Ein Beitrag von Susanne Thielecke, Inhaberin der Beratungsagentur La Renzow Personal.

Wer ein Unternehmen gründet und erfolgreich führt, bekommt irgendwann einen Schreck: Die Personalstruktur passt nicht mehr. Abstimmungsprozesse, die einst wie von selbst liefen, sind plötzlich zu lang, zu ungenau oder beides. Experten, die gut ausgelastet waren, haben zu viel oder zu wenig zu tun – und der einst freundschaftlich verbundene Geschäftspartner will alles ganz anders machen.

Die Pubertät ist uns allen als Zeit bekannt, in der kindliche Verhaltensmuster abgelegt werden und in reife, überlegte und vernünftigere Verhaltensweisen übergehen. Die wenigsten haben sie in schöner Erinnerung, denn die Zeit davor machte mehr Spaß. Außerdem weiß man weder wie erwachsenes Verhalten geht, noch ob man das überhaupt will. So ähnlich geht es Gründern junger Unternehmen auch oft – aber zum Glück ist der Prozess, ein Unternehmen erwachsen zu machen etwas einfacher als die Adoleszenz.

Es gibt zwei Schwellen, an denen das Thema Personalstruktur erfolgskritisch wird. Zum einen, wenn ein Kleinstunternehmen – bestehend aus einem oder mehreren Gründern und ein paar externen Helfern – zu einem kleinen Unternehmen mit mehreren Angestellten heranwächst. Zum anderen: Wenn ein florierendes Kleinunternehmen auf eine deutlich zweistelligen Personaldecke angewachsen ist und plötzlich Hierarchien, Strukturen und Standards geschaffen werden müssen.

Gern vergessen: Dokumentation und Führung

Betrachten wir zunächst die erste Adoleszenz vom „Garagenstartup“ zum kleinen Unternehmen. An dieser Stelle werden zwei Notwendigkeiten oft übersehen: Dokumentation und Führung. Ein Unternehmen in diesem Stadium, gleich welches Geschäftsmodell es verfolgt, muss flexibel bleiben. Zudem ist es meist nicht mit einer hohen Liquiditätsdecke ausgestattet, Fixkosten müssen so gering wie möglich gehalten werden. Und daraus entspringt die Notwendigkeit der sorgfältigen Dokumentation. Die ist deswegen so schmerzhaft für viele Gründerteams, weil man sich oft gegen einen Konzern und für das eigene Startup entschieden hat, um ihr zu entgehen.

Aber: Dokumentation ist eine Grundvoraussetzung für Flexibilität. Jeder sollte festhalten, was er wie lange macht. Es gibt zahlreiche Tools dafür, von einfachen Zeiterfassungstools wie Goodtime bis hin zu komplexeren Projektmanagement-Tools wie zum Beispiel Podio. Nur so kann sichergestellt werden, dass die teuren Personalressourcen bei sich verändernden Marktbedingungen schnell angepasst werden können.

Der Chef entscheidet

In diesen Unternehmen sind Hierarchien und in Stein gemeißelte Zuständigkeiten oft noch nicht wichtig. Meist arbeiten hier Leute miteinander, die voller Begeisterung und Tatendrang ein gemeinsames Ziel verfolgen und daher auch bereit sind, Aufgaben zu übernehmen, die eben gerade anfallen, um den Erfolg zu gewährleisten. Aber: Die Organisation der Arbeit muss nun gesteuert werden. Ab circa fünf Personen ist eine komplett eigenverantwortliche, ungesteuerte Zusammenarbeit nicht mehr möglich. Der Chef muss entscheiden, wie die Ressourcen verteilt werden und wie die Dokumentation stattzufinden hat, sodass diese einheitlich funktioniert. Ein guter Chef hört sich alle an, öffnet sich für Argumente – und entscheidet klar und unmissverständlich. Achtung: Je flexibler das Produkt und der Markt, in dem es platziert wird, desto höher sind die Anforderungen an die Unternehmenssteuerung.

