Ilkka Paanane, CEO des Startups Supercell, gibt Einblicke ins Barbarendorf.

Der chinesische Internet-Konzern Tencent investiert 8,6 Milliarden Dollar in die Übernahme des finnischen Startups Supercell. Die Chinesen kaufen dem japanischen Internet-Konzern Softbank für das viele Geld den Mehrheitsanteil von Supercell ab, sie halten nach der Abwicklung des Verkaufs 84 Prozent der Anteile an dem Startup. Die erst 2010 gegründete Firma wird damit mit über zehn Milliarden Dollar bewertet, würde an der Börse auf Augenhöhe mit Dax-Unternehmen wie der Pro7Sat1.-Gruppe oder ThyssenKrupp rangieren. Welches Produkt macht Supercell so wertvoll?

Die Antwort verblüfft: Die Finnen haben das weltweit erfolgreichste Smartphone-Spiel der Welt entwickelt. „Clash of Clans“ heißt der Titel, der die Spieler mit einer Mischung von Strategie- und Aufbauspielprinzip fasziniert – und ihnen geschickt das Geld aus der Tasche zieht. Über 100 Millionen Spieler weltweit täglich nutzen das Spiel oder seinen Ableger „Clash Royale“ sowie die ebenfalls von Supercell entwickelten Spiele „Hay Day“ und „Boom Beach“.

Alle Spiele funktionieren nach dem selben Prinzip: Der Download des Spiels aus den Appstores von Google und Apple kostet nichts, die Einstiegshürde für neue Spieler ist sehr niedrig. Doch wer in dem Spiel schneller weiterkommen will, kann sich den Fortschritt erkaufen, indem er virtuelle „Juwelen“ im Spiel einkauft – diese Juwelen jedoch kosten echtes Geld. Wer im Spiel Edelsteine erwirbt, zahlt mindestens 4,99 Euro – eine ganze virtuelle Kiste kostet satte 99,90 Euro. Theoretisch ist der Einsatz des Spielgeldes freiwillig – praktisch aber kann man im Spiel Überlegenheit erkaufen.

Wie bereitwillig Spieler echtes Geld für diese virtuelle Überlegenheit investieren, zeigen die Umsatzzahlen von Supercell: Die gut 180 Mitarbeiter des Startups erwirtschafteten 2015 weltweit gut 2,3 Milliarden Dollar Umsatz – und generierten daraus gut 900 Millionen Dollar Gewinn. Diese Traumrendite ist möglich, da Supercell neben den Personalkosten nur Marketing-Kosten hat. Die Finnen investieren massiv in Werbung für ihre Spiele, buchten sogar schon Fernsehspots beim Super Bowl.

Prinzipien der sogenannten „Free2Play“-Spiele genutzt

2016 dürfte der Umsatz erneut kräftig wachsen, da die Finnen erst im vergangenen Herbst ihre Spiele auch für den Massenmarkt China online gestellt haben. Während in Europa und den USA vor allem Jugendliche das Barbaren-Spiel zocken, sind in Asien deutlich finanzkräftigere Erwachsene am Touch-Bildschirm. Einer aktuellen Analystenschätzung von Digi-Capital zufolge dürften asiatische Spieler künftig für mehr als 50 Prozent der Umsätze im Mobil-Gaming-Markt sorgen.

Doch was macht ausgerechnet Clash of Clans so erfolgreich? Die Supercell-Programmierer nutzen meisterhaft die Prinzipien der sogenannten „Free2Play“-Spiele: Zu Beginn sind die Einstiegshürden niedrig, und Novizen unter den Spielern können sich über einfache Erfolge freuen. Das eigene Barbarendorf wächst extrem schnell, Gefechte sind leicht zu gewinnen. Damit stimuliert das Spiel geschickt das Belohnungszentrum im Gehirn, das bei Erfolgen Dopamin ausschüttet. Derselbe Mechanismus, diagnostizieren Suchtforscher, ist bei Drogensüchtigen beim Konsum einer Dosis Kokain aktiv.

