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Ärger im Insta-Paradies?

Ein Beitrag von Roland Eisenbrand, Chefredakteur bei Online Marketing Rockstars.

Es ist eine Brandrede: „Zurzeit, und schon seit einer Weile, erlebt Instagram einen Aufstieg der Fake Influencer“, schreibt Nicki Sunderland in ihrem Blog EatLiveTravelDrink. Sie habe eine lange Liste von Leuten, die das System betrügen, indem sie Follower kaufen und Engagement faken. In einem langen Artikel erklärt sie, woran sie dies erkennt – und nennt auch vier ihrer Ansicht nach „Fake Influencer“ namentlich. Mit dabei ist auch ein deutscher Reise-Instagrammer.

Wenn man Influencer frage, wie sie ihre Reichweite aufgebaut hätten, würden sie in der Regel antworten, weil sie guten Content hätten, mit ihren Follower interagierten oder weil sie von großen Accounts gefeatured worden seien. Die Wahrheit sehe oft anders aus. „Es wird immer gängiger, dass Leute Follower kaufen, um sich für Firmen attraktiver zu machen. Und der Kauf von Followern geht meist mit dem Kauf von Likes einher, damit es so aussieht, als ob die Menschen den Content mögen. Manche kaufen sogar Kommentare“, schreibt Reisebloggerin Sunderland (Update, Mittwoch 5. April, 13:25 Uhr: Mittlerweile ist der Text offline, er ist derzeit aber noch über Google-Cache abrufbar). Dieses Phänomen müsse angesprochen und angegangen werden.

„Niemand wächst so schnell in einem Monat“

Sie habe bereits vor einiger Zeit damit begonnen, im Rahmen ihrer „Instagram Stories“ zu erklären, wie man gefakte Follower und die Leute, die diese kaufen, erkennen kann. In einem langen Erklärstück mit vielen Screenshots fasst sie nun ihre Erkenntnisse zusammen und nennt Namen: Der Niederländer Tom Grond (bei Instagram „traveltomtom“, 117.000 Follower), ein deutscher Reise-Instagrammer (110.000 Follower, Hinweis am Ende des Textes), der US-Amerikaner Scott Eddy (bei Instagram mrscotteddy, 219.000 Follower, 1,09 Millionen Follower bei Twitter) sowie die offenbar aus Dänemark stammende Ekaterina Goroshko (bei Instagram „travellersplanet“, 193.000 Follower). Alle vier haben laut Sunderland einen Teil ihrer Reichweite gefakt, um kostenlose Reisen und Hotel-Aufenthalte abgreifen zu können – oder vielleicht sogar dafür bezahlt zu werden.

Und Sunderland erläutert auch, wie sie bei den genannten Accounts zu diesem Urteil gelangt ist. So hätten die „Luxus Lifestyle- und Reiseblogger“ Tom Grond („traveltomtom“) und der deutsche Reise-Instagrammer laut ihren Socialblade-Statistiken im August vergangenen Jahres 21.000 Follower bzw. 17.000 Follower gewonnen. „Wisst Ihr, wer so schnell in einem Monat wächst? Quasi niemand – außer gut etablierte Accounts, die bereits über enorme Follower-Zahl verfügen“, so die Reisebloggerin.

Follower-Listen weisen Tausende „Ghost Accounts“ auf

Nach ihren Erfahrungen wüchsen Accounts mit 300.000 Followern in der Regel durchschnittlich um 400 Follower pro Tag. „Wenn Ihr seht, dass ein Account mit 100.000 Followern oder weniger genauso schnell oder sogar noch schneller wächst, ist möglicherweise etwas nicht in Ordnung. Sie könnten Follower kaufen oder sogar ‚Follow-Unfollow’ verwenden.“ Bei dieser Technik folgen Account-Betreiber (meist automatisiert durch einen Bot) in großem Stil anderen Accounts, damit diese im besten Fall zurückfolgen. Nach einiger Zeit entfolgen sie die jeweiligen Accounts wieder. Eine der beliebtesten Follow-Bot-Anbieter ist Instagress, über den wir bereits an anderer Stelle ausführlich geschrieben haben.

