Findet, einige in der Politik sollten weniger twittern und dafür mehr machen: Wirtschafts-Staatssekrtär Dirk Wiese
Findet, einige in der Politik sollten weniger twittern und dafür mehr machen: Wirtschafts-Staatssekrtär Dirk Wiese

Dirk Wiese, parlamentarischer Staatssekretär im Bundeswirtschaftsministerium und SPD-Politiker, ist zu uns in die Redaktion gekommen, um über die Startup-Szene zu reden. Darüber, was ihr fehlt, wo die Politik für sie zu langsam ist und was der Staat für sie tut.

Herr Wiese, Unternehmertum ist derzeit ein „In“-Thema, in der Politik wird gerne darüber geredet und selbst Unterhaltungsformate im Fernsehen setzen schon darauf. Schauen Sie „Die Höhle der Löwen“?

Wenn ich mal Zeit finde.

Glauben Sie, die Show spiegelt das Startup-Leben wider?

Ein bisschen schon: Bei jedem „Pitch“ kommt es darauf an, sein Geschäftsmodell überzeugend zu präsentieren und auf kritische Fragen eine schlüssige Antwort parat zu haben.

Und hilft sie, den Gedanken des Unternehmertums in die Breite zu tragen?

Um wirklich Unternehmertum als Gedanken in Deutschland zu verankern, sind andere Initiativen wichtiger. An Schulen zum Beispiel oder in den Regionen. Um aber Interesse und Aufmerksamkeit zu wecken, ist die Show vielleicht gar nicht so schlecht. Vorbilder und erfolgreiche Startups verringern auch die Hemmungen vor dem Schritt in die Selbstständigkeit. Weil der Arbeitsmarkt gerade sehr aufnahmefähig ist, hat die Gründungsbereitschaft in den letzten Monaten und Jahren ja sogar etwas abgenommen. Diesen Trend müssen wir umkehren und mehr die Chancen einer Unternehmensgründung aufzeigen.

Also fehlt noch ein generelles Verständnis für Unternehmertum?

Ein wesentlicher Aspekt dabei ist ja die fehlende Kultur des Scheiterns und die Frage, ob wir das schon überwunden haben. In Berlin ist es kein Makel mehr, wenn jemand sein Startup vor die Wand gefahren hat oder vielleicht erst mit der dritten Idee erfolgreich wird. In ländlichen Regionen ist man dann allerdings erst einmal Dorfgespräch. Daran müssen wir noch viel arbeiten. Aber es wird besser.

Sie haben die Schulen bereits angesprochen. Dort passiert heute so gut wie nichts in Sachen Unternehmertum und Digitalisierung. Wie kann man das ändern?

Schule ist zunächst einmal Ländersache. Wir unterstützen die Länder aber durchaus schon in einigen Bereichen. Um die Länder bei ihren Digitalisierungsanstrengungen langfristig unterstützen zu können, müssen wir aber das Kooperationsverbot im Bildungsbereich lockern. Dann könnten wir auch langfristig Digitalisierungsprojekte an Schulen und besonders auch an Berufsschulen finanzieren. Denn dort werden die zukünftigen Fachkräfte unterrichtet.

Davon ausgehend, dass das Kooperationsverbot so schnell nicht fällt – was kann noch getan werden?

Digitale Whiteboards müssen flächendeckend eingeführt werden, die Computerausstattung modernisiert werden. Tablets müssen in die Klassenräume. Aber auch neue pädagogische Ansätze und Weiterbildung für Lehrer sind gefragt. Einige Schulen machen das ja schon. Bei anderen stehen derzeit vielleicht noch andere Dinge im Vordergrund – manchmal müssen eben auch die Toiletten neu gemacht werden. In NRW gibt es zum Beispiel das Programm Gute Schule 2020. Ein richtig guter Ansatz.

Wie wichtig sind digitale Startups überhaupt für die wirtschaftliche Entwicklung in Deutschland? Sind sie schon bald der neue Mittelstand?

Sie sind der Mittelstand von morgen und damit aus Deutschland auf jeden Fall nicht mehr wegzudenken. Ich stamme ja aus einer Generation, die mit Digitalisierung aufgewachsen ist, angefangen beim Commodore 64. Mir ist daran gelegen, Startups zu fördern, die neue Ideen und Geschäftsmodelle einbringen. Manchmal werden Startups ja sogar als Bedrohung für den deutschen Mittelstand gesehen. Ich komme aus Südwestfalen, da findet bereits ein Umdenken statt. Etablierte Firmen arbeiten etwa mit Startups aus dem Hochschulbereich zusammen und loten Synergieeffekte aus. Es geht also mehr um Kooperation und Wandlung als um Ablösung.

Klappt die Zusammenarbeit zwischen Konzernen beziehungsweise Mittelstand und Startups ihrer Meinung nach denn gut? Es gibt so viele Inkubatoren, Acceleratoren oder Beteiligungsprogramme – sind die Ergebnisse dafür nicht etwas mau?

