zum Beispiel von Apple gelesen zu haben. Facebook und Google seien aber durchaus als Gesprächspartner für die Politik wichtig, weil auch sie vom Vertrauen der Nutzer leben. Immerhin unternähmen sie jetzt viel, um zu zeigen, dass sie nicht mit der NSA kooperieren.

Der US-Journalist Glenn Greenwald hat vor 18 Monaten mit seinen Berichten über den Whistleblower Edward Snowden ein weltweites Erdbeben ausgelöst. Von der Aufregung sei eigentlich nur noch in Deutschland etwas zu spüren, sagte Ben Scott. Schnelle Veränderungen wurden gefordert. Aber es gibt keine. Bis heute. Man fände sich offenbar mit dem Vorgehen der NSA ab. Greenwald will jetzt die gesamten Snowden-Unterlagen öffentlich zugänglich machen. In einem Interview mit der Süddeutschen Zeitung sagt er: „Wir wollen in New York einen Raum schaffen, den Journalisten aus der ganzen Welt aufsuchen können, um direkt mit Snowdens Dokumenten zu arbeiten.“ Offenbar ist es bis jetzt noch nicht gelungen, die gesamten Dokumente zu prüfen. Greenwald: „Ich denke, da gibt es noch etwas, von dem die Welt wissen sollte.“

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