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loft Forscher kritisieren, dass zu wenige etablierte Firmen die Entwicklung neuer, bahnbrechender Ideen fördern würden.

In Deutschland finden sich immer weniger Menschen, die ein Unternehmen gründen. Seit 2004 hat sich die Zahl der Existenzgründungen halbiert. Inzwischen werden sogar mehr Betriebe liquidiert, als neu angemeldet. Mit nur noch 265.000 Gründungen wurde 2015 ein neues Rekordtief erreicht.

Die sprichwörtliche Risikoscheu der Deutschen sei dabei nur eine der Ursachen für die im internationalen Vergleich extrem niedrige Gründungsbereitschaft, heißt es in einer Studie des Forschungsinstituts IW Consult. Es mangele Deutschland zudem an etablierten Unternehmen, die über Forschungs- und Ausgründungskooperationen neue, bahnbrechende Ideen förderten, monieren die Forscher.

IW Consult übergab die Ergebnisse der Studie der Staatssekretärin im Bundeswirtschaftsministerium, Iris Gleicke. Auftraggeber ist der Gemeinschaftsausschuss der Deutschen Gewerblichen Wirtschaft, in dem die wichtigsten Spitzenverbände zusammenarbeiten.

Deutsche entwickeln weiter, aber nicht neu

Die Wirtschaft ist nicht nur angesichts des stetigen Rückgangs bei den Gründungen alarmiert. Auch die Qualität der neuen Firmen ist oftmals mäßig. So bringt jedes hiesige Startup laut Studie zwar ein Plus an Bruttoinlandprodukts (BIP) von 940.000 Euro. Doch in Großbritannien liegt laut Studie die BIP-Steigerung pro Gründung mit 1,96 Millionen Euro mehr als doppelt so hoch.

Der beträchtliche Unterschied sei der Tatsache geschuldet, dass das deutsche Geschäftsmodell im Regelfall nicht auf bahnbrechenden Neuigkeiten, sondern auf nur kleinen Verbesserungen bestehender Produkte oder Dienstleistungen basiere.

Zukünftiges Wirtschaftswachstum werde jedoch „vermehrt aus sprunghaften Innovationen mit neuartigen Geschäftsmodellen generiert“, prophezeien die Forscher. Deutschland benötige deshalb dringend mehr Startups mit radikal neuen Ansätzen.

IT-Kenntnisse werden vernachlässigt

Um im digitalen Zeitalter nicht den Anschluss an die technologische Spitze zu verlieren, brauche die Bundesrepublik „eine Willkommenskultur für Gründer“. Ein Vergleich mit gründungsfreudigeren Ländern wie Großbritannien und Israel zeigt nach Einschätzung des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) die Schwächen des hiesigen Standorts.

Das fängt bereits in den Schulen an. Wirtschaft ist mit Ausnahme von Baden-Württemberg nirgendwo ein ordentliches Schulfach, und Entrepreneurship steht somit auch nicht auf dem Lehrplan.

Sträflich vernachlässigt werden im hiesigen Bildungssystem nach Ansicht der Autoren auch die IT-Fähigkeiten. In Israel, wo der Anteil an Gründern an der Erwerbsbevölkerung dreimal so hoch ist wie in Deutschland, lernen dagegen schon Schulkinder zu programmieren und es wird mit Schülerfirmen-Wettbewerben spielerisch unternehmerisches Denken erprobt.

Israel hat einen entscheidenden Vorteil

Israel verdankt seine florierende Startup-Szene aber auch einem gut entwickelten Gründernetzwerk, das sich intensiv über Erfahrungen austauscht und Neulingen hilft, die Hürden auf dem Weg zum eigenen Unternehmen zu überwinden. Unternehmensgründer profitieren zudem davon, dass in Israel sehr viel Wagniskapital zur Verfügung steht.

Die Autoren sehen in dem guten „Gründer-Ökosystem“, dem effizienten Zusammenspiel von Gründern, Bildungseinrichtungen, Unternehmen, Investoren, Kunden und regionaler Förderung, den entscheidenden Standortvorteil Israels. In Deutschland seien Politik und Wirtschaftsverbände gefordert, effektiver als bisher Gründernetzwerke zu fördern, etwa über Workshops, Mentoren-Programme oder interaktive Plattformen, mahnt die Studie.

