Business people talking in office meeting

Deutsche Unternehmen sind darauf getrimmt, besonders effizient zu sein. Auf diese Weise haben Produkte aus „Germany“ die Weltmärkte erobert. Trotz relativ hoher Löhne gelten die hiesigen Firmen international als äußert wettbewerbsfähig. So sehr, dass nicht wenige Neider im Ausland unterstellen, das alles könne nicht mit rechten Dingen zugegen. Dabei haben viele deutsche Unternehmen einfach nur einen klaren Fokus.

Doch die deutsche Effizienz fordert auch ihren Tribut. Immer mehr qualifizierte Mitarbeiter sind der Meinung, dass die eigene Kreativität vom Unternehmen nicht ausreichend gewürdigt wird. Viele empfinden ihre Firma als Ideengruft und äußern sich entsprechend unzufrieden.

Für den Wirtschaftsstandort Deutschland wird das zunehmend zum Problem. Wie der Aufstieg des Silicon Valley zeigt, sind ganz neue Ansätze und originelle Ideen eine Ressource, auf die Unternehmen in der Wissensgesellschaft schlicht nicht verzichten können.

Von Innovationslust und Experimentierfreude ist die deutsche Wirklichkeit allerdings oft meilenweit entfernt: „Fast ein Fünftel der Fachkräfte hat das Gefühl, dass ihre Ideen im Unternehmen ausdrücklich nicht erwünscht sind“, heißt es in einer Studie der Online-Jobbörse StepStone und der Personalberatung Kienbaum, in der die Organisationsstrukturen deutscher Betriebe unter die Lupe genommen wurde. Die Welt hatte vorab Einblick in die Untersuchung.

Langfristig steht die Wettbewerbsfähigkeit infrage

Die tägliche Arbeit in vielen Firmen ist vielfach vom trägen Rhythmus hierarchischer Abstimmungsprozesse und dem Entscheidungstakt wöchentlicher Vorstandssitzungen geprägt, sagt StepStone-Geschäftsführer Sebastian Dettmers. Zeitgemäß sei das nicht. „Die Dynamik der Märkte zwingt Unternehmen aber zu immer mehr Flexibilität und schnellerem Handeln.“ In der digitalen Welt werden die Innovationszyklen immer kürzer.

Firmen ohne eine Kultur der offenen Tür, also ohne die Bereitschaft, das kreative Potenzial der Mitarbeiter zu nutzen, werden den Kampf um die klügsten Köpfe verlieren, sind die Experten überzeugt. Damit steht dann langfristig auch die Wettbewerbsfähigkeit infrage. Talentierte Fachkräfte reagieren besonders empfindlich auf verkrustete Strukturen und suchen das Weite. Und in der Ära der Digitalisierung mit ihren extrem kurzen Entwicklungszyklen sind unbesetzte Stellen an sich schon ein Problem.
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Nach der Studie von StepStone und Kienbaum haben nicht weniger als 45 Prozent der Fachkräfte schon einmal den Arbeitgeber gewechselt, weil sie unzufrieden damit waren, wie in ihrer Firma Entscheidungen getroffen werden und wie mit neuen Ideen umgegangen wird. Am wenigsten zufrieden sind Mitarbeiter in starren, hierarchisch organisierten Betrieben. Das ist genau die Organisationsform, die in Deutschland vorherrscht.

Viele Häuptlinge verkomplizieren das Bild

Besonders gefrustet sind übrigens Beschäftigte, wenn sie gleich mehrere direkte Vorgesetzte haben. Für die Motivation und auch Produktivität der Spezialisten ist es nach Ansicht der Forscher essenziell, dass sie ihre Rolle in der Gesamtstrategie der Unternehmen verstehen. Viele Häuptlinge, die teils widersprechende Anweisungen erteilen, verkomplizieren das Bild.

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„Eine gute Führungskultur im Unternehmen spielt bei Jobentscheidungen von qualifizierten Spezialisten eine entscheidende Rolle“, erläutert Walter Jochmann von Kienbaum Consultants International. Das gelte sowohl für den Bewerbungsprozess als auch für die langfristige Motivation und die Bindung an den Betrieb. „Klassische Hierarchien sind angesichts der dramatischen Veränderungen durch die Digitalisierung nicht mehr zeitgemäß“, ergänzt Dettmers.

