First birthday party at the park
First birthday party at the park Alexander Ruppert arbeitete unter anderem für Google, DailyDeal und Pepperbill. Im Mai 2015 kam er zum Angel Fund Heilemann Ventures, der im März 2016 mit Earlybird Venture Capital fusionierte. Seine zehn wichtigsten Lektionen aus dem ersten Jahr als VC.

1. „Don’t believe the hype“ und vermeidet Gruppendenken

Als VC solltest du stets einen kühlen Kopf bewahren, was manchmal extrem schwierig ist: Auf der Suche nach dem heißesten Deal der Stadt kann es passieren, dass man unter massivem Zeitdruck und mit unvollständigen Infos eine Investment-Entscheidung treffen muss, sonst verliert man den Deal. Die Gründer freuen sich am Ende: Sie haben es geschafft, gute Investoren als Lead  – so heißt der Investor, der die Runde mit dem größten Geldbetrag anführt und der die Konditionen vorgibt – zu gewinnen. Für alle anderen VCs besteht allerdings das Risiko, sich auf die Evaluierung und Due Diligence des Lead-Investors zu verlassen. Und der muss nicht zwangsläufig sauber arbeiten. Übersieht er etwas, kann es zu Überraschungen in der ersten Beiratssitzung kommen.

Die Angst, etwas zu verpassen, verursacht unvernünftige und manchmal übereilte Zusagen. Lasst nicht zu, dass die Dynamik einer Runde euch beherrscht, oder wie es Earlybird-Partner Hendrik Brandis ausdrückt: „Kein VC ist jemals gescheitert, weil er einen Deal NICHT gemacht hat.“

alexander ruppert
alexander ruppert Alexander Ruppert ist seit einem Jahr VC

Es gibt außerdem noch ein weiteres psychologisches Phänomen, das für das Treffen rationaler Investment-Entscheidungen hinderlich ist: das Gruppendenken. Die erste Wortmeldung nach dem Pitch im Investment Committee – das ICM ist das Entscheidungsgremium eines VCs – nimmt den Grundverlauf der Diskussion vorweg. Im Zweifel schließt sich das Unterbewusstsein der ersten, stark vorgetragenen Meinung in einer Gruppe an. Wie lässt sich das Phänomen verhindern? Lasst das Investment-Komitee eine Nacht darüber schlafen und fordert erst am nächsten Tag ein definitives Ja oder Nein ein – und zwar von jedem einzeln, ohne die Meinung der anderen offen zu legen.

2. Seid geduldig – sonst werdet ihr auf die falschen Startups fliegen

Jeder VC kennt dieses Problem: Bei den ersten 300 Pitches, die man sich ansieht, tritt häufig eine berauschende Anfangseuphorie ein. Man ist vollkommen begeistert und kann es gar nicht abwarten, das Startup im ersten ICM dem ganzen Team und den Partnern vorzustellen. Seid auf kritisches Feedback gefasst: „Ich habe nur Schlechtes über den CEO gehört“, „Die Unit Economics können nicht stimmen – hast du die CPCs mal mit dem Google Keyword Planner gecheckt?“, „Der Markt schrumpft, darüber gibt es zig Market Researches“ oder „In drei Monaten wird es ein neues Gesetz geben, das dieses Modell unmöglich macht, viel zu unsicher“. Das kann desillusionierend sein. Aber keine Panik, das gehört alles zum Lernprozess. Nach 1.000 Pitches seid ihr Profis.

3. VC-Qualitätssicherung: Benchmark, benchmark more!

Im Wesentlichen setze ich den Maßstab mindestens zwei Mal an, wenn ich vorhabe, in ein bestimmtes Geschäftsmodell innerhalb eines bestimmten Branchensegments zu investieren.

Benchmark Nummer 1: Betrachtet es wie Dating. Ihr seid an einem bestimmten Branchensegment interessiert, also sprecht ihr mit jedem einzelnen Gründer, mit Kunden und Lieferanten in dieser Branche, bevor ihr an den attraktivsten Kandidaten in dem Markt herantretet und ihn später im Prozess zum candle light dinner/ICM einladet. Ihr macht von Anfang an klar, dass ihr euch auch mit anderen Kandidaten trefft, bevor ihr euch für „den einen“ entscheidet.

Benchmark Nr. 2: Jetzt wird es unfair. Obwohl du dir das heißeste Date des Marktsegments ausgesucht hast, steht es eventuell gar nicht zur Debatte, mit ihm sesshaft zu werden. Ihr selbst oder ein anderes Mitglied eures Investment-Teams habt einen weiteren attraktiven Single zum Essen eingeladen – Überraschung! Plötzlich müsst ihr euch zwischen den beiden (oder drei, oder vier, …) entscheiden, obwohl ein Vergleich sehr schwierig ist, da Persönlichkeiten und Vorlieben unterschiedlich sein können.

