juliane leopold chefredakteurin buzzfeed deutschland interview

„Wir werden keine deutschsprachige Nachrichtenwebsite“

Ihren neuen Job gab sie standesgemäß per Twitter bekannt: Seit etwas mehr als zwei Wochen ist klar, dass die erste Chefredakteurin des deutschen BuzzFeed-Ablegers Juliane Leopold heißt. Die 31-Jährige kommt von der „Zeit“, wo sie als Social-Media-Redakteurin arbeitete. Die Reaktionen auf den Wechsel waren zahlreich – und überwiegend positiv. Das war nicht unbedingt zu erwarten, denn das BuzzFeed-Rezept aus süßen Tierbildern, witzigen Listicles und etwas eingestreuter ernsthafter Berichterstattung wird in der deutschen Medienlandschaft immer noch mit großer Skepsis betrachtet.

Die Leser hingegen lieben die Seite – offenbar auch die deutschen. Eine Million Nutzer pro Monat aus Deutschland zähle das US-amerikanische Viral-Portal, erklärte Gründer Jonah Peretti im Februar während eines Deutschland-Besuchs. Für Peretti und seinen Expansionsbauftragten Scott Lamb war das Grund genug, einen eigenen Ableger nach Deutschland zu bringen. Wie der genau aussehen würde, war lange unklar. In ihrem ersten Interview gibt Leopold Hinweise auf Ausrichtung und Themenmischung von BuzzFeed Deutschland, erklärt, inwiefern sich das Portal auf andere Nutzungsgewohnheiten sozialer Medien einstellen muss und verteidigt das Konzept gegen eine Reihe von Vorwürfen.

Du hast im Juni bei der „Zeit“ aufgehört, seit zwei Wochen ist bekannt, dass du die erste Chefredakteurin von BuzzFeed Deutschland wirst. Wo stehst du im Moment?

Mein Job bei BuzzFeed beginnt im Laufe der nächsten Wochen mit einer Reise nach New York. Dort arbeite ich mich ein und lerne meine US-Kollegen kennen. Danach beginne ich dann hier mit meinem Team zu arbeiten.

Wie groß wird das Team?

Wir rechnen – inklusive mir – mit vier oder fünf Leuten.

Werden die alle das gleiche Profil haben?

Wir hätten gern sehr unterschiedliche Profile. Natürlich ist das ein Job, der journalistische Fähigkeiten erfordert. Ich habe nicht die Zeit, jemandem zu erklären, wie er eine Quelle oder Fakten checkt. Aber wir suchen auch nach Leuten, die wir Internet Weirdos nennen. Leute, die wirklich im Internet wohnen, die wissen, wo sie die besten GIFs finden und ihre Quellen für Memes haben. Die auch eine gewisse Street Credibility aus dem Internet mitbringen. Auch für Journalisten ist der Job attraktiv, weil es nicht nur darum geht, tolle Inhalte zu erstellen, sondern auch darum, Inhalte zu produzieren, die Menschen gerne teilen.

Erfüllst du all diese Anforderungen? Und heißt das, ihr sucht im Moment noch mehr Juliane Leopolds?

Ich glaube, ich bin so ein Allrounder. Ich bringe Qualifikationen aus dem klassischen Journalismus mit und ich lebe im Internet. Ich bin permanent online. Das ist meine Lebenssphäre. Für das Team brauchen wir sowohl Allrounder als auch Spezialisten und in meiner Idealvorstellung lernen wir voneinander.

Sind journalistische Vollprofis, die gleichzeitig Internet Weirdos sind, in Deutschland schwierig zu finden?

Das wird sich zeigen. Wir haben noch nicht so viel Werbung für den Job gemacht. Entscheidend sind für uns neben dem Lebenslauf die Arbeitsproben. Jeder, der sich bei uns bewirbt, sollte sich bei BuzzFeed.com ein Profil anlegen und Posts kreieren.

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Werden deine Redakteure ausschließlich mit eigenen Geschichten beschäftigt sein oder werden sie auch Content der Mutterseite übersetzen müssen?

Wir werden auch übersetzten Content verbreiten.

Wie viele Artikel wird BuzzFeed Deutschland am Tag veröffentlichen?

