Er ist befreundet mit Mark Zuckerberg, liebt guten Whiskey und wurde mit 31 Jahren Multimillionär. Kevin Systrom ist der Bildergeschichtenerzähler aus dem Silicon Valley. Mit 27 erfand er Instagram, die größte Foto-App der Welt. Wir können ihn beim Interview jedoch nicht sehen, hören nur seine Stimme am Telefon aus Menlo Park, dem Firmensitz in Kalifornien. Wie viele dieser Tech-Freaks gibt auch er sich wortkarg, man muss ihn piksen. Dann macht er plötzlich doch auf – und spricht über das nächste große Ding.

Die Welt: Haben Sie Feinde, Herr Systrom?

Kevin Systrom: Wie meinen Sie das?

Die Welt: #bitch! #nasty #weirdo! #fuckoff! Gibt es Menschen, die sich bei Ihnen beschweren, weil sie auf Instagram Opfer eines Shitstorms wurden?

Systrom: Menschen kontaktieren mich täglich und berichten mir von ihren Erfahrungen – guten oder weniger guten. Die guten überwiegen, muss man sagen. Schauen Sie, bei uns können Menschen in einem Bruchteil von Sekunden zeigen, was ihr Leben ausmacht, und es mit der ganzen Welt teilen. Es geht um die Empfindungen in Momenten und darum, an Geschehnissen aller Art überall auf der Welt in Echtzeit teilnehmen zu können – durch die Augen anderer. Das ist ein gewaltiger Fortschritt.

Die Welt: Wer sich allerdings einen Shitstorm einfängt, wird ins gesellschaftliche Abseits katapultiert. Da wird dann madmaxmäßig übereinander hergefallen. Wie finden Sie das?

Systrom: Nun, ich habe den Rahmen geschaffen, eine Technik in künstlerischer Form, die das Sehen verändert. Und die Kommunikation. Den Rest entscheiden die Nutzer. Jeder muss selbst wissen, wie er sich auf Social-Media-Kanälen darstellen will.

Die Welt: Einer Ihrer Posts zeigte Sie kürzlich mit offenem Mund, weil Sie etwas bestaunten. Das kommentierte ein Follower mit: „Mund zu, sonst kommen Fliegen rein.“ Und ein anderer fügte hinzu: „Oder Schwänze….!“ Ist Ihnen so etwas peinlich?

Systrom: Was soll man machen bei 300 Millionen Nutzern, die sich aus allen Kulturen, Alters- und Glaubensgruppen dieser Welt zusammensetzen? Ein respektvoller Umgang ist uns enorm wichtig. Aber es gibt nun mal Trolle – online wie offline.

Die Welt: Instagram dagegen schmeißt Bilder raus, die heikel erscheinen. Das Foto einer Frau mit Menstruationsfleck auf der Hose wurde beispielsweise gelöscht. Worauf sich Millionen Frauen beklagten: „Also bitte! So ist es nun mal. Wenn Instagram will, dass wir alle unser Leben teilen, muss auch so ein Fleck erlaubt sein.“ Passen Flecken nicht in Ihre Welt?

Systrom: Wir haben ein äußerst kritisches Team, das sich nur mit der Bewertung von Fotos beschäftigt. Das Bild, das Sie erwähnen, verstieß nie gegen unsere Richtlinien. Unser Team hat es bedauerlicherweise aus Versehen beseitigt. Als wir unseren Fehler bemerkten, haben wir uns sofort entschuldigt und das Bild wieder gezeigt. Ich möchte aber ganz klar betonen, dass wir durchaus Inhalte wie auch Fotos löschen, sofern sie jemanden schikanieren. Wenn jemand frech wird und jemanden belästigt, beleidigt, schadet, sich irgendwie aufspielt oder was auch immer, haben wir Leute, die so etwas mit scharfem Blick beobachten. Wir nehmen das wirklich sehr, sehr ernst und reagieren streng. Wer die Grenze überschreitet, wird gesperrt.