Tatsächlich müssen Firmen mit einer mangelhaften Ideenkultur künftig damit rechnen, dass sie noch größere Schwierigkeiten haben werden, Fachkräfte für sich zu gewinnen und zu binden. Flexible und „agile“ Betriebe, in denen sich Mitarbeiter weitgehend selbst organisieren und Projekte an den Start bringen, sind in der Bundesrepublik nur wenig verbreitet. Die Experten beziffern den Anteil auf unter drei Prozent.

Schwache „Kultur der offenen Tür“

Nur 13 Prozent der Beschäftigten von Konzernen sind davon überzeugt, dass es in ihrem Unternehmen um Innovation geht – 60 Prozent sehen den Fokus hingegen auf Effizienz. Am schwächsten ist die „Kultur der offenen Tür“ (also der Bereitschaft für unkonventionelle Ansätze) im öffentlichen Dienst ausgeprägt, aber auch Banken messen die eigenen Angestellten wenig Bereitschaft zur Neuerung bei. Selbst im IT-Sektor finden weniger als die Hälfte der Fachkräfte (40 Prozent), dass Kreativität honoriert wird.

Wie eine aktuelle Analyse zeigt, ist es in manchen Gegenden schon jetzt dramatisch schwierig, qualifizierte Mitarbeiter zu finden. „Der Fachkräftemangel erfasst immer mehr Branchen“, diagnostiziert Susanne Seyda, Ökonomin am Institut der deutschen Wirtschaft Köln. Sie hat die Situation bundesweit untersucht und kommt zum Schluss, dass vor allem der wirtschaftsstarke Süden der Republik vor ernsten Problemen steht. Dabei geht es oft um Akademiker, aber nicht nur.

„Dass Ingenieure, Pflegekräfte und Lehrer fehlen, ist ja schon länger bekannt. doch mittlerweile werden in einigen Regionen Deutschlands auch Fachkräfte in der öffentlichen Verwaltung knapp.“ Händeringend gesucht werden ohne Zweifel Softwareentwickler, aber auch Speditionskaufleute sowie Garten- und Landschaftsbauer. Im Osten der Republik ist die Lage aktuell noch etwas weniger angespannt als im Westen. Das wird nicht so bleiben. „Bereits in den vergangenen fünf Jahren hat sich die Situation in den Neuen Ländern deutlich verschärft“, sagt die Arbeitsmarktexpertin.

Junge Menschen ziehen häufig aus ländlichen Regionen in die Großstädte, weshalb der Fachkräftemangel in Berlin aktuell zum Beispiel noch relativ gering ist. Die Kehrseite sind Engpässe auf dem Land. In Thüringen fehlen relativ gesehen schon jetzt so viele Fachkräfte wie in Hessen.

Probleme in Bayern und Baden-Württemberg

In den südlichen Bundesländern suchen besonders viele Arbeitgeber schon jetzt vergebens Mitarbeiter mit den gewünschten Qualifikationen. „In Baden-Württemberg waren zuletzt mehr als 70 Prozent der Stellen schwer zu besetzen, in Bayern fast zwei Drittel“, heißt es in einer Untersuchung des Instituts der deutschen Wirtschaft. Diese Zahlen sind fast schon alarmierend. Das Institut zählt nicht weniger als 269 Berufe, bei denen es Engpässe gibt. Das sind 58 mehr als noch vor fünf Jahren.

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„Fachkräfte von heute suchen nach Unternehmen, in denen sie Verantwortung übernehmen und Entscheidungen eigenverantwortlich treffen können“, betont Dettmers. Und warnt die Firmen davor, die Modernisierung auf die lange Bank zu schieben. In der digitalisierten Welt seien Entwicklungen und Reaktionen in Echtzeit nötig. „Je nach Region und Beruf müssen die Betriebe passgenaue Lösungen suchen“, rät Ökonomin Seyda. Konkret schlägt sie zum Beispiel vor, dass Firmen je nach Situation ihren Spezialisten auch das Arbeiten von zu Hause anbieten. Bewerbungsgespräche mit hoch qualifizierten Kandidaten, die weiter weg wohnen, könnten per Videotelefonie durchgeführt werden.

StepStone und Kienbaum haben für die Studie „Organigramm deutscher Unternehmen: In welchen Strukturen Fachkräfte künftig arbeiten wollen“ mehr als 14.000 Fach- und Führungskräfte befragt.

Dieser Artikel erschien zuerst auf Welt.de.

Bild: Getty Images / Sam Edwards