Derzeit gibt es noch keine Zielgröße. Es geht erst einmal darum, ein Team zusammenzuschmieden, Prozesse zu definieren und eine eigene Stimme zu finden.

Diese eigene Stimme hängt ja vermutlich sehr davon ab, ob man es schafft, sich auf die lokalen Eigenheiten der Social-Media-Sphären einzustellen. Was ist in Deutschland anders?

In Deutschland spielt Twitter zum Beispiel eine andere Rolle. Es wird zwar auch als Second Screen beim Fernsehen verwendet, doch als Instrument für politische Mobilisierung oder soziale Bewegungen ist Twitter noch auf einer völlig anderen Entwicklungsstufe. Das liegt in erster Linie an der Verbreitung des Kanals in Deutschland.

Die geringe Anzahl von Twitternutzern heißt für euch doch wahrscheinlich, dass ihr euch viel mehr auf Facebook fokussieren müsst.

Natürlich spielt Facebook, was Reichweite angeht, in Deutschland die größte Rolle. Gleichzeitig tendiere ich aus meiner Erfahrung mit anderen Medienmarken dazu, mich nicht komplett von Facebook abhängig zu machen. Wir sind als Onlinemedien ohnehin schon in einer Abhängigkeitssituation mit Google – wobei ich mich allerdings ausdrücklich nicht zu den Menschen zähle, die das verteufeln. Aber die Frage ist: Begibt man sich sehenden Auges in weitere Abhängigkeitssituationen? Was die anderen Kanäle angeht: Google+ spielt für das Ranking bei Google eine große Rolle. Die Community ist sehr speziell und auch letztlich sehr klein, was aktive Nutzer angeht. Instagram wird eine immer größere Rolle spielen. Da müssen wir schauen, wie wir den BuzzFeed-Gedanken dort umsetzen können. Das schöne ist, dass wir erst einmal ganz viel ausprobieren können: Wir machen und gucken, was passiert. Und wenn wir nicht happy sind, ändern wir es oder lassen es. Es gibt keine Denkverbote.

BuzzFeed hat seine Entwicklung ursprünglich als Viral-Experiment begonnen: Man wollte ausprobieren, wie man große Reichweiten hinbekommt, testen, welche Inhalte besonders gut geteilt werden. Das ging natürlich am besten mit Trash und Katzenbildern. Erst später kam seriöser und anspruchsvoller Journalismus dazu. Wird das in Deutschland ähnlich verlaufen?

Das kann ich noch nicht beantworten. Das werden wir sehen. Wir werden uns sicherlich an das grundsätzliche BuzzFeed-Rezept halten: eine Mischung ist aus contagiousness und stickiness. Also: Es gibt Inhalte wie die berühmten animierten GIF-Listen, die sind odd, ungewöhnlich und überraschend. Und die treffen auf das sogenannte bored-at-work network, das BuzzFeed-Gründer Jonah Peretti als das größte soziale Netzwerk der Welt bezeichnet. Ich beobachte das bei mir: Ich klicke das an, um mein Hirn zu durchlüften, wenn ich meine acht Stunden im Büro sitze. Dann interessiere ich mich kurz auch für den Post über Neunziger-Jahre-Serien. Und ich komme dann auf eine Seite, die mich mit vielen anderen Informationen abholt: mit ISIS-Analysen, Berichten über die Lage in Gaza. Wir werden sicherlich auch mit einer Themenmischung an den Start gehen.

Wie politisch wird das deutsche BuzzFeed? Und wie steht’s um das Urheberrecht? Antworten im zweiten Teil des Interviews.

Bild: Caroline Pitzke

juliane leopold chefredakteurin buzzfeed deutschland interview

„Ich würde mir von deutschen Medien mehr Machen wünschen.“

Mit den Konflikten im Irak, in Gaza und der Ukraine durchleben wir gerade sehr nachrichtenstarke Tage. Eine Seite, die nur Bilder aus alten Serien und Katzenvideos zum Inhalt hat, würde sich wohl zu Recht dem Vorwurf der Irrelevanz aussetzen.

Hast du dir die Seite in den letzten Tagen angeguckt? Wie sieht die Seite aus?