Vielleicht sind die Ergebnisse wirklich noch nicht so sehr sichtbar. Das liegt auch an der Vielfalt von Projekten, Kooperationen und Investments. Aber vor allem bei den Mittelständlern, die im Alltagsgeschäft weder Zeit noch Ressourcen für große Startup-Programme haben, finden tolle Annäherungsprozesse statt. Und ich sehe da auch schon erste große Erfolge: Es werden Produktionsabläufe geändert, es findet Vernetzung statt.

Wie genau unterstützt die Politik diesen Prozess?

Man muss da natürlich früh ansetzen, viele Mittelständler haben vielleicht gerade mal ein IHK-Seminar zum Thema Industrie 4.0 besucht. Deswegen hat das Wirtschaftsministerium bundesweit elf Kompetenzzentren für Digitalisierung aufgebaut, die mittelständische Unternehmen unterstützen. In diesem Jahr werden noch weitere hinzukommen. Die ersten sechs davon werden noch im Sommer starten. In Deutschland ist die Industrie nicht konzentriert in den Ballungszentren, sondern in der Fläche verteilt. Dorthin müssen wir Digitalkompetenz bringen. Voraussetzung für all das ist ein gutes Breitbandnetz.

Und daran mangelt es noch.

Wir sind dabei, die Lücken zu schließen. Gerade erst wurden neue Fördermittel vergeben. Ich habe selbst für meinen Wahlkreis einen Fördermittelbescheid über 10 Millionen Euro entgegennehmen können. Wenn die Leitungsgeschwindigkeit nur zwei Megabit beträgt, brauchen wir über Digitalisierung gar nicht zu reden. Unser Ziel ist 50 Megabit bis 2018. Aber auch das kann nur ein Etappenziel sein. Wir brauchen bis 2025 flächendeckend Gigabit-Anschlüsse.

Telekom-Chef Tim Höttges hat sich mit seiner Forderung, die Netzneutralität aufzugeben, in der Startupszene wenig Freunde gemacht. Wie wichtig ist ein gleichberechtigter Zugang für alle?

Ich halte den Grundgedanken der Netzneutralität für richtig. Wenn man Breitbandversorgung und Internetanschluss als Teil der Daseinsvorsorge versteht, sie also mit Wasser und Strom gleichsetzt, dann muss auch jeder den gleichen Zugang haben.

Was macht die Politik eigentlich für Startups? | Weiterlesen…

Bild: Dirk Wiese


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Stichwort Regulierung: Sind sie mit dem Weißbuchprozess zufrieden, der vor Kurzem auf der Cebit vorgestellt wurde und der digitale Plattformen regulieren soll?

Ja. Ich finde es faszinierend, wie viele Menschen sich schon an diesem Diskussionsprozess beteiligt haben. Wir haben schon positives Feedback bekommen und auch gute Anregungen, was vielleicht noch fehlt. Es ist wichtig, solche Prozesse frühzeitig anzustoßen. Künftige Koalitionen werden hier ansetzen können.

Bei der Regulierung geht es meist um Einschränkung, man denke an das Thema Fusionskontrolle oder Hate-Speech. Muss es gerade für die digitale Wirtschaft nicht mehr Freiheit geben, damit Deutschland international mitspielen kann?

Es ist im digitalen Bereich natürlich immer schwierig, nur national zu regulieren. Deswegen diskutieren wir über den digitalen Binnenmarkt auch auf europäischem Level. Aber man muss auch immer daran denken, arbeitsrechtliche Auswirkungen und vieles andere zu beachten. Gerade deswegen braucht es Diskussionsprozesse wie das Weißbuch Arbeit 4.0, in dem es um Arbeitsflexibilität geht. Gerade kürzlich haben wir in Berlin-Kreuzberg mit jungen Gründern über die Vereinbarkeit von Familie und Beruf gesprochen. Was passiert denn, wenn ich in der nächsten Stunde das Geld für drei Monate verdienen kann, aber keinen Babysitter finde? Solche Herausforderungen müssen auch betrachtet werden.

So einiges, was die Große Koalition für Startups tun wollte, wurde letztendlich nie realisiert. Das VC-Gesetz zum Beispiel.

Das ist die Frage, ob das Glas halbvoll oder halbleer ist. Das, was wir auf den Weg gebracht haben, kann sich aber schon sehen lassen. Etwa die Einstiegsprogramme Exist und Invest oder der Hightech-Gründerfonds. Wir unterstützen Startups jetzt auch gezielt in der Wachstumsphase. Mit dem coparion-Fonds und der neuen Wachstumsfazilität stellen wir 750 Millionen Euro dafür bereit. Denn gerade die Wachstumsphase ist entscheidend, ob sich ein Startup auch auf dem Markt etablieren kann. Insgesamt stehen in den nächsten Jahren 2 Milliarden Euro zur Förderung von Startups zur Verfügung. An manchen Stellen hätten wir uns mehr gewünscht. Natürlich muss sich das Wirtschaftsministerium da aber auch mit anderen Ressorts einigen, was nicht immer ganz einfach ist.

