gesche joost digitalbotschafterin interview
gesche joost digitalbotschafterin interview Gesche Joost bei der Re:publica 2014

„Ich kann auch kritisch kommentieren“

Einer breiteren Öffentlichkeit wurde Gesche Joost, geboren 1974 und seit 2011 Professorin für Designforschung an der Berliner Universität der Künste, im Sommer 2013 bekannt. Damals bewies der sonst oft glücklose SPD-Kanzlerkandidat Peer Steinbrück ein glückliches Händchen, als er Joost als Netzexpertin in sein Wahlkampfteam berief. „Wow, eine kluge Frau an Steinbrücks Seite“, schrieb die FAZ, „Steinbrücks Wahlkampf-Waffe“ Focus Online und schlicht „Frau fürs Web“ Spiegel Online. Joost brachte frischen Wind und echte digitale Expertise in den Wahlkampf.

Nach der Bundestagswahl widmete sich Joost wieder vor allem der Leitung ihres Design Research Labs – bis Mitte März wieder ein SPD-Mann bei ihr anklopfte: Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel. Auf seinen Vorschlag hin wurde Gesche Joost Deutschlands erste digitale Botschafterin, im Kreis der sogenannten Digital Champions der Europäischen Union soll die Designforscherin für die Bundesrepublik die digitale Debatte mitgestalten.

Frau Joost, was macht eine Digitalbotschafterin eigentlich?

Die Idee stammt von EU-Kommissarin Neelie Kroes, die 2012 die Idee für dieses Expertengremium hatte. Die Botschafter sollen eine Verbindung herstellen zwischen der europäischen digitalen Agenda und dem, was in den Mitgliedsstaaten läuft. Die Botschafter sollen nicht einfach Mitglieder der Regierungen sein, sondern den Prozess kritisch begleiten können. Wir treffen uns etwa drei Mal im Jahr und gehen ganz konkrete Projekte der digitalen Agenda an. Das jüngste ist die Grand Coalition for Digital Jobs, da geht es um die Zukunft der digitalen Arbeit. Das ist ein Thema, das in Europa extrem wichtig ist, um der Jugendarbeitslosigkeit in Südeuropa zu begegnen. Digitale Jobs können hier eine echte Zukunftsperspektive bieten. Wir wollen Ideen aus den Mitgliedsländern zusammenzuführen, um die Rahmenbedingungen und die Ausbildung zur digitalen Arbeit zu verbessern.

Haben Sie schon Erfolgsrezepte eines anderen Landes entdeckt, von denen Deutschland lernen könnte?

Ein Beispiel: Im vergangenen Jahr wurde die Code Week gestartet, während der an vielen Schulen und öffentlichen Einrichtungen Programmierkurse angeboten wurden. Fast alle EU-Mitgliedsländer haben mitgemacht. Deutschland jedoch bisher nicht. Da sollten wir dieses Jahr auf jeden Fall dabei sein. Es ist ein wichtiges Thema. Ich finde, man sollte Programmieren schon in der Grundschule lernen. Ein zweites Beispiel: In anderen Ländern, zum Beispiel in Skandinavien, wird die universitäre Ausbildung in bestimmten Bereichen schneller an die Weiterentwicklung der Technologie angepasst. Die Lehre muss sich weiterentwickeln, um die richtigen Kompetenzen vermitteln zu können. Ich finde Deutschland hier in einigen Bereichen zu langsam.

Ihre Forderung nach Programmierunterricht schon ab der Grundschule hat viel Resonanz bekommen. Aber glauben Sie ernsthaft daran, dass wir das bald sehen werden – in Deutschland, dem Land des Bildungsföderalismus?

Genau das ist die Herausforderung. Auf der anderen Seite ist das den Schulen ja nicht ganz fremd. Bei mir gab’s in den Achtzigerjahren auch schon eine Informatik-AG. Aber natürlich haben die Länder die Bildungshoheit, da will ich auch gar nicht intervenieren. Aber mit solchen Aktionen wie der Code Week kann man schon zeigen, dass Programmieren nicht nur etwas für Nerds ist, sondern auch Spaß machen kann – für Mädchen und Jungen gleichermaßen. Man kann damit das Internet gestalten.

Können Sie programmieren?

Ja. In meinem Design-Studium – ich habe 1996 angefangen – haben viele programmiert. Da war klar: Das Internet wird immer wichtiger.

Seit vergangenem Jahr haben wir drei Internetminister. Und jetzt gibt es noch einen Botschafter. Warum?

Ich bin nicht Mitglied der Regierung. Daher kann ich auch kritisch kommentieren, zum Beispiel, ob nicht eine Schwierigkeit darin liegt, dass so unterschiedliche Ministerien für die digitale Agenda zuständig sind. Oder dass beim E-Learning in anderen Mitgliedsländern mehr passiert und Deutschland noch kaum initiativ geworden ist. So etwas würde die Bundesregierung wahrscheinlich nicht sagen, sondern eher: Wir sind auf einem guten Weg.