Dass nicht alle von Gronds und dem deutschen Reise-Influencer Instagram-Followern echt seien, lege laut Sunderland auch ein längerer Blick auf die Accounts nahe, die den beiden folgen. Anhand von Screenshots zeigt sie einige Beispiele: Häufig bestehen die Namen aus Buchstaben- und Zahlenfolgen, die für Außenstehende keinen Sinn ergeben, und verfügen über kein Profilfoto. Sunderland spricht von „Ghost Accounts“: Wenn man sich diese genauer anschaue, hätten diese meist selbst keine Fotos gepostet, folgten aber sehr vielen anderen Accounts. Auch an der Art der Kommentare lasse sich oftmals erkennen, ob ein Account echt sei.

Features bei Millionen-Accounts bringen maximal 500 neue Follower

Vor dem August hätten beide ebenfalls im Pulk Follower eingekauft, danach hat sich das Wachstum auf 3.000 neue Follower monatlich eingependelt. „Haben sie plötzlich den Antrieb für ihren ‚Luxury Lifestyle’ verloren? Nein. Sie haben einen Punkt erreicht, von dem an sie mit allen Hotels zusammenarbeiten können, mit denen sie wollen, und mussten nicht mehr weiter ‚über Nacht wachsen’.“ Instagram-Postings lassen darauf schließen, dass Grond in den vergangenen Monaten offenbar unter anderem mit Turkish Airlines kooperiert hat; der deutsche Reise-Instagrammer hat in Postings zuletzt Club Med und TUI Deutschland markiert.

In einem Blog-Eintrag auf seiner eigenen Website führt Grond sein Follower-Wachstum auf Instagram vor allen Dingen auf „Features“ von drei anderen reichweitenstarken Reise-Accounts bei Instagram zurück. Sunderland zweifelt diese Darstellung an. „Das bedeutet nicht, dass nicht jemand 1.000 neue Follower durch ein Feature bekommen kann.“ Aber bei den Instagram-Accounts (alle aus dem Themenumfeld Reise), die sie sich angesehen habe, sei dies nicht der Fall gewesen. Anhand von drei jüngeren Beispielen (und Socialblade-Zahlen) belegt Sunderland, dass Instagrammer nach einem Feature auf anderen Accounts, die über mehrere Millionen Follower verfügen im Durchschnitt 100 bis 200 neue Follower gewinnt. „Wenn Dir ein Influencer also erzählt, dass er 10.000 Follower über Nacht gewonnen hat, weil ein anderer Account ihn gefeatured hat, wäre ich der Sache schon überdrüssig, denn die Statistiken bestätigen das nicht.“

Instagram-Analytics-Tool bestätigt Sunderlands Recherchen

Mona Hellenkemper, Sprecherin des deutschstämmigen Instagram-Analytics-Tools Influencer.db bescheinigte ebenfalls gegenüber OMR Gronds Reichweite eine niedrige Qualität. So beziffere Influencer.db den „Audience Quality Score“ von Gronds Instagram-Account mit 26 Prozent. „Das heißt, dass 74 Prozent aller Instagram-Acounts eine bessere Audience Quality haben als er“, so Hellenkemper. Bei wirklich einflußreichen Instagrammern liege dieser Wert eher bei 80 bis 90 Prozent.

Influencer.db bewertet die Qualität der Reichweite eines Instagrammers anhand von mehreren Kriterien, unter anderem der Frequenz, mit der die Instagram-Nutzer die Posts des Accounts liken. „Die meisten User – über 90 Prozent – liken den Content des Accounts ‚traveltomtom’ nur einmal. Das bedeutet, dass sie entweder zufällig auf sein Bild gestoßen sind und dieses geliked haben, also gar keine Follower sind, oder nicht besonders dedicated gegenüber seinem Content sind. Möglich wäre tatsächlich auch, dass dahinter ‚Like-Bots’ stecken – also gekaufte Likes.“ Bei dem deutschen Influencer liken laut Influencer.db 89 Prozent der Nutzer nur einen Post.

Bild: Gettyimages/Jordan Siemens

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Ärger im Insta-Paradies?

Auch Hellenkemper sieht bei Grond Anzeichen für den Einsatz von Follow-Unfollow-Bots: Bei Grond beispielsweise im Juli, bei dem deutschen Reise-Instagrammer im Oktober des vergangenen Jahres.