Klar, auf der US-Seite findet das alles statt. Aber kann man das auch abdecken, wenn man nur vier, fünf Leute hat?

Ich gehe davon aus, dass wir kein Vollprogramm fahren. Wir werden, aus allem, was ich bisher absehen kann, keine deutschsprachige Nachrichtenwebsite sein. Punkt. Wir werden die deutsche Stimme BuzzFeeds sein. Mit deutschen Inhalten für BuzzFeed. Und wir werden das BuzzFeed-Gesamtpaket um deutschsprachige Inhalte ergänzen.

Wird BuzzFeed in der deutschen Medienlandschaft richtig verstanden? Werden die Leistungen, die BuzzFeed für den Online-Journalismus erbracht hat, verkannt?

Schwierige Frage. Als bekannt wurde, dass ich den Job machen werde, war ich sehr erstaunt über die Vielzahl der Reaktionen und Berichte. Das zeigt mir, dass es eine große Aufmerksamkeit für die Marke gibt. Und auch einen gewissen Respekt für die Leistung, die sie in den USA erreicht hat. Auf der anderen Seite gibt es da schon eine zu beobachtende Skepsis, was die Inhalte und die Art der Aufbereitung angeht. Das ist etwas, was mich nachdenklich stimmt. Denn als Journalist sollte unser aller Ziel sein, komplexe Themen so aufzubereiten, dass Menschen leicht einsteigen und sie leicht verstehen können. Genau das macht BuzzFeed – auf einem anderen Level als der klassische Boulevardjournalismus. Dass die Deutschen das nicht völlig bizarr finden, siehst du daran, dass die sogenannten Listicles es ja auch in die sogenannten Qualitätsmedien geschafft haben. Du findest auch in einer großen deutschen Wochenzeitung einen Leitartikel, der aus fünf Listenpunkten besteht.

Die große Aufmerksamkeit für deinen Wechsel hat vermutlich auch damit zu tun, dass gerade jemand, der für die „Neue Zürcher Zeitung“ und die „Zeit“ gearbeitet hat, zu BuzzFeed geht. Ist das ein Kulturbruch?

Ich kenne die Kultur bei BuzzFeed noch nicht, deswegen kann ich das nicht beantworten.

Von außen sieht es wie ein Kulturbruch aus.

Wenn man sich meinen Weg genauer anguckt, wird man feststellen, dass ich immer im Internet zuhause war. Ich habe während des Studiums angefangen zu bloggen und zu twittern. Das fiel dann glücklicherweise in eine Zeit, in der Medienunternehmen entdeckt haben, dass sie diese Fähigkeiten brauchen. Ich war da und suchte einen Job – und „rutschte“ so in den seriösen Journalismus. Insofern ist der Weg zu BuzzFeed ein ganz konsequenter. Weil er beide Seiten zusammenbringt.

Wie politisch wird das deutsche Buzzfeed sein? Wo wird es sich politisch verorten?

Dazu kann ich nichts sagen.

Ich finde, in den USA zeigt BuzzFeed eine klare politische Tendenz: eher links, eher liberal. Wenn man deinem Twitter-Account folgt, kann man ebenfalls eine politische Positionierung erkennen, die nicht so weit von der BuzzFeed-Position entfernt ist.

Ich glaube, es wäre naiv anzunehmen, es gebe eine politische Haltung, der all die nationalen BuzzFeed-Ableger in Großbritannien, Frankreich, Brasilien, Indien oder Australien folgen. Diese Zweige haben völlig unterschiedliche Gesichter. Natürlich gibt es ein paar BuzzFeed-Ideale. Und das ist ein Job für Idealisten. Es gibt zum Beispiel das Prinzip des punching up, not punching down: Man beschäftigt sich nicht mit Trollen, mit Häme oder mit Spott. Man wird nicht „Die 10 hässlichsten Bikini-Bodys des Sommers“ auf der Seite finden. Sondern eher eine positive Stimme. Vielleicht ist das ein grundsätzlicher Charakterzug bei BuzzFeed: ein positiver Blick auf das Leben.

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Diese positive Grundstimmung und das Prinzip, im Zweifel eher nett zu berichten, wird auch kritisch gesehen. Springer-Chef Mathias Döpfner hat sich zum Beispiel sehr über den BuzzFeed-Literaturkritiker aufgeregt, der bekannt gab, keine Verrisse mehr schreiben zu wollen, sondern lieber positive Buchempfehlungen. Wie stehst du dazu?