Das heißt, sie halten das mit den drei Ministerien auch nicht für eine ideale Konstruktion?

Das ist nicht einfach. Die Digitalisierung zieht sich ja durch alle Bereiche. Der erste Schritt müsste eigentlich sein, die komplette digitale Agenda gemeinsam zu entwerfen. Ein Stück weit ist das ja Aufgabe der Arbeitsgruppe zur digitalen Agenda im Parlament. Es wird sich herausstellen, wie erfolgreich die ersten Teile der digitalen Agenda am Ende der Legislaturperiode umgesetzt werden konnten.

Eigentlich ist es überraschend, dass Sie diesen politischen Posten angenommen haben. Schließlich war der Wahlkampf mit Peer Steinbrück vor einem Jahr nicht ganz einfach für Sie.

Das sehe ich anders, ich habe viele positive Erfahrungen im Wahlkampf gesammelt. Es war mein erstes Hineinschnuppern in die Politik, und das war eine spannende Erfahrung. Gleichzeitig leite ich hier an der Universität der Künste ein tolles Forschungslabor, was sehr inspirierend ist. Es ist wichtig, dass gerade zu Fragen der digitalen Agenda Menschen involviert werden, die Erfahrungen aus der Praxis haben – also aus der Wirtschaft, aus der Forschung, aus der Bildung. Es müssen sich mehr gute und auch junge Leute bei den Digitalthemen engagieren. Es geht dabei ja um unsere Zukunft!

Wie eng sind Sie noch mit der SPD verbandelt? Letztes Jahr waren Sie Steinbrücks Schattenministerin, nach Brüssel wurden Sie auf SPD-Ticket entsandt.

Ich wurde von der gesamten Bundesregierung entsandt, nur der Vorschlag kam vom Wirtschaftsministerium. Ich stehe mit dem Ministerium in einem sehr guten Austausch. Ich wurde wegen meiner fachlichen Expertise ausgewählt, nicht wegen Parteizugehörigkeiten.

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Mein Eindruck ist, dass das Thema Netzpolitik häufig eher fachlich und nicht parteipolitisch diskutiert wird. Täusche ich mich? Gibt es das überhaupt, sozial- oder christdemokratische Netzpolitik?

Spannende Frage. Ich hatte in den Koalitionsverhandlungen den Eindruck, dass sich die Netzpolitiker parteiübergreifend in vielen grundsätzlichen Bereichen einig sind, etwa beim Breitbandausbau oder bei der Förderung der Digitalwirtschaft und der Startups. Alle wollen das Thema nach vorne bringen. Unterschiede gab es bei der Einschätzung zur Vorratsdatenspeicherung oder zum Leistungsschutzrecht. Fachliche Expertise ist für die digitalen Themen sehr wichtig. Bei einigen Politikern habe ich den Eindruck, dass sie gar nicht richtig durchdrungen haben, was vernetzte Gesellschaft eigentlich heißt. NSA? „Dann sei doch nicht so viel auf Facebook.“ Das ist einfach unglaublich naiv. Man muss auch die technischen Grundlagen kennen, um antizipieren zu können, was da auf uns zurollt, im Bereich der Privatsphäre zum Beispiel. Da gibt es viele offene Fragen: Wie definieren wir Privatsphäre in Zukunft? Was ist mein Recht an meinen Daten? Was sind die Potentiale, aber auch die ethischen Grenzen von Big Data? Und da sollten wir nicht kulturpessimistisch herangehen und sagen: Big Data ist böse, wir lehnen es ab. Das bezieht sich nur auf die – durchaus vorhandenen – Risiken. Big Data hat aber natürlich auch großen Nutzen, zum Beispiel bei der Verbesserung von Energie-Effizienz oder bei der Verbesserung von Prozessen der Logistik. Die Nutzung von Big Data ist ein wichtiger Faktor für die Digitalwirtschaft, daher sollten wir sie differenziert betrachten. Eine einseitige Verteufelung hilft nicht weiter. Viele Unternehmen haben sowieso mit dem Vertrauensverlust der Nutzenden zu tun – daher sind Aufklärung und Transparenz der richtige Weg.

Ist dieser Technik- und Fortschrittsskeptizismus in Deutschland stärker als in anderen Ländern?

In bestimmten Bereichen schon. Und ich weiß gar nicht so richtig warum. Unsere starke Reaktion auf den NSA-Skandal war ja ein Beispiel dafür. Ich begrüße in diesem Fall aber die deutsche Kritik, die Forderung nach Wahrung unserer Privatsphäre und nach einer Stärkung der Bürgerrechte im Netz. Das ist eine angemessene Reaktion. Insofern hat diese Haltung etwas Positives. Wir müssen jedoch damit umgehen, dass viele das Vertrauen in vernetzte Dienste verloren haben, das ist ein Problem.

