Wenn Computer-Bildschirme eine genaue Stresskurve anzeigen

Stress hat viele Gesichter. Nur das Resultat ist immer gleich. Ob man frühmorgens verschlafen hat, schlecht gelaunte Kinder angezogen und zur Kita gebracht werden müssen, ein Berg Arbeit im Büro wartet, ein Bewerbungsgespräch ansteht oder einfach nur ein unangenehmer Termin bevorsteht – der Blutdruck steigt, der Körper verspannt sich. Und dann sind da noch die Amtsgänge, der Haushalt, die Steuererklärung.

Wer ganz genau wissen will, wie gestresst er wann ist, kann dies jetzt mithilfe neuer Technik sehr detailliert nachvollziehen. Dafür gibt es kleine, tragbare Geräte.

Deren Sensoren horchen in den Körper hinein, eine Software bereitet die Daten auf und zeigt sie übersichtlich als Stresskurve auf dem Bildschirm des Computers. So kann der Träger auf einen Blick sehen, wann es Phasen höchster Anspannung gab und wann sich der Körper wieder entspannt hat.

Sensoren sollen Diabetes erkennen

Die Daten dafür liefert zum Beispiel der Stress-Checker. Das Produkt des niederländischen Anbieters Respilex ist einer der sogenannten Health-Tracker, die für weniger als 100 Euro vermehrt im Handel auftauchen. Es sind Geräte, dicht bepackt mit Sensoren, die Körperfunktionen wie den Blutdruck überwachen, vor bedrohlichen Symptomen wie Herzrhythmusstörungen warnen oder Krankheiten wie Diabetes diagnostizieren.

Anders als die schon weitverbreiteten Fitness-Tracker von Fitbit, Jawbone oder Samsung sind es medizinische Geräte. Aber sind die Daten, die sie liefern, auch verlässlich, interpretierbar und sicher?

Wer permanent die Tracker am Körper trägt, könnte sich selbst um seine Vorsorge kümmern und diagnostizieren, ob es sich bei auftretenden Beschwerden um eine ernsthafte Erkrankung handelt. Mancher Gang zum Arzt würde dadurch überflüssig – so zumindest sehen es die Anbieter. Ihren Optimismus stützen sie vor allem auf Innovationen rund um die Sensortechnik. Die Messfühler werden zusehends günstiger und kleiner, massenhaft davon befinden sich bereits in Armbändern, T-Shirts und selbst in Kontaktlinsen. Dank ausgefeilter Technik leisten sie immer mehr.

Infrarotlicht misst den Blutstau

Eine große Rolle spielt bei den Sensoren in Health-Trackern Licht, unter anderem aus dem Infrarotbereich. Genau so bekommt auch der Stresschecker seine Daten. IR-Sensoren messen die Blutstauung und somit den Herzschlag. Daraus berechnet das Gerät die Herzschläge pro Minute sowie die Zeit, die dazwischen liegt.

Dieser Zeitraum beschreibt die Herzrhythmusvariation, die etwas über den Zustand des vegetativen Nervensystems aussagt, letztlich also über die Anspannung des Körpers. Aus diesen Messwerten soll sich dann das Stressniveau bestimmen lassen.

Apple will in seiner ersten Smartwatch sowohl Infrarotwellen als auch sichtbares Licht einsetzen. Eingebaute Leuchtdioden geben rotes und grünes Licht verschiedener Wellenlängen auf die Haut ab, ein optischer Sensor misst die Reflexion. Die unterscheidet sich je nach Blutfluss, mit dem wiederum Rückschlüsse auf Herzfrequenz und Blutdruck möglich sind. Kombinieren lassen sich die optischen Sensoren mit einem Mini-EEG, wie Samsung es in seinem Prototyp Simband verarbeitet hat. Damit kann das Armband erkennen, wie regelmäßig das Herz schlägt.

Epileptiker sollen vor Anfällen gewarnt werden

Häufig arbeiten Sensoren in Health-Trackern mit Strom und prüfen darüber die Leitfähigkeit der Haut. Empatica will mithilfe dieser Technik und des Armbands Embrace sogar Veränderungen im Gehirn erfassen. Zusammen mit Daten über Körperaktivitäten und Schlafqualität sollen Epileptiker vor einem möglicherweise tödlichen Anfall gewarnt werden.

Weltweit arbeiten Forscher an weiteren Detektoren, die künftig noch mehr Signale aus dem Körper analysieren könnten. Koreanische Forscher haben einen Sensor aus flexiblem Kunststoff entwickelt, der auf Gänsehaut reagiert. Bilden sich bei Aufregung kleine Erhebungen der Haut, verformt sich das hauchdünne Plättchen und liefert Informationen über den Zustand des vegetativen Nervensystems.