Die Welt: Inzwischen folgen auch immer mehr Politiker Instagram. Angela Merkel ist seit Kurzem als @Bundeskanzlerin dabei und hat hart mit russischen Trollen zu kämpfen. Bekommen solche Big Player eine Art Notfallservice?

Systrom: Bei uns werden alle gleich behandelt, egal ob prominent oder Student.

Die Welt: Bleiben wir ein bisschen bei den Big Playern. Ihr Freund, Facebook-Chef Mark Zuckerberg, ist wie Sie ein echtes Silicon-Valley-Gewächs.

Systrom: Wobei, ich war nie einer von den Hardcore-Technikfreaks. Immer nur Codes sind nicht meine Welt.

Die Welt: Sie sind der Fashion-Dandy im Valley.

Systrom: (lacht) „Dandy“ hat noch nie jemand zu mir gesagt.

Die Welt: Zuckerberg hat Ihre Firma gekauft, für eine Milliarde Dollar, richtig?

Systrom: So ungefähr, ja.

Die Welt: Damit Google es ihm nicht wegschnappt.

Systrom: Nein, das war nicht der Grund. Ich kann solche Geschäftsinterna natürlich nicht kommentieren. Aber ich denke nicht, dass es ihm darum ging.

Die Welt: Ihre App ist kostenlos, Instagram verdiente zum Zeitpunkt der Übernahme keinen Cent. Wofür zahlte Zuckerberg dann so viel Geld?

Systrom: Aus heutiger Sicht finde ich nicht, dass das so viel Geld für eine App ist, wenn man bedenkt, dass sie damals 150 Millionen und heute 300 Millionen Nutzer bedient. Es gibt nicht viele Firmen, die so groß werden. Mark sah das Potenzial, aus diesem Wachstum ein eigenes Netzwerk aufzubauen, das die Facebook-Familie einzigartig ergänzt.

Die Welt: Nutzer sind das neue Gold. Wie aber wollen Sie dieses Gold auch mal zu Geld machen?

Systrom: Instagram spielt ja jetzt auch Werbung aus. Das war immer unser Plan. Nur war uns bislang das Wachstum unserer Nutzerschaft wichtiger, als schnelles Geld zu machen. Wir wissen: Wir können als Firma nur dann richtig groß werden, wenn wir mindestens eine Milliarde User haben. Da wir genug Finanzierungsgelder hatten und dann zu Facebook gingen, die über reichlich Einnahmen verfügten, konnten wir uns Zeit lassen.

Die Welt: Twitter hat gerade Periscope gekauft. Instagram, sagen Kritiker, sei dagegen wie ein schlafender Riese: keine großen, neuen Ideen, außer Filtern, optischen Spielereien. Was ist Ihre Vision, was wird das nächste große Ding?

Systrom: Ich sehe uns keinesfalls als schlafenden Riesen. Wir haben erst kürzlich eine erweiterte Suchfunktion lanciert. Unsere „Layout“-App hat es zumindest in Amerika in die Top Ten der kostenlosen Apps geschafft. Dort stehen wir neben Größen wie YouTube, Facebook, Messenger, Snapchat. Nicht mal Twitter ist in den Top Ten.

Die Welt: Wo werden wir Sie sehen in fünf oder zehn Jahren: auf der Miami Art Fair oder im Silicon Valley mit einer neuen, genialen Idee?

Systrom: Wie meinen Sie das jetzt?

Die Welt: Kommt noch mal was, oder sagen Sie: „Post a picture“, mehr will Instagram auch gar nicht sein?

Systrom: Wir sind längst mehr als „post a picture“. Schauen Sie, die Welt erlebt gerade den „iconic turn“, die Wende zum Bild. Menschen kommunizieren immer mehr über Fotos. Wir waren schon immer mehr als nur „post a picture“ und entwickeln uns ständig weiter. Allein unsere Zeitraffer-App war ein solcher Quantensprung. Früher hätte man bis zu 20.000 Dollar für eine Filmausrüstung zahlen müssen, heute reicht eine App. Das sind Neuheiten, die sehen so leicht aus, aber die sucht jeder wie die Stecknadel im Heuhaufen. Das nächste große Ding ist nicht meine Sache. Die Herausforderung, zeitgemäß zu bleiben, ist groß genug.

