Ein Beitrag von Dominik Schmidt, Rechtsanwalt bei der Kanzlei Fechner Rechtsanwälte in Hamburg.

Forenbetreiber müssen für beleidigende Kommentare der Nutzer haften – das hat vor kurzem der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) bestätigt (Urt. v. 16.06.2015, Az. 64569/09). Während in der Presse von „weitreichende Folgen für europäische Internetnutzer und Unternehmen“ die Rede ist, liegt die Entscheidung des Gerichts tatsächlich auf der Linie der deutschen Rechtsprechung in ähnlichen Situationen.

Was war passiert?

Ein estnisches Nachrichtenportal hat in einem Artikel kritisch über eine Fährgesellschaft berichtet, die ihre Fährrouten geändert und so den Bau sogenannter Eisstraßen verhindert hat. Dadurch haben die Bewohner einiger estnischer Inseln, die im Winter nur über diese Straßen durch das Eis erreichbar sind, ihre Verkehrswege gefährdet gesehen. In der Folge kam es im Kommentarbereich des Portals zu beleidigenden und hetzerischen Kommentaren und Aufrufen zur Gewalt gegen die Fährgesellschaft.

Das Unternehmen kontaktierte deshalb das Nachrichtenportal und forderte es auf, die rechtsverletzenden Kommentare zu löschen. Das Portal hat diese erst nach sechs Wochen entfernt. Da das dem Fährunternehmen nicht schnell genug war, hat es das Nachrichtenportal verklagt und vor einem estnischen Gericht gewonnen. Das Gericht hat dem Fährunternehmen Entschädigung zugesprochen, die in dem Fall bei geringen 320 Euro lag.

Die Entscheidung des EGMR

Der EGMR hat dieses Urteil nun bestätigt. Er entschied, dass das Nachrichtenportal in diesem Fall für den Inhalt der rechtsverletzenden Nutzer-Postings und -Kommentare verantwortlich war und die Hetze sowie die direkte Gewaltandrohung – auch ohne Hinweis des Fährunternehmens – hätte löschen müssen.

Es sei zwar grundsätzlich so, dass Nutzer-Postings nicht von vornherein gefiltert werden müssten, da das die Meinungsfreiheit zu sehr einschränken würde. In diesem Fall habe das Medium aber die Postings aktiv betreut und auch technisch die Möglichkeiten gehabt, die rechtsverletzenden Kommentare schneller als erst nach sechs Wochen zu löschen. Weiterhin habe das beklagte Nachrichtenportal in der Vergangenheit in vergleichbaren Fällen bereits von sich aus unzulässige Kommentare gelöscht und würde deshalb über die Kontrolle des Kommentarbereichs verfügen.

Wirklich weitreichende Folgen?

Eigentlich ist das, was der EGMR geurteilt hat, nichts Neues. Das Urteil liegt auch im Einklang mit der deutschen Rechtsprechung.

Zwar besteht im Online-Recht nach dem sogenannten „Haftungsprivileg“ keine aktive Prüfungspflicht eines Seitenbetreibers und keine Haftung für Nutzer-generierte Inhalte wie Kommentare. Davon gibt es allerdings wichtige Ausnahmen: Immer dann, wenn ein Betreiber nach außen hin sichtbar die inhaltliche Verantwortung für veröffentlichte Kommentare übernimmt und diese zum Beispiel aktiv prüft, moderiert, kuratiert oder wirtschaftlich auswertet, macht er sich diese Inhalte „zu eigen“. Dann sind Nutzer-erstellte Inhalte aber wie eigene zu bewerten – mit der Folge, dass für sie gehaftet werden muss. Das hat der Bundesgerichtshof in Deutschland bereits in der „Marions-Kochbuch“-Entscheidung formuliert (vgl. BGH, Urt. v. 12.11.2009, Az. I ZR 166/07).

Gleiches gilt, wenn rechtswidrige Nutzer-Postings nachdem ein Medium davon erfahren hat nicht nach dem „Notice-and-take-down“-Prinzip überprüft und (zumindest zeitweise) gelöscht werden. Oder, wenn ein Portal selbst dazu auffordert, rechtsverletzende Postings zu erstellen. Dann drohen unter anderem Unterlassungs- und Schadensersatzansprüche, die schnell ins Geld gehen können.

Darauf sollten Betreiber achten

Wichtig ist, dass diese Haftungsregeln nicht nur für Nachrichtenportale gelten, sondern auch für andere Kommentar- und Fanseiten sowie Nutzer-Postings auf Facebook, Twitter, Instagram und Co. Lässt ein Startup also in sozialen Netzwerken und auf der eigenen Seite Nutzer-Postings zu, sollte es auf Hinweise zu Rechtsverletzungen zügig reagieren. Eine „Posting-Netiquette“ zu etablieren, kann ebenfalls nicht schaden. Immer, wenn die Kommunikation mit Nutzern, Fans und Followern moderiert wird, sollten problematische Beiträge im Zweifel vorsorglich deaktiviert, geprüft und gegebenenfalls gelöscht werden, um größeren Ärger zu vermeiden.

Bild: Alashi / Getty Images