Trotzdem müssen VCs innerhalb eines bestimmten Zeitfensters (zum Beispiel drei Monate) die vielversprechendste Möglichkeit ausfindig machen. Um das Allerbeste auszuwählen, vergleichen sie verschiedene Unternehmen in verschiedenen Märkten und Phasen miteinander. Man muss also in gewissem Sinne Äpfel mit Birnen vergleichen, aber die Pfade der Liebe sind eben gewunden…

4. Lasst Startups mit schlechten Pitch Decks nicht links liegen

In den letzten zwölf Monaten habe ich schätzungsweise 800 Pitch Decks gesichtet. Und dabei zähle ich die Pitches der Unternehmen, die außerhalb unseres Fokus liegen, gar nicht mit. Die meisten waren sehr gut strukturiert und enthielten alle relevanten Informationen, die man für die ersten Schritte der Evaluierung braucht. Es gab aber auch schwarze Schafe, die auf den ersten Blick völlig unbrauchbar waren und die den Leser mit nebulösen Formulierungen, unschlüssigen Grafiken, wenig Datengrundlage, dafür aber mit vielen Fragezeichen im Kopf zurück ließen.

Wie es der berüchtigte Gary Snoman ausdrückt: „Wenn ich es nicht verstehe, mag ich es nicht!“

Aber seid vorsichtig! Bedenkt, dass das Unternehmen vielleicht ausschließlich von Techies gegründet wurde, die noch keinen Business-Guy an ihrer Seite haben. Je größer ein Problem oder Projekt ist, desto komplexer könnte die Lösung dafür sein, was manchmal eben zu verwirrenden Pitch Decks führen kann. Konzentriert euch auf die großen Probleme – es gibt keine kleinen Probleme mehr, die gelöst werden müssen. Grabt tiefer, wenn das Problem groß genug ist. Komplizierte und wenig intuitive Decks halten VCs fern, was eure Chance auf einen Hidden Champion sein kann.

Ein Pitch Deck ist nur der erste Eindruck, ein Stück Papier. Denkt dran: Ihr sucht nach großartigen Unternehmen, nicht nach großartigen Pitch Decks.

5. Ein Deal ist erst durch, wenn die Tinte getrocknet ist

Normalerweise sind es die VCs, die Beteiligungsangebote ablehnen, während sie umgekehrt fast nie in die Lage kommen, selbst abgelehnt zu werden – kein Wunder bei der Menge an Gründern, die sich um Finanzierung und Unterstützung für ihre Projekte bemühen. Dennoch kann die Dynamik einer Finanzierungsrunde unberechenbar sein. Selbst wenn man ein Gründerteam mehrere Monate lang unterstützt und gleichzeitig die Vertragsbedingungen verhandelt, kann man sich als VC niemals sicher sein, einen heißen Deal an Land gezogen zu haben, bevor nicht wirklich alles unterschrieben ist. Eine sehr wichtige und unter Umständen schmerzhafte Lektion.

6. Spezialisiert euch

Venture Capital ist für Allrounder. Man muss überdurchschnittlich neugierig und willens sein, Geschäftsmodelle, Technologien und Branchen, mit denen man vorher noch nie etwas zu tun hatte, schnell zu verstehen. Trotzdem ist es wichtig, eine gewisse Expertise in den Sektoren, in die man investieren möchte, zu entwickeln. Allein mit dem relevanten Netzwerk und dem Wissen über den Markt kann man einen signifikanten Mehrwert schaffen – eine Fähigkeit, die viele VCs für sich beanspruchen, ohne anschließend zu liefern. Als Gründer solltet auch ihr dringend eine Due Diligence auf den VC machen – kennt er die Branche? Hat er Kontakte zu Kunden oder strategischen Partnern? Versteht er die Marktdynamiken und Trends? Wie haben andere Gründer mit ihm zusammen gearbeitet?

7. Mit dem Geld kommt die Verantwortung

Als VC wird man in die Lage versetzt, über die Zukunft von vielen Menschen und Industrien zu entscheiden. Know-how, Netzwerk und Geld (in der Reihenfolge) sind die Zutaten für den erfolgreichen Aufbau einer großen Firma, die das Potenzial hat, ganze Märkte aus den Angeln zu haben, bestehende Jobs überflüssig zu machen – aber auch neue Jobs zu schaffen, die Wertschöpfung transparenter zu machen oder Produkte für mehr Menschen zugänglich zu machen.