Sunderland nimmt großen Namen ins Visier

Mit Scott Eddy, angeblich in der „Top 10 der Luxusreisen-Influencer“, nimmt sich Reisebloggerin Sunderland in ihrem Blog-Artikel ein richtiges Schwergewicht ihrer Branche vor: Eddy hat vor allen Dingen auf Twitter eine riesige Folgschaft aufgebaut. Sie sei misstrauisch geworden, als sie gesehen habe, dass seine Selfies auf Twitter so viele Retweets bekommen. „Er ist nicht einmal ein halbnacktes Mädel, sondern nur ein Typ mit einem schmierigen Grinsen, Weitwinkel und schlechter Retusche. Warum also sollten so viele Menschen (und viele erwachsene Männer) etwas retweeten, dass nicht einmal interessant ist?“

Die Accounts wirkten oberflächlich real, verfügten aber alle über dieselben Merkmale: „Rund 50 Follower, manche retweeten nur andere (weil sie gekauft sind), sie sind nicht einmal Reise-bezogen, sie posten nie etwas selbst, sondern liken oder retweeten nur.“ Zudem verliere er regelmäßig auf Instagram und Twitter von einem Tag auf den anderen mehrere Tausend Follower, nur um am nächsten Tag wieder mehrere Tausend hinzuzugewinnen. „Das ist das, was Scott tut: Er ersetzt das, was verloren gegangen ist.“ Auffällig sei auch ein Wachstum um 400.000 Twitter-Follower im vergangenen November gewesen, wo Eddy doch sonst zwischen 10.000 und maximal 50.000 Followern monatlich gewinnt.

Auf Instagram habe Eddy im Januar 24.000 Follower gewonnen, wodurch er die Zahl von 200.000 Followern geknackt habe, so Sunderland. Danach sei das Wachstum auf 4.500 Follower im Monat gesunken. Influencer.db beziffert den „Audience Quality Score“ von Eddys Instagram-Account mit 12 Prozent – also noch einmal deutlich niedriger als bei Grond. „Im Zuge des ‚Insta-Purge’ im September 2016, bei dem Instagram auf einen Schlag eine große Anzahl an Fake-Accounts gelöscht hat, hat Scott deutlich an Followern verloren, hat diese aber innerhalb der darauffolgenden Tage wieder ‚hinzugewonnen’.“ Seit Ende Februar seien bei Eddy auch deutliche Anzeichen einer Follow-Unfollow-Strategie zu sehen.

„Loop Giveaways“ erzeugen gefaktes Engagement

„Alle drei Männer sind in der Luxusreisen-Branche tätig. Was haben sie gemeinsam? Sie betrügen das System“, so das Fazit von Sunderland über die Aktivitäten von Grond und Eddy. Im Rahmen ihrer Recherche ist sie darüber hinaus auf das Profil von Ekaterina Goroshko gestoßen, bei dem sie ebenfalls verdächtige, extreme Follower-Schwankungen und zu schnelles Wachstum beobachtet hat. Wie die Statistik ihrer Instagram Follower bei Socialblade zeigt, hat sie beispielsweise vom 6. auf den 7. März mehr als 10.000 Follower gewonnen (von 173.000 auf 183.000).

Zudem setzt Goroshko auch „Loop Giveaways“ ein: Gruppengewinnspiele, bei dem mehrere Instagrammer gemeinsam einen Preis ausloben. In der Regel werden die User dabei dazu aufgefordert, allen teilnehmenden Accounts zu folgen. „Die laufen für ein paar Tage und sorgen für massive Wachstumsspitzen, denen dann massive Verluste folgen. Das ist dasselbe, wie Follower zu kaufen.“ Auch hier findet kein originäres Engagement statt, wie es Marken von Influencer-Partnern erwarten dürften.

„Macht Eure Hausaufgaben!“

Ähnliches dürfte für die von Sunderland nicht thematisierten, aber im Moment offenbar angesagten Comment Pods gelten, die wir mit OMR vor einigen Wochen thematisierten. Dabei organisieren sich Instagrammer in Gruppen-Chats auf Instagram, um sich darüber gegenseitig über neue Posts zu informieren. Die anderen Gruppenmitglieder kommentieren und liken dann, um sicherzustellen, dass Instagrams Filteralgorithmus den Post nicht aussiebt, sondern dieser wirklich in den Feeds der Nutzer landet.

