griechische startup-szene

Während Europa gerade über eine Verlängerung der Finanzhilfen für Griechenland entscheidet, haben Teile der griechischen Bevölkerung längst aufgehört, auf Hilfe von ihrer Regierung zu hoffen. Startup-Gründer in Athen betonen ausdrücklich und häufig, dass die Regierung überhaupt keine Rolle beim Entstehen ihres neuen Unternehmens gespielt habe. Es habe keine Zuschüsse, keine Hilfestellungen gegeben. Nichts. Die Unternehmer fügen hinzu, dass es ihnen so auch lieber sei.

Einer dieser Gründer ist Vassilis Salapatas. Im April 2012 gründete er das Startup „SciFY“. Heute hat er sieben Angestellte: Fünf davon arbeiten in Voll-, zwei in Teilzeit. Aktuell sucht Salapatas nach mehr Investoren und internationalen Kooperationen. Ein typisches Startup in Athen, könnte man denken. Aber SciFY ist anders. Angefangen bei dem Gründer: Salapatas ist kein junger, hipper Typ, der individuelle Verwirklichung und internationalen Erfolg mit seiner innovativen Geschäftsidee sucht. Er ist 57 Jahre alt und gelernter Chemieingenieur. Das Einzige, was er mit einem typischen Startup-Gründer gemein hat, ist sein Holzfällerbart.

Salapatas verlor seinen Job 2008, zu Beginn der Euro-Krise, und machte sich nicht einmal die Mühe, einen neuen zu suchen. „Ich wusste, dass ich wegen der schlechten wirtschaftlichen Lage nichts finden würde“, erinnert er sich. Darum hat er sich seinen eigenen Arbeitsplatz geschaffen. Mit wenig Startkapital, dafür aber viel freier Zeit, begann er gemeinsam mit seinem Partner George Giannakopoulos wissenschaftliche Erkenntnisse in Produkte umzuwandeln, die den Alltag erleichtern. Daher kommt auch der Name ihres Startups: SciFY steht für „Science for you“ – „Wissenschaft für dich“.

Die so entstandenen Produkte, zum Beispiel eine Software, die visuell beeinträchtigten Menschen den Alltag erleichtern soll, stellt SciFY unter einer Creative-Commons-Lizenz zur Verfügung – also unentgeltlich. Dieser Ansatz überzeugt viele Freiwillige, Zeit, Wissen und Energie in das junge Unternehmen zu investieren. Aktuell sind es ungefähr 60 Freiwillige.

Die zusätzliche Arbeitskraft hat SciFY dabei geholfen, anfangs auch mit wenig Geld Programme zu entwickeln. Salapatas und Giannakopoulos haben offenbar einen Nerv in der griechischen Gesellschaft getroffen und fehlendes Geld durch Idealismus kompensiert, der die Freiwilligen überzeugt hat. Viele Griechen möchten mehr für ihre Mitmenschen und die Gesellschaft tun, weil die wirtschaftliche Krise Lücken in die staatliche Versorgung gerissen hat. Gleichzeitig gibt es viele gut ausgebildete Griechen, die genügend Zeit haben, um sich einem zusätzlichen Projekt zu widmen, da viele keinen Vollzeitjob haben oder sogar arbeitslos sind.

Einige von ihnen versammeln sich nun bei SciFY. Schwierigkeiten bei der Finanzierung ziehen sich durch die gesamte griechische Startup-Szene. Internationale Investoren zögern, wenn es darum geht, in junge Unternehmen zu investieren. Sie fürchten langsame Prozesse, komplizierte und teure Bürokratie sowie Korruption.

Pavlos Efthymiou ist Experte für griechische Startups. Er ist strategischer Berater bei der Hellenic Entrepreneuers Association (EENE) und forscht an der University of Cambridge zu europäischer Politik. Er erklärt, dass Startup-Gründer es in Griechenland immer noch schwer hätten.

„Es gibt zwar fortschreitendes Wachstum und damit eine Vergrößerung der griechischen Startup-Szene, aber sie wird nicht unbedingt reifer. Es gibt zwar viele inspirierte Individuen, aber wenige, die wirklich etwas tun, wenige Menschen, die ein Ziel mit langem Atem und Beharrlichkeit verfolgen“, sagt Efthymiou. Außerdem wirke sich das Fehlen von Risikokapitalgebern und Angel Investors sowie die allgemein schlechte wirtschaftliche Lage und die komplizierte Bürokratie negativ auf die Startup-Szene aus.