Man entscheidet ein Stück weit mit, wohin sich die Gesellschaft entwickelt (sofern das zum Investment-Zeitpunkt überhaupt absehbar ist): Uber (Mobility), Facebook (Kommunikation), Google (Information) oder Amazon (Einzelhandel) haben unser aller Alltag massiv beeinflusst. Es gibt Ansätze, die VC-Szene zu demokratisieren – etwa durch Crowdfunding oder das vorerst gescheiterte DAO-Projekt. Bisher bleiben dabei aber häufig die Elemente Know-how und Netzwerk auf der Strecke. In der Zwischenzeit sollten sich VCs ihres enormen Einflusses bewusst sein, den sie auf die Zukunft der Menschheit haben.

Und übrigens: VCs investieren vor allem das Geld anderer Leute, zum Beispiel von Pensionsfonds, Versicherungen, Banken, vermögenden Einzelpersonen oder Family Offices. Auch in diesem Sinne bringt das Geld ein hohes Maß an Verantwortung mit sich.

8. Die Arbeit beginnt nach dem Investment

Als VC-Investor genießt man einen zweifelhaften Ruf. Viele haben als erste Assoziation einen alten Mann im Anzug mit Geldkoffer im Kopf. Manche glauben, dass der Job ein Kinderspiel sei: einfach gute Unternehmen aussuchen, Geld überweisen, Gewinne einstreichen, fertig – Pustekuchen.

So einfach ist das leider nicht, da man selbst auch seinen Investoren Rechenschaft schuldig ist und am Ende eine Top Fund Performance nachweisen muss, wenn man eines Tages einen zweiten oder dritten Fund auflegen möchte. Die Investmentperiode dauert je nach Fund circa drei bis fünf Jahre an, wohingegen die Fund-Laufzeit auch mal zehn Jahre haben kann.

Als VC sitzt man nach dem Vertragsschluss mit den Gründern in einem Boot mit dem gemeinsamen Ziel: eine große Company zusammen aufzubauen. Ein guter VC wird sich den Allerwertesten aufreißen, um sein Portfolio zum Erfolg zu führen. Die Arbeit beginnt erst nach der Unterzeichnung des Investment-Vertrags.

9. VC ist ein Produkt für Gründer

Es ist ein Privileg, mit engagierten, smarten, optimistischen und oft idealistischen Risikoträgern zu arbeiten – mit Unternehmern. In der europäischen Tech-Szene entsprechen die meisten Leute, die im Bereich Venture Capital arbeiten, dem Stereotyp – früher entweder Banker oder Berater gewesen zu sein (danke an Vincent Jacobs für die Recherche!).

Analysten steigen oft direkt nach dem Uni-Abschluss bei einem VC ein. Ihr beruflicher Alltag besteht darin, „nein“ zu Unternehmern mit oft mehr als zehn Jahren Berufs- (und Lebens-)Erfahrung zu sagen – etwas, das ich immer noch sehr eigenartig finde. Seid fair und emphatisch, wenn ihr mit Gründern kommuniziert. Kommt nicht zu spät zu Meetings, reagiert auf Emails, behandelt sie einfach mit dem angemessenen Respekt.

Frühphasen-VCs müssen auch unternehmerisch agieren. Wie soll man ein guter strategischer Berater oder Mentor sein oder große Entscheidungen unter Zeitdruck und mit unvollständigen Informationen treffen, ohne eine gehörige Portion Unternehmergeist in sich zu tragen?

VCs müssen sich kontinuierlich verbessern, wenn sie das beste Produkt für Gründer auf dem Markt sein wollen. Genau wie sie brauchen auch VCs topaktuelle Tools, Datenbanken, Kreativität und Vertriebsfähigkeiten, um das zu erreichen.

10. Lebenslanges Lernen

Nachdem die Grundlagen verinnerlicht waren (Evaluierungsprozesse, Termsheets, Cap Tables, Verhandlungen, Geschäftsabschlüsse, Aufsichtsratssitzungen, Beraterrollen und mehr), stellte ich fest, dass meine ersten sechs Monate erst der Anfang der VC-Reise waren.

Man sagt, es kostet ungefähr 50 Millionen Euro, ein herausragender VC zu werden. Täglich drei oder mehr Geschäftsmodelle in verschiedenen Märkten zu verstehen, sich mit verschiedenen Technologien auseinanderzusetzen, Marktanalysen zu lesen, mit Branchenexperten zu sprechen, an wöchentlichen Events teilzunehmen und die Portfolio-Companies zu unterstützen, hält den Geist beschäftigt – manchmal zu beschäftigt. Es wird immer etwas Neues zu lernen und zu verstehen geben.

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