Papier statt Plastik setzen Forscher der University of Cincinnati ein. Ihr Spezialpapier saugt Schweiß auf, eine Membran im Innern sortiert bestimmte Ionen aus, und Mikroelektronik ermittelt die Konzentration der Ionen. Schwitzt der Träger zu wenig, gibt der Sensor leichte Stromimpulse in die Haut.

Das fördert die Schweißproduktion. Schweiß enthält nach Angaben der Forscher viele medizinisch relevante Informationen. Durch die Analyse sei zu erkennen, wann dem Träger des Trackers Krämpfe drohen, veränderte Laktat- und Harnstoffwerte im Schweiß sollen auf chronische Nierenleiden hinweisen.

Winzige Mikrofone hören den Herzschlag ab

Ohne Mikroelektronik geht bei den Health-Trackern nichts mehr. Dazu gehören winzigste Mikrofone, die den Herzschlag abhören, sowie Sensoren, die bestimmte Chemikalien aufspüren – zum Beispiel Aceton oder Stickoxide als Marker für eine mögliche Diabetes oder eine Lungenkrankheit.

Auch Google hat den Markt für sich entdeckt und will tief in unser Innerstes blicken. Teilchen in Nanometer-Größe sollen mit bestimmten Antikörpern verbunden und in den Blutkreislauf gebracht werden, um sich dort an Moleküle zu heften, die auf Krebserkrankungen oder drohende Herzattacken hinweisen. Google plant, ein Armband mit Sensoren auszustatten, die diese Nano-Marker erfassen: Treten sie gehäuft auf, schlägt das Band Alarm.

So vielfältig die Sensoren, so unterschiedlich sind auch die Health-Tracker selbst. Der Stresschecker zum Beispiel erhält seine Werte über einen Clip, der ans Ohrläppchen geklemmt wird. Daran angeschlossen ist ein kleiner Signalkasten, der die gemessenen Daten per USB-Anschluss an den Computer überträgt.

Kopfbänder erfassen Hirnaktivitäten

Die meisten Tracker jedoch haben die Form eines Armbands wie das GoBe, das den Stresslevel anzeigt sowie Wasserbedarf, Blutdruck und Schlafqualität ermittelt. Ebenfalls angeboten werden Kopfbänder, die Hirnaktivitäten erfassen, sowie mit Sensoren bestückte T-Shirts von OMsignal oder Hexoskin, die Herz- und Atemfrequenz registrieren.

Google arbeitet an einer Kontaktlinse für Diabetiker, die in Echtzeit den Blutzucker überwacht. Eine ungewöhnliche technische Lösung plant Anbieter Azoi. Sein Wello genanntes Produkt ist eine mit Sensoren gespickte Schutzhülle für Handys. Es soll ausreichen, das Mobiltelefon nur kurz in die Hand zu nehmen, und schon werden Blutdruck, Sauerstoffgehalt des Blutes, Körpertemperatur und Lungenfunktionen gemessen.

Mediziner zweifeln an Genauigkeit

All das klingt praktisch – doch Mediziner haben schon mehrfach ihre Zweifel geäußert. Die Tracker würden nur ungenaue Ergebnisse liefern und wenig über den Zustand des Körpers aussagen. Außerdem könnten viele Anwender die Resultate nicht sinnvoll interpretieren, dazu fehle ihnen das medizinische Fachwissen.

Um verlässliche Informationen zu sammeln, müssen die Geräte außerdem zahlreiche persönliche Daten mit einbeziehen. Im Hinblick auf den Datenschutz ist das durchaus heikel.

Noch problematischer ist es, wenn die per Tracker gesammelten Daten in der Cloud, also auf einem zentralen Server eines Unternehmens, verarbeitet werden oder in Kombination mit einer App auf dem Smartphone landen. Ein illegaler Zugriff auf die sensiblen Informationen im Mobiltelefon ist dann nicht mehr auszuschließen.

Heikel ist es zudem, die Informationen auf öffentlich zugängliche Online-Plattformen zu laden, wie es manche mit den Daten machen, die ihre Fitness-Tracker für sie sammeln. Ist dann für jeden einsehbar, dass der zuvor hohe Stresslevel während der Arbeitszeit rapide gesunken ist, dürfte das auch für den Arbeitgeber interessant sein.

Dieser Artikel erschien zuerst in der Welt.

Bild: © panthermedia.net / Warren Goldswain