Unter griechischen Startups gibt es daher verschiedene Strategien, um die äußeren Probleme zu umschiffen. Sie sind zwar nicht einzigartig für Griechenland, finden aber aufgrund der prekären Verhältnisse im Land besonders häufig Anwendung. Eine davon ist die Gründung des Startups in einem anderen Land. Taxibeat, eines der erfolgreichsten griechischen Startups, wurde formell in Großbritannien gegründet. Das Startup entwickelte eine App, die einen direkten Kontakt zwischen Taxifahrern und ihren Kunden herstellt, Bezahlung und Bewertung inklusive.

Nach der Gründung in Großbritannien hat Taxibeat eine Zweigstelle in Athen eröffnet und seine Geschäfte dort geführt. Dieser Umweg war laut Gründer Nikos Drandakis nötig, um internationale Investoren anzulocken und die griechische Bürokratie zu umgehen. Drandakis beteuert, dass sein Unternehmen nun ganz normal in Griechenland seine Geschäfte abwickle und Steuern zahle.

Aber nicht alle Startup-Gründer fühlen sich ihrem Land so verpflichtet wie Drandakis. Myrto, eine junge Unternehmerin aus Athen, hat ihr Startup im Ausland gegründet. „Ich habe das Geschäft offiziell in Zypern eröffnet, damit ich hier keine Steuern zahlen muss“, erzählt sie freimütig. Ein Problembewusstsein für ihr Verhalten scheint sie nicht zu haben. Ein typisches Phänomen in Griechenland: Mitglieder der Oberschicht haben Geschäftsideen mit klarem regionalen Bezug, sehen aber keine Notwendigkeit, in ihrer Heimat Steuern abzuführen.

Im Fall von Mytros Startup geht es um das Finden von ärztlichen Spezialisten in der Nachbarschaft, basierend auf einem Empfehlungssystem durch andere Patienten. Während die Wirtschaftskrise das Land anhaltend schüttelt und einen großen Teil der Bevölkerung in prekäre Lebensverhältnisse gedrängt hat, versuchen einige Griechen der Situation zumindest einen positiven Aspekt abzuringen: „Es hat die Menschen dazu gebracht, sich zu bewegen und sich neue Lösungen zu überlegen“, glaubt Maria Mouzakiti, PR-Managerin bei Taxibeat.

War die Krise in Griechenland also ein Motor für Innovation? Sie hat einen Großteil der Bevölkerung sicherlich dazu gebracht, ihre Gesellschaft und deren Verantwortung zu überdenken. Das verdeutlicht sich in jeder Unterhaltung über die Krise unter Griechen. Und diese Gespräche sind häufig. Stabile, gut bezahlte Arbeitsplätze sind extrem selten geworden und gerade junge Griechen werden von der Krise hart getroffen: Fast die Hälfte der 15- bis 25-Jährigen ist arbeitslos. So gesehen ist die Idee, ein Startup zu gründen und sich seinen eigenen Arbeitsplatz zu schaffen, naheliegend.

Aber vielen jungen Gründern scheint es nicht nur um sich selbst zu gehen: Coworking Spaces und Innovation Hubs sprießen in Athen aus dem Boden. Hier kommen Menschen zusammen und überlegen gemeinsam, was die Gesellschaft tun kann, um sich selbst zu helfen. Wenn der Staat die Bürger alleine lässt, helfen die Bürger sich eben gegenseitig aus.

Anstatt Unternehmen zu helfen, die Potenzial haben, neue Arbeitsplätze zu kreieren, legt die griechische Regierung ihnen Steine in den Weg. SciFY-Gründer Salapatas merkt an, dass sein Startup genau wie jedes andere profitable Unternehmen besteuert wird, auch wenn sein Gewinn noch verschwindend gering ist. Und als ob das nicht schon genügend Probleme seien, erklärt Salapatas, dass Freiwilligenarbeit in Griechenland eigentlich illegal ist, weil es dazu eine juristische Grauzone gibt. „Darum laufen wir theoretisch die ganze Zeit Gefahr, mit einer Geldstrafe belegt zu werden.“

Auch Efthymiou sieht die Perspektiven für die griechische Startup-Szene noch nicht überschwänglich. Die Lage habe sich zwar verbessert, da es einige Initiativen der Regierung gegeben hätte, die die Bürokratie und Kosten für das Eröffnen eines neuen Unternehmens verringert hätten. Aber es gebe noch viel Raum für Verbesserungen und viel von den Szenen in Berlin, Tel Aviv und dem Silicon Valley zu lernen. „In Griechenland gibt es viel Aktivität, aber keine Tiefe. Es gibt viele Ideen, aber wenige richtige Macher. Viele Mentoren, aber wenige griechische Investoren. Und das ist schlecht, weil Wachstum letztendlich immer von Innen kommen muss.“

Dieser Artikel erschien zuerst in der Welt.

Bild: © panthermedia.net / Tomas Marek