Eine überbordende Bürokratie in Deutschland und wenig investorenfreundliche Steuerregeln sehen die IW-Experten als weitere große Gründungsbarrieren. Das Beispiel Großbritannien zeigt, dass eine Verbesserung der Rahmenbedingungen durchschlagenden Erfolg bringen kann. So hatte auch das Königreich jahrelang einen stetigen Rückgang an Unternehmensgründungen verzeichnet und wies bis vor fünf Jahren noch einen negativen Gründungssaldo auf.

Großbritannien hat die Bürokratie reduziert

Doch den Briten gelang es, mit einem breit angelegten Politik-Mix den Trend umzukehren. Mittlerweile weist das Land einen starken Zuwachs auf. Denn „im Vergleich zu Deutschland haben sich in den letzten Jahren dort entscheidende Rahmenbedingungen für Gründer verbessert“, so die Analyse. Die Weltbank bescheinigt Großbritannien mittlerweile die geringsten administrativen Hürden für Startups. Während Deutschland im Ranking von 190 Ländern auf Platz 107 landet, schaffen es die Briten auf Rang 17.

So dauert das Anmeldeverfahren hierzulande mehr als doppelt so lange wie auf der Insel. Und während britische Startups von den beherzten Bürokratieabbaumaßnahmen profitierten, die London in den letzten Jahren vollzogen hat, erschwerten deutschen Gründern die vielen Informations- und Meldepflichten den Arbeitsalltag.

Das Gleiche gelte für das komplexe deutsche Steuersystem. Auch hier habe Großbritannien mit Blick auf Gründer seine Regelungen in den vergangenen Jahren erheblich attraktiver gestaltet. Und so profitierten britische Startups nicht nur von geringen Steuersätzen und vielseitigen Abschreibungsmöglichkeiten für Investitionen, sondern auch von einem stark vereinfachten Steuersystem, stellt das IW fest. Deutsche brauchen danach mehr als doppelt so lange für ihre Steuererklärung und die Steuerquote liegt hier bei knapp 50 Prozent, während sich der britische Fiskus mit 32 Prozent begnügt.

Deutschland setzt zur Aufholjagd an

London setzt zudem auch am Bildungssystem an. So wird künftig nach dem Vorbild der Vereinigten Staaten oder Israel Programmieren als eine der Schlüsselkompetenzen in den Lehrplan aufgenommen. Das IW unterstreicht die große Bedeutung dieser Maßnahmen, denn „gerade für digitale und zukunftsfähige Geschäftsmodelle sind IT- und Programmierfähigkeiten essenziell“.

Ein entscheidender Faktor für das Gründerklima ist auch die Verfügbarkeit von Wagniskapital. Hier sind die Israelis den Deutschen weit voraus. Im Verhältnis zum BIP ist der dortige Markt für Risikokapital in der Frühfinanzierungsphase rund zwanzig Mal größer als der hiesige.

Allerdings bescheinigte die Unternehmensberatung Ernst & Young in ihrem „Start-up-Barometer“ Deutschland einen Aufholprozess. 2015 war Berlin sogar „Europas Start-up-Hauptstadt“, da die Risikokapitalinvestitionen in der Metropole mit 2,1 Milliarden Euro erstmals die von London (1,8 Milliarden Euro) überstiegen.

Unübersichtliche Möglichkeiten der Gründerförderung

Nach Einschätzung der IW-Forscher verdankt Berlin seinen Aufstieg nicht zuletzt dem Hightech-Gründerfonds der Bundesregierung, der Deutschlands größter und attraktivster Frühphaseninvestor sei. Er stellt Startups in der Anfangsphase bis zu 600.000 Euro Risikokapital zur Verfügung.

Insgesamt aber ist die staatliche Gründerförderung, die von Stipendien über Sachmittelhilfen bis zu zinsgünstigen Finanzierungen reicht, nach Einschätzung der Experten unübersichtlich und viel zu bürokratisch. Allein die Förderdatenbank des Bundeswirtschaftsministeriums zähle 190 Förderprogramme.

Daneben gebe es 1800 weitere Programme der Technologie- Mittelstands- und Regionalförderung, die aus den Budgets der Bundesländer, des Bundes und der EU finanziert werden. Statt immer neue Programme aufzulegen, empfehlen die Ökonomen attraktivere Steuerregeln für private Wagniskapitalgeber.

Dieser Artikel erschien zuerst bei Welt.de.

Bild: Getty Images / picturegarden