Das Döpfner-Zitat ist mir nicht bekannt. Falls er das so gesagt hat, sollte er über sein Bild vom Publikum nachdenken. Ich glaube, viele Medienmanager in Deutschland haben das Bild eines Publikums, das morgens eine Zeitung aufschlägt und diese von vorne bis hinten durchliest und das war’s dann. Was die unterschätzen: Menschen sind in der Lage, sich gezielt mit Inhalten zu beschäftigen, die sie interessieren. Das heißt, wenn sie auf BuzzFeed.com gehen und dort die Lobpreisung eines Buchs finden, wird das für sie nicht das komplette Bild dieses Buchs sein. Spätestens wenn sie auf die Seite eines Online-Buchhändlers gehen, werden sie dort mit Besprechungen konfrontiert, die vielleicht überhaupt nicht positiv sind. Insofern würde ich für ein bisschen mehr Gelassenheit plädieren im Umgang mit BuzzFeed im speziellen und mit einer positiven Sicht auf unsere Welt im generellen. Auf der Seite finden sich ja auch nüchtern verfasste Nachrichten und Analysen des Weltgeschehens.

Eine andere Kritik an BuzzFeed ist die Art und Weise, wie mit Advertorials Geld verdient wird.

Das sind keine Advertorials, das ist Native Advertising.

Wie unterscheidest du das?

Advertorials entstehen zum Teil auch in Abteilungen, die Verlagen angehängt sind. Das sind Inhalte, die zwar als Werbung gekennzeichnet sind, die aber von den gleichen Leuten geschrieben werden, die auch Nachrichten schreiben. Das finde ich problematisch. Native Advertising, so wie BuzzFeed es betreibt, achtet auf eine klare Trennung: Der Werbekunde kommt zu uns, unser Kreativteam in der Anzeigenabteilung berät ihn, wie eine Überschrift oder ein Listicle funktioniert, dann geht der Kunde nach Hause und baut seinen Inhalt. In der Absenderschaft ist er klar getrennt. Das ist der Unterschied.

Dritter Vorwurf: der Umgang mit fremden Inhalten. Sind Listicles okay, die sich aus allem möglichen speisen, aber nicht aus Bildern, an denen BuzzFeed das Urheberrecht besitzt? Wird der deutsche Ableger da die gleiche laxe Politik verfolgen wie die US-Mutter?

Das kann ich noch nicht beantworten, da muss ich mich erst rechtlich beraten lassen. Grundsätzlich wissen wir, dass es unterschiedliche Regelungen im Urheberrecht gibt. Wir haben in den USA das Fair-Use-Prinzip, in Deutschland ein anderes Urheberrecht. Wie wir da für alle Seiten zufriedenstellend verfahren, das müssen wir im Laufe des Prozesses noch herausfinden.

Deine alten Arbeitgeber, die „Zeit“ und die „NZZ“, was können die eigentlich von BuzzFeed lernen?

Sowohl bei der „Zeit“ als auch bei der „NZZ“ gibt es Menschen, die begriffen haben, dass der digitale Wandel nicht in zehn Jahren sondern jetzt passiert. Ich wünsche diesen Häusern, dass diese Menschen die Kraft und das Durchhaltevermögen haben sowie die Unterstützung bekommen, ihre Vision durchzusetzen.

Das war noch keine Antwort auf meine Frage.

Ich würde den deutschen Medienmarken grundsätzlich empfehlen, häufiger Dinge einfach zu machen und auf Ihre Kunden, die Leserinnen und Leser zu hören. Was mich in meinen Erfahrungen mit den Amerikanern bisher beeindruckt, ist nicht nur die positive Attitüde, sondern auch eine Can-do-Einstellung. Da werden keinen Fünf-Jahres-Pläne vorgelegt, da heißt es: Wir machen das jetzt mal. Wir schauen, was wir erreichen. Und dann gucken wir, wie wir das monetarisieren. Ich würde mir von deutschen Medien mehr Machen wünschen.

Bild: Caroline Pitzke