Werbetreibenden, die mit Influencern zusammenarbeiten wollen, rät Sunderland abschließend dazu, nicht nur einen Social-Media-Kanal zur Evaluation einer eventuellen Partnerschaft heranzuziehen. Besucherstatistiken von Blogs seien schwerer zu faken. „Authentizität lässt sich nicht faken – 100.000 oder sogar eine Million Follower bedeuten nicht automatisch Profit für welche Firma auch immer. Macht Eure Hausaufgaben, wenn Ihr mit Leuten zusammenarbeitet.“

Fake-Follower-Flut auf eigenem Account provoziert Sunderland

Was sind Sunderlands Motive? Sie wolle nicht darüber schweigen, dass die Fake-Influencer den Werbetreibenden Geld stehlen, schreibt sie in ihrem Artikel. Will sie selbst von der PR profitieren? Ihr Abschlusssatz „Ein ‚Shout out’ an alle Firmen, die von den Fake Influencern betrogen wurden. Ihr habt mein Mitleid und meine Sympathie“ legt diesen Schluss zumindest nahe. Gegenüber OMR erklärt sie, dass sie nichts zu gewinnen habe, da sie sich aus der Branche zurückziehen wolle, was sie im Januar auch auf ihrer privaten Facebook-Seite angekündigt habe.
Sie ziehe im Moment sogar Nachteile aus den Recherchen: Nachdem sie in ihren Instagram Stories in den vergangenen Tagen erklärt habe, wie sich gekaufte Follower und gefaktes Engagement erkennen lassen, sei ihr Account ebenfalls von gekauften Followern geflutet worden. Um zu verhindern zu können, dass diese Accounts ihr folgen, hat sie ihren Instagram-Account derzeit auf privat gestellt. Wegen der „Fake-Follower-Attacke“ habe sie in ihren Instagram Stories mit Enthüllungen gedroht – trotzdem hätten die Anfragen der Fake Accounts nicht aufgehört.

Beschuldigter reagiert mit Beleidigungen

Ob Ihre Anschuldigungen stimmen, lässt sich nicht verlässlich beantworten. Definitive Beweise kann Sunderland nicht vorlegen. Immerhin erklärt sie mit fundierten Argumenten und anhand von konkreten Zahlen, warum sie die Geschäftpraktiken der von ihr aufgeführten „Kollegen“ anzweifelt. Trotzdem ist es theoretisch möglich, dass die genannten Accounts nicht durch Follower-Kauf so starke Follower-Zunahmen verzeichnet haben – etwa indem ihre Posts auf Instagrams „Explore Seite“ gefeatured oder auf reichweitenstarken Websites eingebettet worden sind. Zudem steigt bei zunehmender Follower-Zahl die Gefahr, dass der jeweilige Account Bot-Aktivitäten anzieht. Kaum ein Zweifel dürfte daran bestehen, dass der Hype um Influencer Marketing, die daraus resultierenden Möglichkeiten, Geld zu verdienen sowie die Schwierigkeit, den Erfolg der Maßnahmen zu 100 Prozent verlässlich zu messen, auch Betrüger anlockt.

Bislang hat noch keiner der vier von Sunderland Beschuldigten auf einem der offiziellen Social-Media-Profile auf den Artikel reagiert. In der Diskussion zu einem Post in der geschlossenen Facebook-Gruppe „Instagram Posse“ hat sich der deutsche Reise-Influencer zum Thema geäußert. Dabei führte er jedoch keine entkräftenden Argumente an, sondern verlegte sich hauptsächlich darauf, Sunderland persönlich zu beleidigen: „Das Mädchen ist in unserer Branche als Lügnerin bekannt“ (Sunderland ist übrigens 31 Jahre alt). Er nenne sie ab heute „Psychopathin“; außerdem unterstütze sie Donald Trump wie ein Fangirl.

Update, 4. April, 10:50 Uhr

Wir haben den Artikel um ein Statement von Nicki Sunderland über ihre Gründe für das Verfassen des Artikels und den Rückzug aus der Branche sowie um um Informationen über jüngste werbliche Kooperationen von Tom Grond und dem deutschen Influencer ergänzt.

Update, 5. April, 14:35 Uhr

Der Original-Blog-Artikel von Nicki Sunderland ist mittlerweile offline, aber noch über den Google-Cache abrufbar. Wir haben Sunderland kontaktiert, um nach den Gründen zu fragen bislang, aber noch keine Antwort erhalten. Außerdem haben wir den Artikel um Statements und Daten vom Instagram-Analytics-Anbieter Influencer.db ergänzt.

Update, 26. April, 9:00 Uhr
Der Autor hat den Namen des deutschen Instagrammers auf dessen Aufforderung hin aus dem Text entfernt. Er hatte zuvor das Angebot, ebenfalls mit einem Statement zitiert zu werden, abgelehnt. Wir stehen nach wie vor zu unserer Berichterstattung.

OMRDieser Artikel erschien zuerst auf OMR.com.

BILD: GETTYIMAGES/JORDAN SIEMENS