Ein Beitrag von Nicholas Zylberglajt und Kumardev Chatterjee.

Warum tut sich die EU so schwer damit, einheitliche Regeln für einen digitalen Binnenmarkt zu schaffen? Die Institutionen sind zu langsam für die schnelle, digitale Welt. Doch es gibt Hoffnung: Aus dem im Mai vorgestellten Strategiepapier könnten bald Gesetze hervorgehen.

Das große Ziel: Aus 28 Märkten für digitale Güter und Dienstleistungen wird ein einziger. Dass das klappen kann, glaubt allerdings nicht jeder. So argumentiert zum Beispiel Ben Rooney, früher Journalist beim Wall-Street-Journal, das Thema sei ein alter Hut. Auf der Unconvention-Konferenz in Brüssel kritisierte er bei einer Diskussion mit Digitalkommissar Günther Oettinger, dass die Kommission seit Jahren ein Papier nach dem anderen vorlege. Verbesserungen für europäische Startups in der Praxis? Fehlanzeige. Oettinger wehrte sich: In der EU herrsche nunmal ein „demokratischer Entscheidungsfindungsprozess“ – letztlich bestimmten die Wähler, welche Gesetze in Brüssel erlassen würden.

Mitgliedsstaaten und das EU-Parlament entscheiden

Gründerszene hat bereits analysiert, welche Auswirkungen die Umsetzung des Strategiepapiers für Startups haben wird. Geplant ist die Realisierung in den nächsten zwei Jahren. Ob sie gelingt, steht in den Sternen: Frühere Versuche waren bisher wenig erfolgreich. Auch dieses Mal hat die Europäische Kommission nur ein Szenario entworfen. Und gesetzgebende Befugnisse hat sie nicht. Die Entscheidungen fällen die zuständigen Minister der Mitgliedsstaaten und die Abgeordneten des Europäischen Parlaments.

Das heißt, jeder Gesetzesvorschlag wird im europäischen „Bundestag“ und „Bundesrat“ diskutiert und über jedes Gesetz wird abgestimmt. Diese legislativen Prozesse dauern durchschnittlich 18 Monate. Es wird also noch dauern, bevor die ersten Gesetze zum digitalen Binnenmarkt in Kraft treten. Bestes Beispiel dafür, wie langwierig die Verfahren sein können, ist die schier endlose Diskussion über ein Aus der Roaming-Gebühren. Seit September 2013 wurde darüber debattiert – erst jetzt gibt es einen vorläufigen Kompromiss.

Was soll sich eigentlich ändern?

Die Strategie für einen digitalen Binnenmarkt besteht im Wesentlichen aus 16 Maßnahmen, die von der Kommission bis Ende 2016 vorgeschlagen werden. Sie sind in drei Bereiche gegliedert – der erste ist für Startups besonders relevant. Er soll einen besseren EU-weiten Zugang zu digitalen Gütern und Dienstleistungen für Konsumenten und Unternehmen schaffen. Unter anderem beinhaltet er Regeln für länderübergreifende Paketlieferungen, Urheberrechte, Umsatzsteuern sowie Geo-Blocking und E-Commerce. Die dazugehörigen Maßnahmen werden wohl noch in diesem Jahr auf den Weg gebracht.

Der zweite Bereich soll Bedingungen für ein Europa schaffen, damit digitale Netzwerke entstehen und innovative Dienstleistungen sich besser entwickeln können. Es geht dabei die Telekommunikation, die Rahmenbedingungen für audiovisuelle Medien sowie die Privatsphäre und Sicherheit im Internet.

Der dritte Bereich zielt darauf ab, das Wachstumspotenzial der digitalen Wirtschaft zu maximieren. Der freie Datenverkehr, eine europäische Cloud sowie E-Talentförderung und E-Government sollen vorangebracht werden.

Unterschiedliche Interessen der Mitgliedsstaaten

Das Problem ist, dass die Kommission nur Vorschläge ausarbeiten kann. Wie und ob diese in die Praxis umgesetzt werden – darauf müssen sich die Mitgliedsstaaten und das Parlament einigen. Rooney nannte das zynisch: „Proposal of a Proposal“. Denn auch dieses Mal zieht es sich hin, bis Startups und andere de facto Zugang zu einem Markt mit über 500 Millionen Menschen erlangen ohne länderspezifische Vorschriften von 28 Staaten für ihre digitalen Geschäftsmodelle berücksichtigen zu müssen.

Warum? Die Interessen einiger Mitgliedsstaaten sind zu unterschiedlich. In steuerlichen Angelegenheiten haben Länder wie Irland oder Luxemburg deutlich andere Positionen als beispielsweise Frankreich oder Deutschland (siehe Amazon oder Apple). Beim Urheberrecht sind Deutschland und Frankreich wiederum äußerst besorgt darum, Rechte von Autoren und anderen Urhebern zu schützen. Wegen des Drucks traditioneller Akteure sind die Ambitionen, das Copyright-System grundlegend zu ändern, überschaubar. Und Länder wie Spanien mit großen Telekommunikationsunternehmen haben wiederum ganz andere Vorstellungen als diejenigen, die ihren Schwerpunkt auf Netzneutralität legen.

Die EU steht unter Druck

Journalist Ben Rooney glaubt, die Startup-Landschaft der EU werde bereits ein ganz neues Gesicht haben, wenn die heute bereits dringend nötigen Gesetze in einigen Jahren verabschiedet sind.

Doch die EU steht mittlerweile unter Druck: Angesichts des globalen Wettbewerbs droht Europa gerade im Vergleich zu den USA und auch asiatischen Ländern abgehängt zu werden. Die EU muss digitalen europäischen Unternehmen den Zugang zu einem EU-weiten Markt (und damit auch schnelles Wachstum) dringend erleichtern. Und das kann nun vielleicht etwas bewegen.

Bild: Image by Catherine MacBride / Getty Images