Die Welt: Meinen Sie das jetzt ernst?

Systrom: Wir haben es mit einer Community zu tun, die so immens schnell wächst. Wir ermöglichen es Millionen von Menschen, an Erlebnissen teilzunehmen – ob Modenschau oder ein Megasportevent wie die Fußball-Weltmeisterschaft –, die früher nur einem kleinen Kreis zugänglich waren. Mit unserer erweiterten Suchfunktion kann man jetzt noch einfacher in Echtzeit sehen, welche Ereignisse gerade weltweit passieren. Ob es ein Rockkonzert ist oder die Flut in Texas. Diese Form der Technik hat so keiner und kann auch niemand so leicht nachmachen. Und mich interessiert brennend, was passieren wird, wenn diese Technik das Fernsehen ersetzt und den Beruf des Journalisten mit seiner Arbeit, Themen zu entdecken, auf neue Beine stellt.

Die Welt: Ist das also Ihre Vision? Instagram soll das Fernsehen der Zukunft werden?

Systrom: Es wäre ein solcher Umbruch, wenn Instagram den Stellenwert von TV bekäme und dann für Anzeigenkunden reizvoll wäre, die heute noch beim traditionellen Fernsehen sind. Diesen Grad der Disruption haben wir noch nicht erreicht. Dorthin zu kommen – das ist meine Motivation. Dafür arbeite ich hart. Wir bauen mit Instagram etwas auf, das erst zu einem Prozent fertig ist. Wir haben noch einen langen Weg vor uns.

Die Welt: Sie stellen Ihren Nutzern ein Riesenfotoalbum zur Verfügung – und dann mal gucken, was passiert. Das hat schon was von einem Psycho-Experiment, finden Sie nicht?

Systrom: Nein. Wir waren überzeugt davon, dass sich die Welt in diese Richtung entwickeln würde: dass sich die Menschen Fotos lieber anschauen als Text. Darauf haben wir reagiert.

Die Welt: Instagram wirkt sehr demokratisch, jeder kann sich anmelden, Bilder posten. Andererseits: Wird da nicht eine totale Elite herangezogen, die immer Schönes und Erfolg erlebt? Was machen die, die nicht den Idealen entsprechen, die auf Instagram mit Likes belohnt werden – die fühlen sich wie Loser.

Systrom: Instagram ist demokratisch. Es ist für jeden nutzbar, und ich bin überzeugt, dass jeder seine Community findet. Es wird so viel angeboten, nicht nur Highlife. Neulich habe ich von @blueeyedbiblio gehört, einer Frau, die über Literatur diskutiert. Es gibt zig Mitglieder, die sich für Minderheiten starkmachen. Leo Sheng @isupersheng hat als Teenager sein Geschlecht gewechselt und die Phasen seiner Verwandlung gepostet, was wiederum andere motivierte, auch ihre Geschichte zu teilen.

Die Welt: Das ist heute das Leben: posten, bis der Arzt kommt. Was macht das mit den Menschen?

Systrom: Man wird schneller, kriegt mehr mit. Die Wahrnehmung wird geschärft, ganz grundsätzlich.

Die Welt: Aber die Agnosie nimmt zu, Gefühls-Alzheimer, weil wir nur noch abstrakt wahrnehmen, ohne emotionale, tatsächliche Verbindung.

Systrom: Ich glaube, Empathie wird wachsen. Bilder haben eine einmalige und kraftvolle Fähigkeit, einzelne Momente zu transportieren, und das über sprachliche und kulturelle Grenzen hinweg. Das Bild hat das letzte Wort. Jeder kann ein Foto verstehen, das kann sehr verbinden. Bilder sind unmittelbarer. Wie Musik, die direkt ins Ohr geht und wirkt.

Die Welt: Was passiert mit unserem Gehirn, wenn es rund um die Uhr befeuert wird? Es gibt Neurologen, die sagen, wir stünden vor dem nächsten Evolutionssprung.

