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movinga-unister-lovoo Unister-Gründer Thomas Wagner (links oben), die Lovoo-Gründer Benjamin und Björn Bak (rechts oben) und die Movinga-Gründer Bastian Knutzen und Chris Maslowski (unten)

Es ist ein dunkler Dienstagmorgen Mitte Dezember, als sich insgesamt 130 Ermittler des LKAs in Leipzig auf den Weg machen. Ihr Ziel: Büros von Unister-Unternehmen und die Wohnungen einiger Manager. Am Unister-Hauptsitz im Barfußgäßchen beschlagnahmen die Beamten Computer und Akten-Stapel. Es ist die erste Razzia bei dem Portalbetreiber im Jahr 2012.

Die Generalstaatsanwaltschaft Dresden geht „gegen acht Führungsmitglieder wegen des Verdachts der unbefugten Geschäftstätigkeit und Steuerhinterziehung“ vor. Das sagte damals ein Sprecher zur Leipziger Volkszeitung. Tatsächlich reichte die Staatsanwaltschaft nach monatelangen Ermittlungen im Dezember 2013 eine Klage gegen den vor kurzem verunglückten Unister-Gründer Thomas Wagner und drei weitere Manager bei Gericht ein. Dann passierte – von außen betrachtet – sehr lange gar nichts. Bis heute ist es nicht zur Verhandlung gekommen.

Bei Verdächtigungen in Sachen Wirtschaftskriminalität passiert es häufig, dass Klagen lange bei Gericht liegen. Es dauert manchmal Jahre, bis entschieden wird, ob es überhaupt zu einem Prozess kommt. Für die Angeklagten hat das schlimme Folgen. Zwar gilt in Deutschland so lange die Unschuldsvermutung, bis das Gegenteil bewiesen wird. In der Praxis aber schaden bereits die Anklagen dem Ruf des Unternehmers und erschweren sein Geschäft.

Gleichzeitig können die Folgen äußerst problematisch sein, wenn ein Geschäftsmann tatsächlich schuldig ist. Dann kann er seine Praktiken lange weiterverfolgen, Verbraucher und Geschäftspartner werden geschädigt.

Internet-basierte Geschäfte sorgen mittlerweile dafür, dass die Wirtschaftswelt schneller wird. Zu schnell für die deutsche Justiz? Das suggeriert nicht nur der Fall Unister.

Ermittlungen gegen die Geschäftsführer von Movinga und Lovoo ziehen sich über Monate

Auch gegen die beiden Gründer des Berliner Hype-Startups Movinga wurde monatelang wegen Urkundenfälschung ermittelt. Auf erneute Nachfrage von Gründerszene heißt es von der Berliner Staatsanwaltschaft jetzt, dass die Ermittlungen gegen Bastian Knutzen und Chris Maslowski abgeschlossen seien. Das Verfahren wurde eingestellt, die Begehung einer Straftat sei nicht bewiesen worden. Die Gründer haben nun also rechtlich keine Folgen zu befürchten.

Doch als die Untersuchung bekannt wurde, steckten sie noch mitten im Fundraising. Kein gutes Signal an Investoren. Tatsächlich passierte in den Monaten der Ermittlungen eine Menge: Die Movinga-Gründer verließen das Unternehmen und mussten offenbar ihre verbleibenden Anteile für eine geringe Summe abtreten. Außerdem wurden um die 200 Mitarbeiter entlassen und zwei Märkte komplett geschlossen. Eine wichtige Finanzierungsrunde von Google Ventures soll ebenfalls geplatzt sein. Startup-Geschehen, das die Behördenrealität überrundet.

