Paul Schwarzenholz (links) und Björn Kolbmüller sind die Gründer von Flaconi

Gewöhnlich ist es nicht, das Büro von Flaconi. Wer durch die schwere Metalltür im ersten Stockwerk in der Berliner Lobeckstraße die Räume des Parfüm-Versandhändlers betritt, muss zunächst an einem Sicherheitsmann vorbei. Der passt auf die Tausenden Packungen mit wertvollem Inhalt auf, die in den kahlen Hallen in Pappkartons auf Paletten gestapelt lagern: Prada-Parfüm für 75 Euro, Chanel-Mascara für 30 Euro oder Biotherm-Gesichtscreme für 42 Euro. Bereit, um von Lagermitarbeitern für das nächste Flaconi-Päckchen eingepackt zu werden.

Anders als E-Commerce-Unternehmen wie Zalando oder Amazon hat Flaconi sein Lager und die Büroräume zusammengelegt. An einem Standort im Berliner Stadtzentrum, fünf Auto-Minuten vom Checkpoint Charlie entfernt. Bei allen Firmenfeiern oder wichtigen Meetings sind die 30 Lagerarbeiter mit dabei. Für das Weihnachtsgeschäft hat das Unternehmen zusätzlich 40 Mitarbeiter eingestellt. Etwa 15.000 Produkte – Parfüms, Lippenstifte, Sonnencremes, Haarbürsten, Glätteeisen, Duftkerzen – stapeln sich in den Hallen, die insgesamt 1.200 Quadratmeter umfassen.

Das Geschäftsmodell von Flaconi hat drei Vorteile, die ein Lager auf kleinem Raum überhaupt möglich machen: Erstens benötigen die verkauften Produkte keine großen Lagerflächen, generieren aber trotzdem hohe Umsätze. Zweitens ist die Retourenquote bei Flaconi sehr niedrig, weil viele Kunden die bestellten Produkte schon einmal getestet haben. Drittens verkauft das Startup keine Saisonware, für die das Lager mehrmals pro Jahr umgeräumt werden müsste.

Dass es sehr viele Vorteile hat, Parfüms, Pflegeprodukte oder Make-up online zu verkaufen, ahnten Paul Schwarzenholz (34) und Björn Kolbmüller (32) noch nicht, als sie 2010 ihre Jobs kündigten, um mit Flaconi ihr erstes eigenes Startup zu gründen. „Investoren haben uns immer gefragt: ‚Wieso wollt ihr Parfüm online verkaufen? Das will man doch riechen!‘“, erzählt Schwarzenholz schmunzelnd. Fünf Jahre später kann er die Kritik mit Humor nehmen.

Im Frühjahr 2015 verkauften er und Schwarzenholz die gesamte Firma an den Münchner Medienkonzern ProSiebenSat.1. Den Kaufpreis wollen die Gründer nicht nennen. Aus dem Quartalsbericht geht allerdings hervor, dass ProSiebenSat.1 für zusätzliche 53,01 Prozent im vergangenen Frühjahr noch einmal 15,5 Millionen Euro auf den Tisch legte, woraus sich eine Bewertung von 29,2 Millionen Euro ergibt. 450.000 Kunden hat Flaconi mittlerweile. Ende 2014 waren es 300.000, ein Jahr zuvor noch 140.000. 120 Mitarbeiter arbeiten insgesamt für das Unternehmen. In der Weihnachtszeit, wenn Flaconi an den besten Tagen 15.000 Pakete verschickt, sind es sogar 160 Mitarbeiter.

Luxusmarken

Zu den ersten Geldgebern von Flaconi zählte Mister-Spex- Gründer Dirk Graber, der wie die Flaconi-Gründer ebenfalls an der Leipziger Gründer-Hochschule HHL studiert hat. Für die ersten Monate nach der Gründung bot er Schwarzenholz und Kolbmüller Arbeitsplätze in den Büroräumen seines Brillen-Startups an. Allerdings saßen die beiden Gründer in der Anfangsphase nur selten vor ihren Bildschirmen. Stattdessen klapperten sie einen Hersteller nach dem anderen ab und präsentierten ihre Idee. Um Luxusmarken für eine Zusammenarbeit zu gewinnen, boten sie ihnen sogar Unterstützung bei ihrer E-Commerce-Strategie an.

Die Gründer wussten: Ohne die begehrten Produkte von Marken wie Chanel, Gucci oder Dior würden sie viele Kunden nicht von ihrem Onlineshop überzeugen. Andere Startups wie Beautydeal von Rocket Internet verloren den Kontakt zu Herstellern, weil sie deren Produkte mit Rabatten angeboten hatten. Deshalb ist Flaconi sehr vorsichtig. „Allen großen Luxusmarken ist es unglaublich wichtig, dass ihre Marken richtig dargestellt sind, damit das über Jahrzehnte aufgebaute Luxusimage erhalten bleibt“, erklärt Kolbmüller.

Im Frühjahr 2011 zog Flaconi in das erste eigene Büro an der Berliner Torstraße. Ein Billy-Regal musste als Lagerfläche herhalten, wenige Monate später ging der Shop live. Die großen Hersteller Procter & Gamble und Coty seien gleich um Start an Bord gewesen, erinnert sich Kolbmüller, mit anderen Herstellern hätten die Verhandlungen fast eineinhalb Jahre gedauert.