Was raten Sie Startups, die von diesem Vertrauensverlust in der deutschen Öffentlichkeit betroffen sind?

Ein Weg wäre, anzuerkennen, dass es hier eben eine große Sensibilität im Bezug auf den Umgang mit Daten gibt und das in den Diensten, die man anbietet, adressiert. Ein Grundrecht auf Transparenz wäre ein Beispiel: dass der Nutzende zu jeder Zeit weiß, was mit seinen Daten passiert, und sich dagegen wehren kann. Ein starker und garantierter Datenschutz ist sicher ein richtiger Weg.

Haben Sie dafür ein konkretes Beispiel?

Es wird ja viel diskutiert über Privacy by Design und Privacy by Default. Mir ist schon klar, dass das nicht immer so einfach möglich ist. Wenn die Grundeinstellung der größte Datenschutz ist, dann kann das auch eine Innovationsbremse sein. Trotzdem ist es wichtig, die Rechte der Nutzer an ihren eigenen Daten zu stärken, sie aufzuklären, welchen Nutzen sie von der Vernetzung haben – und dann kann man selbst entscheiden, ob man dieser Verwendung zustimmen möchte.

Das muss nicht unbedingt eine Innovationsbremse sein, dafür aber eine Wettbewerbsbremse. Europäische Startups können ins Hintertreffen geraten, wenn sie nicht den Zugriff auf Daten haben, den ihre US-Konkurrenten schon längst haben.

Das ist richtig. Ich hoffe da ja sehr auf die Datenschutzgrundverordnung, damit zumindest in Europa als großem Wirtschaftsraum eine gemeinsame Vorstellung vom Datenschutz existiert. Dann muss sich eben auch Facebook daran halten.

Inwieweit werden Sie sich als Digitalbotschafterin mit Startups befassen?

Das war das dritte große Thema beim letzten Treffen der Botschafter. Wir haben über das europäische Startup-Manifest gesprochen, das auch Lars Hinrichs mitverfasst hat. Wir Digital Champions machen uns jetzt an den Dialog mit den Mitgliedsstaaten und klären, was sich daraus für Konsequenzen für unsere Rahmenbedingungen ergeben. Mit dem Startup-Bundesverband stehe ich dazu im Kontakt. Von europäischer Ebene wird mir übrigens zurückgemeldet, dass man viel nach Deutschland schaut. Der Gründergeist in Berlin wird als positives Beispiel wahrgenommen.

Der Bundesverband mäkelt ja, dass es diverse Stellschrauben gibt, an denen so schnell wie möglich gedreht werden muss, sonst ist dieser Boom sehr schnell wieder vorbei. Sehen Sie das auch so?

Ich glaube auch, man muss da am Ball bleiben. Die Aufmerksamkeit für Startups ist jetzt da. Jetzt stellen sich wichtige Fragen: Wie bekommt man große Wachstumsfinanzierungen in Deutschland zusammen? Was ist mit einem „neuen Neuen Markt“?

Eines der politischen Themen, über das die Startups gerade diskutieren, ist der Mindestlohn. Sie haben im vergangenen Sommer gesagt, der Mindestlohn sei keinesfalls startupfeindlich. Viele Jungunternehmen sehen das anders.

Die jetzige Gesetzgebung sieht ja einige Ausnahmen vor. Ich glaube auch, dass 8,50 Euro kein horrender Lohn ist. Man muss sein Unternehmen so konzipieren, dass das funktioniert. Ziel ist es, Menschen nicht auszubeuten und sie für einen Lohn arbeiten lassen, der einfach nicht funktioniert. Die Preisstruktur muss dann eben angepasst werden.

Viele Startups können ja noch gar nicht an ihren Erlösen oder Preisen drehen, weil sie mit ihrem Produkt noch in der Entwicklungsphase sind. Gerade in der Zeit müssen sie jeden Euro zweimal umdrehen.

Aber auch für die muss der Mindestlohn gelten. Da führt kein Weg dran vorbei. Kleine Unternehmen haben ja schon sehr viel lockerere Bedingungen, was etwa den Kündigungsschutz angeht. Das ist für viele hilfreich. Man braucht eine Phase, in der man losstarten kann, und wenn’s dann nicht erfolgreich ist, darf die Insolvenz nicht zum Ende einer Karriere werden, sondern zum Startpunkt für eine zweite Chance. Ich komme selbst aus einem Familienbetrieb, der immer klein war und wo jeder mit anpacken musste. So eine Schutzzone für kleine Firmen muss es geben, um überleben zu können, auch wenn der Markt sich so schnell ändert.

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