IT-Gipfel in Berlin: Die Diskussion über Netzneutralität erreicht höchste politische Ebenen

Vor drei Wochen hat das Europäische Parlament die umstrittene Verordnung zur Netzneutralität verabschiedet – und damit dieses Prinzip der Gleichbehandlung von Daten im Netz entschieden geschwächt. Seither wurde viel über Sinn und Unsinn der Entscheidung gestritten.

Inzwischen hat die Diskussion auch höchste politische Kreise erreicht. Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) äußerte sich am Donnerstag am Rande des IT-Gipfels in Berlin – und wies die Kritik an der EU-Verordnung zurück. „Ich sehe die Schwierigkeiten nicht“, so Gabriel auf einer Pressekonferenz mit Bitkom-Präsident Thorsten Dirks. Die auf europäischer Ebene getroffene Entscheidung bringe „keine Nachteile für Startups, junge Unternehmen und Internetnutzer, selbst dann nicht, wenn Spezialdienste zugelassen werden“.

Weil das EU-Parlament in seiner Entscheidung den Begriff der Spezialdienste nur unzureichend definierte, sehen Kritiker die Möglichkeit, dass Netzbetreiber über dieses Schlupfloch ein weitreichendes Zwei-Klassen-Internet einführen können. Telekom-Chef Tim Höttges, der auch Online-Spiele und Videotelefonie als Spezialdienste ansieht, bestätigte diese Befürchtungen mit seiner Ankündigung, vor allem Startups für schnelle Datenverbindungen zur Kasse zu bitten zu wollen.

Gabriel widersprach Befürchtungen vor einem Internet mit mehreren Geschwindigkeiten. Die Bundesnetzagentur könne als Aufsichtsbehörde mit der sogenannten Ex-post-Kontrolle die Einhaltung der Netzneutralität überwachen und bei Verletzungen eingreifen.

Auf diese Möglichkeit hatte am Mittwoch auch der deutsche EU-Kommissar Günther Oettinger (CDU) verwiesen. Die Bundesnetzagentur würde Netzbetreiber wie die Telekom genau beobachten. „Wenn sich Fehlentwicklungen ergeben sollten, dann werden wir nachkorrigieren“, sagte Oettinger dem ZDF. „Wenn es Diskriminierungen geben sollte, wird es mit Sicherheit von der Netzgemeinde und von Bürgern Beschwerden geben. Und denen werden und müssen wir nachgehen.“

Grundsätzlich sieht Oettinger die Telekom-Pläne nicht als problematisch an – solange niemand benachteiligt werde: „Wenn ich meinen Download, meinen Streamingdienst, meine sozialen Medien uneingeschränkt nutzen kann und keinen Stau habe, warum sollte eine Telekom dann nicht einen Spezialdienst ergänzend anbieten?“

Kritische Töne an der Entscheidung zur Aufweichung der Netzneutralität gab es auf der Bühne des IT-Gipfels auch zu hören – von Match2Blue-Gründerin Stephanie Renda zum Beispiel, die als eine von wenigen Startup-Vertreterinnen auf dem Gipfel für bessere Gründungsvoraussetzungen warb.

Und von Berlins Regierendem Bürgermeister Michael Müller (SPD), vor kurzem noch ohne dezidierte Meinung im Bezug auf das schwierige Thema: Der Beschluss zur Netzneutralität sei „etwas, was noch einmal hinterfragt werden“ würde, so Müller in seiner Willkommensrede. Er kündigte an: Auch die Bundesländer würden sich in die Debatte einbringen.

Denn obwohl auf europäischer Ebene ein Entschluss gefasst worden ist, wird über die konkrete Ausgestaltung der Verordnung und die Umsetzung in nationales Recht weiter verhandelt: Dabei sind vor allem die beiden zuständigen Bundesministerien für Wirtschaft und Verkehr gefragt, außerdem die Bundesnetzagentur sowie eine EU-Agentur namens Gerek, in der sämtliche europäische Aufsichtsbehörden für Telekommunikation vertreten sind. Auch die Medienanstalten, die in Deutschland für die Kontrolle des privaten Rundfunks zuständig sind, forderten am Mittwoch ein Mitspracherecht bei anstehenden Entscheidungen über das Prinzip der Netzneutralität.

Bild: Namensnennung Bestimmte Rechte vorbehalten von Mario Behling