Geldanlage, Online

An jedem Dienstag um acht Uhr in der Früh wird telefoniert. Es geht immer um ein wichtiges Projekt. So wichtig, dass es in den Hierarchien der beteiligten Banken ganz oben angesiedelt ist. Die zuständigen Vorstände sind es, die wöchentlich miteinander sprechen, und einer der Beteiligten sagt: „So viel Eintracht habe ich in meinen vielen Jahren in der Branche selten erlebt.“

Im Alltag wird das Projekt von 40 Leuten im elften Stock eines Bürohauses in Frankfurt am Main, nahe der Messe, vorangetrieben. Es sind die Mitarbeiter führender deutscher Banken, die dort gemeinsam mit externen Zahlungsexperten an nicht weniger als einem neuen Internet-Bezahlverfahren für jedermann arbeiten.

Paydirekt heißt es. Das grün-blaue Logo ist fertig. Die Testphase startet gerade. Spätestens zum Weihnachtsgeschäft sollen die Deutschen bei ihrer Einkaufstour durch das Internet das neue Verfahren anklicken können, kaum dass ihr Warenkorb gefüllt ist.

Markt im Umbruch

Paydirekt ist der verzweifelte Versuch der deutschen Banken, sich in der digitalen Welt nicht vollständig von ausländischen Zahlungsanbietern wie Paypal an den Rand drängen zu lassen. Mit Blick auf die Datensicherheit wäre eine deutsche Lösung angesichts der jüngsten Spionageskandale aber auch aus Kundensicht wünschenswert.

Mittlerweile erinnert bei Paydirekt jedoch einiges eher an die erfolglosen Versuche, eine europäische Suchmaschine im Kampf gegen Google zu positionieren oder den angelsächsischen Ratingagenturen Standard & Poor’s und Moody’s eine Agentur aus Europa entgegenzusetzen.

Der weltweite Markt für Bezahlsysteme ist im Umbruch. Die Deutschen begleichen an der Ladenkasse zwar immer noch vier von fünf Einkäufen mit Münzen und Scheinen – ungeachtet aller vehement geführter Debatten, ob das Bargeld ganz abgeschafft werden sollte. Doch immer seltener stehen die Konsumenten überhaupt an einer Kasse. Sie kaufen lieber beim Online-Händler. Schätzungen gehen davon aus, dass im Vorjahr bereits zehn Prozent des Einzelhandelsumsatzes aus dem Netz kam. Vor fünf Jahren waren es erst fünf Prozent.

Dadurch gewinnt das elektronische Geld unweigerlich an Bedeutung – zumal das Smartphone auch an der Ladenkasse nach vorne drängt. Wer die Hauptrolle spielt, wenn es um das Bezahlen der Zukunft geht, ist aus Sicht vieler Online-Händler klar. Laut Umfrage des Handelsinstituts ECC unter gut 350 Händlern werden im Jahr 2020 Paypal, Amazon und Google mit ihren Bezahllösungen den deutschen Markt beherrschen.

„Banken und Sparkassen dagegen, die auf Verbraucherseite nach wie vor ein hohes Vertrauen genießen, sehen die Online-Händler erst auf dem vierten Platz“, heißt es in der im Frühjahr vorgestellten Studie „Payment im E-Commerce“. Ein kleiner Trost: Der High-Tech-Konzern Apple, der mit seinem Bezahlverfahren Apple Pay zuletzt für Schlagzeilen sorgte, belegt in der Umfrage nur den fünften Platz.

Andere Anbieter sind längst enteilt

Dass nur wenige Händler den Finanzinstituten eine dominierende Rolle zutrauen, ändert nichts daran, dass sie die Neulinge gerne sehen. „Grundsätzlich begrüßen wir den Wettbewerb bei Zahlungssystemen“, sagt Ulrich Binnebößel, Zahlungsexperte des Handelsverbands Deutschland (HDE). Banken brächten alle Voraussetzungen mit, um ein erfolgreiches System zu etablieren. Ihre Girokonten seien schließlich Ausgangsprodukt aller Verfahren, zudem könnten Banken ihre Kunden gut einschätzen, auch das Risiko, dass sie nicht zahlen. „Das ist ein großer Startvorteil gegenüber anderen Anbietern“, so Binnebößel.

Das Problem: Viele andere Anbieter sind längst losgelaufen. Die hatten zwar diesen Startvorteil nicht, sind aber trotzdem weit enteilt. Paypal hat mittlerweile elf Jahre Erfahrung in Deutschland und 15 Millionen Kunden. Auch andere Internetzahlsysteme wie Sofort Überweisung können auf eine mittlerweile zehnjährige Praxis verweisen.

