Die Inkitt-Gründer Ali Albazaz und Linda Gavin

Im vergangenen Jahr war Ali Albazaz auf der Frankfurter Buchmesse unterwegs, um Feedback zu Inkitt sammeln – eine Online-Plattform auf der Autoren ihre Texte eigenständig veröffentlichen können. Dort fiel dem Gründer des Berliner Startups ein abgesperrter Bereich mit Lektoren auf. Da es ihm an dem richtigen Pass mangelte, schlich sich Albazaz kurzerhand durch eine Hintertür rein und versuchte, Werbung für seine Plattform zu machen.

Der Gründer erzählt: „Die Lektoren haben mich natürlich gehasst und für einen verrückten Nerd gehalten. Sie sagten immer in einem sehr überheblichen Ton: Ja ja, mit einem Algorithmus könnt ihr IT-Kids niemals unsere Erfahrungen und Beziehungen ersetzen.“  Dann entdeckte Albazaz den berühmten Autor Paulo Coelho. Albazaz gab ihm seine Karte und war davon überzeugt, niemals wieder von ihm zu hören. Bis drei Tage später eine E-Mail kam.

Für kurze Zeit veröffentlichte Coelho daraufhin einen Teil seines Werkes „Manual of the Warrior of the Light“ auf Inkitt. Und das Berliner Startup schaffte es mit Hilfe des Star-Autors in die renommierten Medien Wallstreet Journal und Guardian. Inkitt ist nicht nur eine Publishing-Plattform: Albazaz und sein Team haben einen Algorithmus entwickelt, der das Verhalten von Lesern analysiert. Dadurch ist das Unternehmen nach eigenen Angaben in der Lage Bestseller vorauszusagen und dafür zu sorgen, dass auch unbekannte Autoren nicht mehr auf das Bauchgefühl von Lektoren angewiesen sind. Und Inkitt kann noch mehr: Coelho bekam als Gegenleistung eine Datenanalyse der Leser, die zum Beispiel zeigte, an welcher Stelle sie im Text abspringen.

„Stell dir vor, Penguin Random House würde immer die richtigen Bücher veröffentlichen, mit einer statischen Signifikanz von 99,99 Prozent und ohne Fehler zu machen. Das ist Inkitt“, sagt Gründer Ali Albazaz, vor Selbstbewusstsein strotzend. Mit Inkitts Framework können die Interaktionen des Lesers gemessen werden. Die genauen Parameter will Albazaz nicht verraten. „Uns ist es egal, wo der Autor herkommt, wie groß sein soziales Netzwerk ist, ob er berühmt ist oder nicht, ob er einflussreiche Menschen kennt oder nicht“, so Albazaz. Sei der Text gut – was bei Inkitt heißt: performe er gut – will Albazaz ihn zum Bestseller machen, „ohne wenn und aber“. Denn: „Wie viele unentdeckte Bestseller-Autoren es wohl gibt, die nach dem dritten oder vierten Versuch aufgegeben haben?“

Läuft ein Text auf Inkitt besonders gut, ergattert sich das 2014 gegründete Startup die Rechte am Manuskript und publiziert es erst einmal auf verschiedenen E-Publishing-Plattformen wie Amazon. Ist der Text auch dort erfolgreich, geht Inkitt noch einen Schritt weiter: Dann will Albazaz große Publishing-Häuser anheuern, um die Print-Versionen herzustellen. Er ist überzeugt, dass Verlage darauf anspringen werden. Denn durch die vermessenen Interaktionen der Leser könne bewiesen werden, dass ein Buch Potential habe. Dass er erst einmal auf die von ihm kritisierten Verlage angewiesen ist, dass gibt Albazaz nur ungern zu. Aber: Irgendwann will Inkitt auch selbst drucken.