Feste Stelle für Administration

Ab spätestens fünf Experten oder Fachkräften ist es ratsam, eine volle Stelle für Abwicklung, Administration und Koordination bereitzuhalten. Mal eben die Workshop-Folien abtippen, eine Reise organisieren, einen Text auf Facebook stellen, eine Powerpoint basteln, ans Telefon gehen, ein Meeting vorbereiten, Daten in Excel aufbereiten – dafür braucht es eine feste Stelle. Aber: Die Ressourcenverteilung hängt am Ende vom Produkt, seiner Skalierbarkeit und der Marge jedes Geschäftsmodells ab.

Hierarchien? Aber klar!

Wenn das Unternehmen wächst, folgt die zweite Schwelle: Von Kleinstunternehmen zum Unternehmen mit zweistelligen Personalzahlen. Es müssen Hierarchien aufgebaut sowie Regeln und Standards geschaffen werden. Zunächst zu den Hierarchien: Das Wort traut sich in der betriebswirtschaftlichen Populärwissenschaft und in den Medien kaum jemand mehr in den Mund zu nehmen. Ein Missverständnis. Denn: Es braucht klare Verantwortlichkeiten – und nichts anderes sind Hierarchien. Entscheidungshoheiten in modernen Personalstrukturen (Netzwerkstruktur) sind flexibel, während sie in tradierten Strukturen feststehen und an einzelne Erfordernisse nicht anpasst werden können oder sollen. Keinesfalls aber heißt es, dass in Netzwerkstrukturen keiner die Entscheidungshoheit besitzt, das wäre fatal. Die Führungsaufgabe besteht nun also darin, Entscheidungshoheiten entweder grundsätzlich oder fallbezogen festzulegen.

Von Palmen und Prämien

Arbeitszeiten, Pausenzeiten, Parkplatznutzung, Urlaube, Gehaltsbestandteile, Prämien, Geschirr, Kaffeeverbrauch, Hunde unterm Schreibtisch, Geburtstagsblumen, Jobanzeigen, Spesenabrechnung, die Büropalme – alles umfasst Unternehmensstandards und -regeln. Dabei muss ein junges Unternehmen keinesfalls das Gebaren eines Großkonzerns an den Tag legen, es kann flexibler gehandelt werden. Aber der Rahmen dieser Flexibilität muss besprochen und festgelegt werden.

Es geht um Verbindlichkeit

Es geht nicht darum, strenge Beschneidungen durchzuführen. Aber: Alle müssen sich an die getroffenen Absprachen halten und werden verwarnt, wenn sie es nicht tun. Das kann auch für ganz zeitgemäße, offene Standards gelten. Es gibt flexible Arbeitszeiten, aber ein wöchentliches Dokumentationsgebot? Dann muss die Nichtdokumentation Folgen haben. Es gibt eine Firmenkreditkarte, über die die Spesen abzurechen sind? Dann gibt es kein Geld zurück, wenn über die Privatkarte bezahlt wurde. Es gibt einen Kaffeemaschinen-Putzplan? Einen Parkplatz nur für Gäste? Eine Prämienvereinbarung für alle? 28 Tage Urlaub und an Silvester nicht frei? All diese Standards werden gut begründet sein und sind also keine Schikane. Sie sind aber wertlos, wenn sich keiner daran halten muss.

Das Alter der Mitarbeiter hat übrigens wenig damit zu tun, wie wichtig Standards genommen werden. Im Gegenteil: Gerade jüngere, neue Mitarbeiter fordern klare Verhältnisse und wirtschaftlich sinnvolle Standards ein. Die Herausforderung liegt meist in der Spitze des Unternehmens. Es hat einfach mehr Spaß gebracht, ein tolles Produkt zu entwickeln und auf den Markt zu bringen, als sich über Prämienabrechnungen und Essenszuschüsse Gedanken zu machen. Daher wird oft jemand eingestellt, der diese Aufgaben übernimmt. Das ist in Ordnung, um den Aufwand der Verwaltung zu bündeln. Es darf aber nicht davon ablenken, dass die Entscheidungen von der Führungsspitze des Unternehmens getroffen werden müssen. Hat das Unternehmen die Pubertät hinter sich gebracht, ist das schwierigste geschafft. Von jetzt an geht es darum, innerhalb bestehender Strukturen und Regeln zu wachsen. Dann ist auch wieder mehr Platz für das, was junge Unternehmen ausmacht: Kreativität, Innovation und Wachstum.

Bild: Alashi / Getty Images