Hinzu kommt: Diese Anbieter sind dem Internethandel bereits entwachsen. Hier gehen zumindest die Planungen längst in Richtung Bezahlen per Smartphone. „Für den Marktstart von Paydirekt wäre es gut, wenn auch die Banken gleich eine mobile Lösung mit anbieten würden“, sagt Binnebößel.

Das freilich, man ahnt es, ist im ersten Schritt nicht geplant. Dass Paydirekt überhaupt so weit gekommen ist, grenzt angesichts des vielstimmigen und von Konkurrenz geprägten deutschen Bankenmarktes schon an ein kleines Wunder.

Lange hat es gedauert, bis Vertreter der Genossenschaftsbanken und privaten Banken – allen voran der DZ Bank, der Deutschen Bank und der Commerzbank – sich überhaupt auf eine E-Commerce-Lösung einigen konnten und im Vorjahr eine Gesellschaft gründeten, um eine einheitliche Zahlungsplattform zu entwickeln. Nun sind auch die Sparkassen noch aufgesprungen. Jedes der drei Bankenlager ist dem Vernehmen nach mit rund 25 Millionen Euro dabei.

Rangeleien haben bereits begonnen

Doch es zeichnet sich bereits ab, dass die Eintracht nur anhält, bis die technische Plattform für das neue Bezahlverfahren steht. Je näher die Vermarktungsphase des Produktes rückt, desto mehr ist sich wieder jeder selbst der Nächste. Die Rangeleien haben bereits begonnen.

So wurde ein Interview der beiden Geschäftsführer der Paydirekt-Gesellschaft GIMB mit der „Welt am Sonntag“ in dieser Woche Minuten vor dem vereinbarten Termin abgesagt – ein ungewöhnlicher Vorgang. Es wäre das erste Mal gewesen, dass sich Niklas Bartelt und Helmut Wißmann offiziell zu dem neuen Bezahlverfahren geäußert hätten. Dem Vernehmen nach gab es innerhalb der Bankengruppe im letzten Moment unterschiedliche Meinungen darüber, wer nun in welcher Form das Projekt in der Öffentlichkeit vertreten soll.

Dabei hätten die Geschäftsführer durchaus Positives berichten können. Die Technik ist offenbar fertig. „Paydirekt ist im Zeitrahmen. In den kommenden Wochen laufen die internen Tests“, sagt Thomas Ullrich, Vorstand der genossenschaftlichen DZ Bank, der Schweigen gegenüber der Öffentlichkeit nicht länger für eine Lösung hält. Ab August werde man in einer Pilotphase auf einzelne Kunden zugehen, die dann erstmals bei ausgewählten Händlern bezahlen könnten. „Anfang November geht Paydirekt an den Start“, so Ullrich.

Am Erfolg hat er naturgemäß keinen Zweifel: „Wir bringen mit Paydirekt das direkte, sichere und einfache Bezahlen mit dem Girokonto in den Internethandel“, sagt Ullrich. Das seien für Kunden wichtige Argumente. Und in Richtung der Kritiker fügt er an: Der E-Commerce-Handel sei nur ein erster Schritt. Wenn das Verfahren für den Internethandel funktioniere, sei es möglich, auch das mobile Bezahlen per Smartphone an der Ladenkasse darüber laufen zu lassen.

Paypal ist außen vor

Die erfahrenen Internet-Einkäufer unter den Kunden wird vieles an Paypal erinnern – mit dem Unterschied, dass Paypal außen vor ist. „Das Geld geht direkt vom Girokonto ab, der Kunde muss nur seinen Benutzernamen oder seine E-Mail und ein Kennwort eingeben, da ist kein Dritter dazwischengeschaltet“, so Ullrich. Dieses Verfahren mittels Lastschrift habe für den Kunden den Vorteil, dass die Zahlung später noch rückgängig gemacht werden könne, falls die Ware nicht bei ihm ankommt. Und der Händler habe die Gewissheit, dass beim Kunden genug Geld auf dem Konto ist, sonst werde die Zahlung gar nicht erst ausgelöst. Käuferschutz und Händlergarantie sind auch hier die Schlagworte.

Über die Höhe der Gebühren, die Händler für das neue Verfahren bezahlen müssen, will der DZ-Bank-Vorstand nichts sagen. Dass die Banken den Handel vor allem über deutlich niedrigere Gebühren als bei Paypal für sich gewinnen wollen, versteht sich von selbst.

Das ist freilich nur eine Einnahmequelle für die Banken. Lohnend wird es vor allem, wenn es gelingt, dem Internetshopper weitere Produkte zu verkaufen. „Es ist Sache jeder einzelnen Bank, welche ergänzenden Produkte sie dem Kunden noch anbietet. Das kann ein Ratenkauf, eine einfache Versicherung oder ein Rechnungsservice sein“, so Ullrich.