Bild: Michael Berger/Gründerszene

Stapelweise Flaconi-Verpackungen. Der Inhalt? Zum Beispiel Chanel No. 5

TV-Kampagne

Zum Launch des Onlineshops investierten auch die Trivago-Gründer und der Berliner VC Paua Ventures in Flaconi. Doch in den darauffolgenden Monaten liefen die Gespräche mit Investoren nicht immer erfolgreich: „2011 und 2012 waren aus Investorensicht sehr schwierige E-Commerce-Jahre. Die großen Marktplätze um Amazon und Co. erweiterten ihre Sortimente, und viele Onlinehändler schoben ihre Profitabilität immer weiter hinaus. Dadurch war es für uns in den beiden Jahren nicht leicht, ein hohes Funding zu bekommen, weil E-Commerce-Modelle mehr Kapital benötigten als angenommen“, berichtet Schwarzenholz.

Zusätzlich machte der damalige Marktführer Douglas dem jungen Startup das Leben schwer, weil er fast alle potenziellen Kunden über Google abgriff. Die Gründer entschieden sich, mit einer kleinen TV-Kampagne auf RTL II die Marke Flaconi bekannter zu machen. Das war im Herbst 2012. Kurze Zeit später, im November 2012, kam ProSiebenSat.1 als Investor an Bord und übernahm zunächst 25 Prozent der Anteile. Für Flaconi war das Münchner Medienhaus der ideale Partner, um schnell die Bekanntheit des Startups zu erhöhen: „Die Marke Douglas war enorm stark. Deswegen mussten wir schnell eine eigene Marke aufbauen und haben uns dann für die Zusammenarbeit mit ProSiebenSat.1 entschieden.

Zum Weihnachtsgeschäft 2012 haben wir die erste TV-Kampagne auf den Sendern von ProSiebenSat.1 gestartet, und von da an ging es für uns immer nur noch bergauf“, erzählt Kolbmüller. Zusammen mit ProSiebenSat.1. kamen auch die KfW sowie der Schweizer Investor B-to-v als Geldgeber an Bord. Im Sommer 2014 erhöhte ProSiebenSat.1 seine Anteile auf 47 Prozent, alle anderen Investoren legten ebenfalls noch nach. Die Gründer selbst hielten zu dem Zeitpunkt noch rund fünfzehn Prozent der Anteile, die aber gleichzeitig immer mehr an Wert zulegten.

Denn mit ProSiebenSat.1 als Investor seien Umsatz und Kundenanzahl durch die TV-Werbung stetig gewachsen, berichten die Gründer. „Bereits im Sommer 2014 deutete sich an, dass ProSiebenSat.1 langfristig weitere Anteile übernehmen könnte“, erzählt Schwarzenholz.

Und so kam es dann auch: Im Frühjahr 2015 gab ProSieben-Sat.1 die komplette Übernahme von Flaconi bekannt, alle weiteren Investoren wurden herausgekauft – und die Flaconi-Gründer, die vorher noch selbstständige Unternehmer waren, wurden über Nacht zu hochrangigen Angestellten. „Für uns war es gerade eine gute Gelegenheit, um die eigenen Anteile zu verkaufen“, sagt Kolbmüller dazu nur. „Und solange wir die Strategie des Unternehmens selbst bestimmen können, fühlt es sich auch nicht anders an als vor dem Exit.“

Glaubt man den Gründern, bereuen sie den Verkauf bisher nicht. Im Gegenteil: Sie hätten nun viele Freiheiten, müssten keine Investorengespräche mehr führen und können mit dem Budget von ProSiebenSat.1 eine langfristige Vision durchsetzen. „Das ist auch gut für die Mitarbeiter“, findet Kolbmüller. Nach dem Exit konnten die Gründer ein eigenes Shopsystem aufbauen, das Sortiment vergrößern und mehr TV-Werbung schalten.

Seit Mitte Oktober unterstützt Sven Töpfer die beiden Gründer als dritter Geschäftsführer. Mit seiner Hilfe soll Flaconi 2016 in drei, vielleicht sogar vier europäische Nachbarländer expandieren.

Ein neues Fahrrad

Und was hat sich bei den Gründern geändert? Gehören sie nun zu den reichen Entrepreneuren, die Tesla fahren und ein Townhouse in Berlin-Mitte gekauft haben? Bei dieser Frage müssen die Gründer lachen. „Im privaten Leben hat sich bei uns nichts geändert“, sagen sie. „Dafür sind wir zu bodenständig.“ Schwarzenholz habe sich ein neues Fahrrad gekauft und Kolbmüller eine Couch, aber mehr Luxus hätten sie sich nicht gegönnt. Stattdessen steckten sie jeweils zwischen 30.000 und 50.000 Euro in insgesamt zehn Startups.

Nicht alle Namen wollen sie nennen, aber ihre Investments in das Frankfurter Babyprodukte-Startup Lillydoo, die Berliner Wohnungsplattform Wunderflats oder das Flug-Portal eWings sind offiziell. So wollen sie ihr Geld anlegen und „der Startup-Szene etwas zurückgeben“, wie Kolbmüller es formuliert. „In andere Startups zu investieren macht uns unheimlich viel Spaß, weil wir unser Wissen weitergeben können, aber auch selbst auf neue Ideen kommen.“

Weniger arbeiten müssen die Gründer seit dem Exit nicht: „Das Stresslevel ist genauso hoch wie vorher“, sagt Schwarzenholz. „Wenn man einen Unternehmer-Charakter hat, wird man nie weniger arbeiten. Eigentlich könnten wir uns
zurücklehnen und entspannen, aber das wollen wir gar nicht.“ Er grinst. Ob er und Kolbmüller ein neues Startup gründen wollen? „Vielleicht irgendwann mal.“

Platz Nummer 47: Flaconi GmbH

  • Wachstumsrate: 108 Prozent
  • Gründungsjahr: 2011
  • Firmensitz: Berlin
  • Branche: E-Commerce
  • Webseite: www.flaconi.de

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Bild: Michael Berger/Gründerszene