Damit spielen Sie auf die Spannungen zwischen dem Bundeswirtschafts- und dem Bundesfinanzministerium an. Wieso gibt es die?

Es liegt natürlich ein bisschen in der Natur der Sache, dass das Bundeswirtschaftsministerium als Impuls- und Ideengeber immer wieder vorangeht und auf ein erstaunliches Beharrungsvermögen im Finanzressort trifft. Aber wir bringen das Finanzministerium in vielen Gesprächen und mit viel Geduld oft konstruktiv auf den richtigen Weg.

Bei was zum Beispiel?

Gerade erst bei den Abschreibungsmodalitäten geringwertiger Wirtschaftsgüter. Das klingt sperrig, aber es geht darum, ob ein Startup ein iPad als Arbeitsmittel sofort von der Steuer absetzen kann oder nicht. Seit den Sechzigerjahren lag die Grenze dafür bei 400 Euro, jetzt konnten wir sie nach langem Hin und Her auf 800 Euro anheben. Das ist ein großer Erfolg. Dass Verlustvorträge bei Kapitalerhöhungen und beim Anteilseignerwechsel eines Unternehmens in Zukunft erhalten werden können, war auch nicht ganz leicht gegenüber den Kollegen durchzusetzen. Dies ist für Startups aber oft entscheidend, um an frisches Kapital zu kommen und wachsen zu können.

Sie sagen, die Startup-Förderung in Deutschland könne „sich schon sehen lassen“. Ist der Anspruch so niedrig? Immerhin ist man im Land so stolz auf den Mittelstand, weil er weltweite Champions hervorgebracht hat.

Wir Sauerländer sind ja immer etwas zurückhaltend und für kurze Sätze bekannt. Insofern ist das schon ein großes Lob. Und man sieht bei den vielen Wettbewerben im Land, zuletzt etwa auf der Cebit, wie viele faszinierende Ideen es gibt und Gründerinnen und Gründer, die sie umsetzen.

Ist ihnen da etwas im Gedächtnis geblieben?

Ja, eine junge Gründerin, die eine App gebaut hat, mit der man den Kleiderschrank scannt und dann morgens Vorschläge für das Tages-Outfit bekommt. Was mich auch immer wieder begeistert, ist, was im Gesundheitsbereich in Zusammenarbeit mit den Hochschulen passiert. Oder beim Handwerk. Ein Freund von mir ist gelernter Bäcker, hatte aber keine Lust mehr, früh morgens in der Backstube zu stehen. Also hat er das Startup Keks Kreator gegründet, wo Firmen zum Beispiel ihr Logo auf Kekse drucken lassen können.

Haben Sie das auch schon gemacht?

Ja, es gibt auch einen „Dirk Wiese SPD“-Keks.

Zurück zum Thema Startup-Förderung: Ist das Angebot an Fördermöglichkeiten von Exist bis German Accelerator nicht zu unübersichtlich? In der Redaktion erreichen uns regelmäßig Anfragen, wo man einen Überblick bekommt.

Auf der Webseite des Bundeswirtschaftsministeriums gibt es eine Broschüre, die alles gut zusammenfasst. Über unsere Website gelangen Sie auch auf die Förderdatenbank, die systematisch die Förderprogramme und Finanzhilfen des Bundes, der Länder und der EU auflistet. Das Wirtschaftsministerium gibt aber auch gerne telefonisch oder per Mail Auskunft über die unterschiedlichen Programme. Auch auf den Startup-Nights des BMWi kann man sich informieren. Die nächste findet übrigens am 30. Mai zum Thema Gesundheitswirtschaft statt.

Gibt es denn schon Erfolgsgeschichten aus den Programmen?

Das braucht natürlich seine Zeit. Mister Spex oder eGym sind gute Beispiele.

Die Programme gibt es aber auch schon seit einer Weile.

Das ist richtig und auch gut so. Wichtig ist, dass viele junge Unternehmer überhaupt erst den Schritt in die Selbstständigkeit gegangen sind. Auch nach der Gründungsphase sind wir mit gut 2.400 Förderungen durch Invest und über 460 durch den High-Tech Gründerfonds (HTGF) finanzierten Unternehmen sehr zufrieden. Beim HTGF legen wir bereits den dritten Fonds auf. Und den ERP/EIF-Dachfonds haben wir in dieser Legislaturperiode zusammen mit dem Europäischen Investitionsfonds (EIF) von einer Milliarde Euro auf 2,7 Milliarden Euro aufgestockt. Bisher haben wir über diesen Dachfonds bereits in 59 Wagniskapitalfonds investiert, die sich an über 760 Startups und jungen innovativen Technologieunternehmen beteiligt haben. Das zeigt, dass die Mittel abgerufen werden. Und dahinter stehen viele Erfolgsgeschichten.

Herr Wiese, vielen Dank für das Gespräch!

Einige Fragen hat Dirk Wiese direkt vor der Kamera beantwortet:


Bild: Dirk Wiese