Systrom: Interessanter Gedanke. Der Mensch will seine Eindrücke immer irgendwie festhalten, archivieren – das liegt in seiner Natur. Und er will Anteil nehmen, dabei sein, wo was passiert. Wir Menschen interessieren uns füreinander, darum haben wir Nachrichtensender. Wir erhalten täglich 70 Millionen Beiträge! Beides – das Sich-immer-leichter-Erinnern und das Allgegenwärtig-sein-Können – wird unser Denken ganz sicher beeinflussen.

Die Welt: Werden wir klüger? Wir leben seit gerade mal 30 Jahren mit dieser Technik und sind schon jetzt überfordert von diesem Informations-Tsunami.

Systrom: Ich glaube ja, unser Gehirn beherrscht viel mehr Multitasking, als wir ihm zutrauen. Man hält halt mehr den Moment fest heute, das Flüchtige. Aber man darf Flüchtigkeit nicht negativ bewerten.

Die Welt: Früher hat man sich zehnmal überlegt, wem man seine Urlaubsfotos zeigt. Ich wäre nie auf die Idee gekommen, sie meinem Hautarzt zu zeigen! Heute ist er nur einer von Tausenden, die sie sehen können.

Systrom: Nun, ich glaube, man öffnet sich mehr, weil ein Medium dazwischensteht.

Die Welt: Ist es nicht enttäuschend und auch langweilig, dass wir nicht weiterkommen, als Flexovegan Food, Selfies, Schuhe zu posten? Wie kommt es, dass auch Sie ernste Themen ausklammern und lieber Selfies im Ralph-Lauren-Suit oder Ihren Golden Retriever Dolores teilen?

Systrom: Das halte ich für ein Vorurteil. Wichtige Momente, die in der Welt passieren, sind auch bei uns ein Thema. Im April hat es sogar ein Instagram-Foto auf das „Time Magazine“ geschafft. Es zeigte die Festnahme eines jungen Afroamerikaners bei den Protesten in Baltimore, der durch die Polizei starb. David Guttenfelder, Fotograf, reiste 2013 nach Nordkorea und gab unfassbare Einblicke, die man sonst nie bekäme. Oder das Nepal-Projekt @nepalphotoproject nach dem Erdbeben: Es half nicht nur bei der Aufklärung dieser furchtbaren Verwüstungen, es fand sofort auch freiwillige Rettungshelfer, die den Account dieser Fotografen nutzten, um überhaupt Gebiete ausfindig machen zu können, damit Hilfsmittel geschickt werden konnten.

Die Welt: Warum haben Sie bei der Facebook-Rainbow-Profil-Aktion für die Homo-Ehe nicht mitgemacht? Und Sie waren auch nicht „Charlie“. Mit einer Million Followern hätten Sie dort gut Flagge zeigen können.

Systrom: Tatsächlich habe ich an dem Morgen meine Zeit damit verbracht, eine Fotocollage für unsere Explore-Seite auf Instagram zusammenzustellen, auf der all die Menschen zu sehen waren, die ausgelassen das Urteil für die Homo-Ehe feierten.

Die Welt: Ihr Profilfoto haben Sie nicht geändert – um sich nicht tracken zu lassen? Es heißt, Facebook speichere mit solchen Aktionen Daten, die die Nutzer dabei von sich preisgeben.

Systrom: Das stimmt nicht. Und ich möchte hier ausdrücklich betonen, dass weder von Facebook noch von uns die Ergebnisse der Regenbogen-Filter-App getrackt wurden oder werden. Ich persönlich habe mich sowohl an #JeSuisCharlie als auch an der jetzigen Pride-Bewegung beteiligt, indem ich mir die zahlreichen Beiträge angesehen habe, die aus allen Teilen der Welt auf Instagram geteilt wurden. Das war beeindruckend.

Die Welt: Kann man auch zu viel posten, gibt es die Overdosis Posts?

Systrom: Es gibt kein Zuviel.

Dieses Interview erschien zuerst in der Welt am Sonntag.

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