Albazaz sieht Inkitt offenbar gerne als Retter unbekannter, geknebelter Autoren. Doch ganz so einfach ist es nicht. Von den Umsätzen der Bücher muss Inkitt selber und eventuell auch ein großes Verlagshaus bezahlt werden. Das klingt nach deutlich weniger Geld für die Autoren als sowieso schon. Albazaz verneint: Zwar will er die genaue Marge nicht nennen, aber ein Deal mit Inkitt sei bei weitem besser als mit traditionellen Häusern. Doch noch ist es nicht soweit. Irgendwann dieses Jahr sollen die ersten Bücher veröffentlicht werden, erst mal in E-Form.

Bis dahin setzt das Unternehmen auf Risikokapital: Im Dezember 2014 konnte Inkitt seine erste Finanzierungsrunde einsammeln, vor gut drei Monaten folgte die zweite. Unter anderem sind Business Angel und Seriengründer Christian Vollmann, Jurist André Eggert und Harald Nieder, Investment-Manager beim Schweizer VC Redalpine, beteiligt.

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Bei der Nutzerzahl der Plattform gibt sich Albazaz nebulös: Genaue Zahlen will er nicht nennen, er verweist auf eine Schätzung von SimilarWeb, die zeigt, dass die Seite im Juni 65.000 Visits im Desktop-Traffic erzielte. Die eigentliche Zahl liege aber etwas höher, so Albazaz. Mehr als die Hälfte dieser Besuche komme aus den USA, was laut Albazaz auch der größte Markt des auf Englisch gehaltenen Inkitts sei. So viel erzählt er dann doch: Am ersten Tag der Private-Beta registrierten sich mehr als 100 Autoren. Das war im April 2014, zehn Monate später ging die Plattform offiziell live.

Albazaz ist kein Neuling in der Startup-Branche: 2010 gründete er den Marktplatz für Dienstleistungen, Fünfi. Ein Jahr später das Startup Demanta. Das Konzept: „ähnlich wie UberPop, bevor es UberPop gab“, sagt er. Einer seiner Freunde schrieb während der Zeit ständig Texte und auch Abazaz versuchte sich schon länger als Autor: „Eines Abends haben wir beim Abendessen die Grundidee von Inkitt gehabt. Es landete erst einmal in meinem Ideen-Notizbuch“.

Mitte 2012 stellte er Demanta „wegen den gesetzlichen Problemen in der Taxi-Branche in Deutschland“ ein. Er begann Inkitts Idee zu recherchieren, eine erste Version folgten. Das Design war allerdings schrecklich, erinnert sich Albazaz. Deshalb machte er sich in der Berliner Gründerszene auf, einen Designer zu finden – und fand die Schwedin Linda Gavin, die das Twitter-Logo mit designte, so Albazaz. Aus Projekten zwischendurch wurde mehr – bis Gavin schließlich als Mitgründerin an Bord kam.

Wegen der großen Reichweite konzentriert sich Inkitt auf englischsprachige Belletristik, genauer gesagt Science-Fiction, Fantasy und Horror. Albazaz hat große Pläne: In Zukunft sollen auch Nischen gefüllt und zum Beispiel Sachbücher publiziert werden. Auch andere Sprachen könnten folgen. Doch der englischsprachige Markt wird weiterhin der wichtigste sein, so Albazaz.

Dort findet sich auch einer von Inkitts Wettbewerbern: Wattpad, eine kanadische Autor- und Leser-Community, die nach eigenen Angaben 40 Millionen monatliche Unique-User hat. Ein anderer Konkurrent ist das chinesische Quidian, eine Online-Publishing-Plattform, auf der Leser für ihre Lieblings-Texte abstimmen und bezahlen können.

Doch Albazaz lässt sich nicht beeindrucken, Inkitt soll ganz groß werden. Noch sitzt das siebenköpfiges Team im Berliner Viertel Kreuzberg. Aber: „Mittelfristig werden wir sehr wahrscheinlich nach New York City ziehen, der Hauptstadt des Publishings.“

Bild: Inkitt