Die Unternehmen haben in Sachen digitale Strategie noch Nachholbedarf.

In Autofabriken schweißen schon lange nicht mehr Arbeiter sondern Roboter die Fahrzeugteile zusammen, Reisen werde heute online und nicht im Reisebüro gebucht und die letzten Videotheken und DVD-Läden kapitulieren gerade vor den Streamingangeboten im Internet. Die Digitalisierung und der zunehmende Einsatz von Robotern verändern die Wirtschaft. Erst in dieser Woche hat die EU-Kommission ihre ambitionierte Strategie vorgestellt, in Europa einen einheitlichen digitalen Binnenmarkt zu schaffen.

Die Digitalisierung ist in aller Munde, aber viele Angestellte hierzulande haben das Gefühl, dass die Manager in ihrem Unternehmen viel über technische Umbrüche reden, ohne sie tatsächlich anzupacken. Das ist das Ergebnis einer groß angelegten Umfrage der Technologie- und Strategieberatung Accenture.

Die Untersuchung liegt der Welt vor. Die Arbeitnehmer sind demnach gegenüber neuer digitaler Technologien weit aufgeschlossener als die Unternehmen selbst – und das, obwohl sie selbst von der Digitalisierung betroffen sind.

Tatsächlich haben sich bis heute erschreckend wenige Unternehmen in Deutschland den technologischen Veränderungen gestellt. Beinahe zwei Drittel der befragten Unternehmen hierzulande haben demnach noch keine digitale Strategie für das gesamte Unternehmen, und das obwohl die digitale Revolution bereits seit vielen Jahren läuft.

Nur jeder vierte Manager will grundlegende Änderung

Immerhin 45 Prozent der Firmen wollen zwar innerhalb der nächsten drei Jahre eine Digitalstrategie entwickeln und umsetzen; aber beinahe jedes dritte Unternehmen erwägt noch nicht einmal, die Geschäftsstrategie der Digitalisierung anzupassen.

Zudem setzen deutsche Unternehmen überdurchschnittlich stark darauf, mithilfe neuer Technologien ihre existierenden Prozesse zu automatisieren oder anzupassen. Die Arbeitsweise des Unternehmens grundlegend ändern, um sie der neuen digitalen Welt anzupassen, will allerdings nur ein Viertel der Manager.

„Die Vergangenheit lehrt, dass die deutsche Industrie mit dieser Strategie bisher ganz gut gefahren ist“, sagt Clemens Oertel, Geschäftsführer in der Strategieberatung von Accenture und verantwortlich für digitale Strategien.

„Die Digitalisierung hat aber eine neue Qualität. Die Geschwindigkeit der Veränderung hat sich extrem erhöht und die Innovationszyklen verkürzen sich dramatisch. Deshalb ist auch das Risiko größer, erst einmal abzuwarten, was die anderen machen. Mehr Mut, Dinge auszuprobieren, wäre deshalb sicher nicht verkehrt.“

Viele Unternehmenslenker warten offenbar erst einmal ab, anstatt den digitalen Umbau der eigenen Firma einzuleiten: Ganze 70 Prozent der befragten Manager sagten in der Umfrage, dass sie keine Vorreiterrolle bei der digitalen Transformation in ihrer Branche übernehmen wollten.

Keine Vorreiterrolle gewünscht

Stattdessen ziehen sie es vor, auf bereits laufende Entwicklungen aufzuspringen oder zu einem späteren Zeitpunkt erprobte digitale Konzepte der Konkurrenz zu übernehmen.

Dieser Befund deckt sich mit denen anderer Erhebungen. Eine Studie des Instituts der Deutschen Wirtschaft Köln (IW Köln) ergab jüngst, dass nur ein Drittel der Unternehmen hierzulande bereits auf die digitale Arbeitswelt ausgerichtet sind.

Den betroffenen Mitarbeitern machen die Untätigkeit und das Abwarten offenbar Sorge. Das zeigt eine separat durchgeführt Umfrage unter Angestellten von Accenture zu dem gleichen Thema. Insgesamt wurden für die Studie 2.500 Arbeitnehmer und 500 Führungskräfte in Europa befragt, davon kamen 500 Arbeitnehmer und 60 Manager aus Deutschland. Auch wenn die Umfrage damit für Deutschland nicht repräsentativ ist, kann sie eine Tendenz anzeigen.

Beinahe die Hälfte der befragten Arbeitnehmer hierzulande befürchtet der Angestellten-Umfrage zufolge, dass das eigene Unternehmen nicht reif ist für die Digitalisierung.

Die meisten Arbeitnehmer erwarten von der Digitalisierung positive Auswirkungen.

Ein Grund für die Unruhe dürfte sein, dass die ganz überwiegende Mehrheit der Angestellten in Deutschland davon ausgeht, dass die technologische Entwicklung den eigenen Arbeitsplatz in den kommenden drei Jahren grundlegend verändern wird. Lediglich 28 Prozent und damit weit weniger als ein Drittel der befragten Arbeitnehmer erwarten keinerlei Auswirkungen der Umwälzungen auf die tägliche Arbeit.

Jeder zehnte Arbeitnehmer erwartet negative Auswirkungen

Trotz der erwarteten erheblichen Auswirkungen auf das eigene Arbeitsumfeld sind die Beschäftigten hierzulande grundsätzlich offen gegenüber dem technologischen Wandel. Auf vier Arbeitnehmer, die davon ausgehen, dass digitale Technologien ihren Arbeitsplatz und die tägliche Arbeit in den kommenden Jahren verbessern werden, kommt gerade einmal ein Arbeitnehmer, der befürchtet, dass der technologische Wandel sich negativ auf das eigene Arbeitsumfeld auswirken wird.

46 Prozent der Befragten gehen demnach von positiven Auswirkungen aus, zehn Prozent erwarten negative Folgen und ein relativ großer Anteil von 44 Prozent erwartet, dass die Digitalisierung unterm Strich weder besonders positive noch negative Folgen für die eigene Arbeit haben wird.

Immerhin ein gutes Drittel der Arbeitnehmer rechnet sogar damit, dass neue Technologien wie Roboter, Apps, Datenanalyse und künstliche Intelligenz die eigenen Jobaussichten verbessern werden. Der Anteil der Angestellten, die davon ausgehen, dass ihre beruflichen Aussichten unter den technologischen Veränderungen leiden könnten, ist dagegen mit 13 Prozent relativ gering.

Angst vor Überwachung

Dabei sehen die Angestellten die Entwicklung nicht nur durch die rosarote Brille, sondern nehmen durchaus auch erhebliche Risiken der neuen Technologien wahr: Mehr als drei von vier Arbeitnehmern sind demnach besorgt oder sehr besorgt darüber, dass ihr Arbeitgeber künftig Technologien nutzen wird, um sie auf Schritt und Tritt zu überwachen.

Verglichen mit Arbeitnehmern in anderen großen Volkswirtschaften, in denen die Umfrage ebenfalls durchgeführt wurde, fürchten sich die Deutschen besonders vor der Überwachung durch den Chef; nur die Franzosen haben noch größere Angst davor.

Arbeitnehmer treibt zudem die Sorge um, künftig mit der technologischen Entwicklung nicht Schritt halten zu können. Immerhin 75 Prozent der Teilnehmer gaben in der Befragung an, sie erwarteten, dass der Druck auf sie steigen werde. In anderen europäischen Volkswirtschaften wie Spanien, Frankreich und Italien ist diese Furcht allerdings noch ausgeprägter.

Dieser Artikel erschien zuerst bei Die Welt.

Bilder: Die Welt