Doch je weiter der Spieler im Spiel aufsteigt, desto schwieriger wird der Fortschritt: Dauert am Anfang ein Upgrade der eigenen Verteidigungsmauern nur 15 Minuten, gehen in späteren Spielstufen leicht 24 Stunden ins Land. Der Bau mancher Spiel-Einheiten dauert gar bis zu 14 Tage. Der stete Stimulus zum Mini-Dopamin-High bleibt aus. Wer den Ausbau des eigenen Dorfes beschleunigen will, muss Juwelen kaufen – und investiert im Rausch des Spieles schnell dreistellige Summen.

„Clash of Clans“ bestimmt seit 2013 die Gespräche auf Schulhöfen weltweit. Es ist ein Favorit von zehn- bis 13-Jährigen Jungs, die täglich Stunden mit dem Kampf um virtuelle Barbarendörfer verbringen. Je mehr Zeit die Spieler mit ihrem Barbaren-Clan verbringen, desto besser können sie ihr Dorf gegen Angriffe anderer Spieler verteidigen. „Die Kinder spielen gemeinsam, und geraten gegenüber den Klassenkameraden unter Druck, wenn sie im Spiel zurückfallen“, erklärt Medienpädagogin Cordula Dernbach von der Erziehungsberatung der Caritas in Bayern. „Clash of Clans“ ist ein Gruppen-Spiel – die Spieler spielen gemeinsam in einem Clan, und helfen sich gegenseitig bei Angriffen konkurrierender Gruppen.

Wie lange hält die Sucht an?

„Manche Kinder setzen alles verfügbare Geld für den Einkauf in den Spielen ein.“ Dernbach musste bereits Eltern beraten, die von ihren Kindern beklaut wurden – nur weil die zwanghaft noch mehr Geld für Juwelen ausgeben wollten. „Die Spiele machen den Eltern die Kontrolle fast unmöglich“, erklärt die Medienpädagogin. Der Einkauf im Spiel wird über Apples iTunes-Konten abgewickelt – die aber können die Kinder per Guthaben-Karte aufladen, die sie unbemerkt von den Eltern in jeder Tankstelle und jedem Supermarkt erwerben können.

Fraglich ist, wie lange die Sucht anhält: Zwar pflegen die Finnen ihren Umsatzbringer „Clash of Clans“ mit immer neuen Updates, um die Spieler interessiert zu halten. Dennoch ist das Spiel aktuell in den Downloadcharts von Apples deutschem Appstore bereits nicht mehr vertreten. Anscheinend kann „Clash of Clans“ hierzulande nicht mehr allzu viele neue Spieler gewinnen. Der Ableger „Clash Royale“ hängt auf Platz 71 der Umsonst-Download-Charts, die übrigen Titel von Supercell fehlen ganz in der Liste.

Auch bei den In-App-Umsätzen ist „Clash of Clans“ in den vergangenen Monaten hinter vergleichbare Konkurrenten wie „Mobile Strike“ vom Supercell-Konkurrenten „Epic War“ zurückgefallen. Die jugendliche Zielgruppe ist notorisch bekannt dafür, dass Spiele-Hypes nur eine begrenzte Lebensdauer haben – leicht wechselt die Aufmerksamkeit des gesamten Schulhofs auf einen neuen Spiele-Hit, der neue leichte Anfangs-Erfolge verspricht.

Wie leicht ein einstiger Superstar unter den Spieleentwicklern in Schwierigkeiten geraten kann, können die Finnen von Supercell in der eigenen Nachbarschaft begutachten: Im finnischen Espoo, nur 20 Autominuten vom Supercell-Sitz in Helsinki entfernt, sitzt die Spielefirma Rovio, die den Spielehit „Angry Birds“ entwickelt hat.

Die Firma nahm zu Hochzeiten des Spiels 2013 über 170 Millionen Dollar ein und machte 36 Millionen Dollar Gewinn. Doch „Angry Birds“ hat seinen Höhepunkt überschritten, diverse Nachfolger waren weniger erfolgreich. Rovio musste einen Umsatzeinbruch verzeichnen, der Gewinn fiel 2015 auf unter zehn Millionen Dollar. Vielleicht hat Softbank „Supercell“ zum genau richtigen Zeitpunkt verkauft.

Dieser Artikel erschien zuerst auf Welt Online.

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