Spätestens an dieser Stelle wird klar, warum aus Partnern fast zwangsläufig wieder Konkurrenten werden müssen. Denn jedes Institut wird im zweiten Halbjahr versuchen, mittels eigener Werbekampagnen und in Gesprächen möglichst viele Kunden von Paydirekt zu überzeugen – und zwar von seinem Paydirekt. Da viele Kunden mittlerweile nicht nur ein Girokonto haben, wird für jede einzelne Bank entscheidend sein, welches Konto für das neue Verfahren freigeschaltet wird. Nur dann verdient die Bank Geld.

Paypal reagiert gelassen

Die getrennte Vermarktung ist zwar nicht zuletzt aus kartellrechtlichen Gründen geboten, doch der eigentliche Gegner gerät dadurch schnell aus dem Blickfeld. Und das ist gerade nicht die Sparkasse um die Ecke, sondern Paypal & Co.

Bei Paypal gibt man sich angesichts der Konstellation auf der Gegenseite fast generös. „Der Online-Handel in Deutschland wächst kräftig, da ist sicherlich für einen weiteren Zahlungsanbieter noch Platz“, sagt Deutschland-Chef Arnulf Keese. Er sehe der neuen Konkurrenz gelassen entgegen. Sowohl Händler als auch Konsumenten würden sich fragen: Warum brauche ich das? Bei Paypal bekomme der Kunde bereits heute alle präferierten Zahlungsarten aus einer Hand, er könne zwischen Überweisung, Lastschrift und Kreditkarte wählen. Seit Oktober biete Paypal zudem den Rechnungskauf für eBay-Händler an.

Und noch eine Spitze hat Keese parat: Banken seien traditionell gut darin, Geld von A nach B zu schicken. Aber im Umgang mit Kunden, die etwa unzufrieden mit dem gelieferten und bereits bezahlten Fernseher sind, hätten die Banken wenig Erfahrung. „Käuferschutz kann man leicht versprechen, aber am Ende muss er in der Praxis funktionieren – sowohl für Käufer als auch für Händler. Dieses Vertrauen baut sich nur sehr langsam auf, man muss es sich Stück für Stück verdienen“, so Keese.

Zahlungsvielfalt als Wettbewerbsvorteil

Ob die Banken Paypal allein gegenübertreten, ist noch offen. Mögliche Partner bringen sich zumindest in Stellung. „Wir streben grundsätzlich Kooperationen mit Banken an“, sagt Gerrit Seidel, Chef von Sofort Überweisung. Bereits heute gebe es mit einzelnen Instituten Marketing-Partnerschaften, dazu gehöre etwa die Berliner Direktbank DKB.

Für sein Haus spreche, dass man sich ganz auf den Zahlungsbereich konzentriere. „Wir sind anders als die Amerikaner keine Gefahr für die Banken“, sagt Seidel. Man habe nicht vor, den Banken die Kunden abspenstig zu machen und vielleicht auch noch ein Konto oder einen Kredit zu verkaufen. Das mittelfristige Ziel definiert er selbstbewusst: „Wir sind ein bankenunabhängiges System und wollen zu einem einheitlichen paneuropäischen Bezahlverfahren beitragen und damit ein europäisches Gegengewicht zu den amerikanischen Karten- und Wallet-Lösungen bilden“, sagt Seidel. Wie dies aussehen könnte, vermag er bislang allerdings auch nicht zu sagen.

Noch ist ein paneuropäisches Zahlungssystem in weiter Ferne. Was nicht nur an den Zahlungsdienstleistern liegt, sondern vor allem an den Kunden. Das weiß man kaum irgendwo besser als bei Zalando, einem der größten deutschen Online-Händler. Der Konzern ist in 15 Ländern in Europa vertreten und bietet 20 unterschiedliche Zahlverfahren. Zwischen Vorkasse, Kreditkarte, Paypal und Rechnung können deutsche Kunden wählen. Auf Rechnung ist dabei klare Nummer eins hierzulande. Italienische Kunden zahlen dagegen am liebsten an der Haustür, französische per Kreditkarte.

Bei Zalando sieht man die Zahlungsvielfalt in Europa sogar als Wettbewerbsvorteil. „Die vielen verschiedenen lokalen Lösungen, auf die wir uns eingestellt haben, machen es Modekonzernen aus Amerika oder Asien schwer, auf den europäischen Markt vorzudringen“, sagt Boris Radke, oberster Kommunikator der Berliner. Die Vielfalt als Markteintrittsbarriere.

Dieser Artikel erschien zuerst in der Welt.

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