Fast jede Woche meldet sich ein Vertreter der traditionellen Bankenwelt mit Sätzen über Fintechs zu Wort. Darin findet sich meist eine komische Mischung aus Bewunderung und Arroganz. Vor wenigen Tagen hieß es vom Chef der deutschen Börse, Carsten Kengeter, beispielsweise: „Wir werden weiter Fintech-Unternehmen kaufen.“ Der Satz klingt so, als könnte er die jungen Unternehmen im Online-Shop akquirieren, als müsse er nur noch auf „kaufen“ drücken.

In dieser Gemengelage ist es gut, dass das Berliner Startup Number26 nicht müde wird, seine Anti-Banken-Rhetorik auszupacken. Doch technisch ist es bis zur ernsthaften Konkurrenz noch ein weiter Weg. Erst Stück für Stück wird aus der Banking-App ein tatsächlicher Wettbewerber. So kam kürzlich die Kooperation mit Barzahlen.de hinzu. Die Funktion ermöglicht es den Kunden, Geld in 3.000 Supermärkten ein- und auszuzahlen. Nun kündigen die beiden Number26-Gründer ein weiteres Feature an: Ab Dezember bietet das Startup – in Kooperation mit der Wirecard – einen Dispokredit an.

In der App bekommt der Nutzer dann einen Kreditrahmen angezeigt. Je nach Scoring erhält er bis zu 2.000 Euro zum Überziehen. Der Kreditrahmen lässt sich dabei jederzeit runterschrauben. Und bei dem Einkauf vor der Kasse im Geschäft kann man ihn wieder hochstellen – bei Bedarf. In der App zeigt das System exakt die Gebühren an. 8,9 Prozent Dispozinsen fallen für den Service aufs Jahr gerechnet an. Das liegt im Bereich der üblichen Dispozinsen. Und zum ersten Mal tut sich so eine Einnahmequelle für das Startup auf.

Weitere Features folgen demnächst. Im Dezember erhalten Bestandskunden eine EC-Karte – und können kontaktlos per NFC bezahlen. Wie das Unternehmen auf Twitter bestätigte.

Die Strategie umfassende Funktionen in der App anzubieten ist richtig – doch der Weg ist noch weit. Ein nächster logischer Schritt muss weg von der Kreditkarte gehen, hin zum Mobile Payment. Wie das Banking und Bezahlen der Zukunft aussieht, habe ich jetzt in der Alipay-App bewundern können. Schon länger gilt die Bezahlmethode des chinesischen E-Commerce-Unternehmen Alibaba als Vorzeige-Beispiel. Doch erst ein Test zeigt, was die App eigentlich für eine Schlagkraft besitzt.

Ein paar chinesische Studenten, die mir die App gezeigt haben, verwenden den Service mehrmals pro Woche. Bekannt ist sie vor allem für die Funktion des Peer-to-Peer-Bankings, also für das Versenden von Geld an Freunde. Das funktioniert mit Number26 bereits und auch Einzellösungen wie Cringle beherrschen diese Funktion ausgezeichnet.

Doch Alipay geht viel weiter: Es ist die zentrale Anlaufstelle für Geldgeschäfte. Die Studenten legen ihr Geld über die Plattform an – die App zeigt, wie sich der Wert entwickelt. Sie können damit im Internet bezahlen, aber auch in Restaurants oder Shops. Viel funktioniert über QR-Codes. „Das dauert wenige Sekunden“, erzählt eine der Nutzerinnen.

Damit nicht genug: Die Macher der App haben den Mechanismus von Mobile Payment begriffen. Wer über die App einkauft, bekommt Rabatte mit einem Coupon-System. In Extra-Menüpunkten „Movies“ lässt sich ein Kino mit dem gewünschten Film finden, direkt ein Platz aussuchen und das Ticket kaufen. Unzählige Unterpunkte wie Taxi, Flüge, Benzin sind in der App integriert. Auch eine Versicherung lässt sich per App abschließen. Der Nutzer muss die App eigentlich gar nicht mehr verlassen.

Natürlich sind der chinesische und der deutsche Markt sehr unterschiedlich. Deutsche Nutzer lieben das Bargeld. In einer umfangreichen Bundesbank-Studie zeigt, dass erst etwa zwei Prozent mit dem Smartphone bezahlen. Auch mit Kreditkarte lässt an vielen Stellen nicht zahlen, wie ich bei meinem Test von Number26 gemerkt habe.

Erst in Jahren werden wir in Deutschland auf dem Stand von China sein – die Frage ist, wer sich durchsetzt. Alipay wird wohl auch nach Europa kommen. Die Frage ist nur, wem vertraut der Nutzer mehr: einem chinesischen E-Commerce-Imperium oder dem Berliner Startup?

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