Ähnlich langsam laufen die Ermittlungen beim Dresdner Dating-Startup Lovoo. Im Juni gab es eine Razzia des LKAs, zwei Geschäftsführer wurden kurzzeitig festgenommen. Der Vorwurf: Auf der Flirtplattform soll es Fake-Profile gegeben haben, die Nutzer zum Abschluss kostpflichtiger Abonnements verleitet hätten. Dadurch sei es zu Schäden in Millionenhöhe gekommen, heißt es in der Anklageschrift. Die Dresdner Staatsanwaltschaft gibt gegenüber Gründerszene an, dass derzeit die beschlagnahmten Daten ausgewertet werden – und das noch mindestens vier Wochen lang. Erst dann – also nach mehr als drei Monaten – werde entschieden, wie es im Fall Lovoo überhaupt weitergeht.

Eine Klage, die am Hamburger Landgericht vor sich hin schimmelt

Ein extremes Beispiel für die Langsamkeit der Behörden ist auch die Klage gegen den Stardrinx-Gründer Christian Schoenberger. Sie liegt seit dem Jahr 2013 bei dem Hamburger Landgericht – bisher wurde nicht entschieden, ob es zur Verhandlung kommen wird. Schoenberger ist wegen gewerbsmäßigem Betrug angeklagt. Über seinen Online-Shop bot er Spirituosen günstig an, er soll Geld von Kunden genommen, aber die Ware nicht verschickt haben.

Schoenberger startete vergangenes Jahr einen neuen Spirituosen-Shop. Wieder beschwerten sich Kunden, sie hätten bezahlt und ihre Getränke nicht erhalten. Die Staatsanwaltschaft verklagte den Gründer erneut, Schoenberger kam Anfang 2016 für etwa vier Monate in Untersuchungshaft. Mittlerweile wurde er entlassen, der aktuelle Prozess läuft weiter. Jüngst startete Christian Schoenberger seinen neuen Online-Marktplatz Echteschuhe.de.

Doch wie steht es um die drei Jahre alte Klage? Ein Sprecher des Hamburger Landgerichts erklärt, dass eine viel beschäftigte Kammer des Gerichts dafür zuständig sei. Die müsse ständig dringendere und größere Fälle vorziehen. Daher sei bis heute nicht entschieden worden, ob es in der Sache zum Prozess kommt.

Beim Leipziger Landgericht ist man sich in Sachen Unister bewusst, was solche Verzögerungen bedeuten. Ein Sprecher schreibt auf Nachfrage, man wisse, „dass andauernde Strafverfahren für die Betroffenen eine erhebliche Belastung darstellen“. Aber auch hier weist man darauf hin, dass die Kammern eben nicht nur ein Verfahren zu bearbeiten hätten. Es handle sich bei Unister „sowohl vom Aktenumfang als auch der Zahl der Vorwürfe um sogenannte Großverfahren, bei der die Kammer sicherlich nachvollziehbar auch erhebliche Zeit für die Prüfung benötigt“.

„Politisch nicht gewollt“

In den stark überlasteten Behörden sieht Kai Bussmann ein altes Problem. Er ist Professor für Strafrecht und Kriminologie mit Schwerpunkt Wirtschaftskriminalität an der Universität Halle-Wittenberg. „Das besteht seit mehr als 30 Jahren. Gerichte und auch die Staatsanwaltschaften sind völlig unterbesetzt.“ Bussmann erklärt, dass für die Bekämpfung von Wirtschaftskriminalität einfach keine ausreichenden Mittel mobilisiert würden. „Die Justiz beschwert sich seit Jahren, doch es ändert sich viel zu wenig.“

Den Grund darin sieht Bussmann in der Art der Verbrechen. „In den Kampf gegen Terror und Mord – also gegen Dinge, die Angst machen – investiert die Politik schnell viel Geld. Mit der Bekämpfung von Wirtschaftskriminalität aber gewinnt man keine Wahlen.“ Der Professor ist der Meinung, in der Sache könne viel mehr gemacht werden. „Denn so langsam ist Justiz gar nicht. Und sind die Täter einmal in ihrem Fadenkreuz, wird es sehr unangenehm. Aber die Behörden müssen eben gut ausgestattet sein. Und zuweilen entsteht der Eindruck, dass es auch politisch nicht gewollt ist.“

Zumindest im Fall Unister könnte es bald Fortschritte geben. Vom Leipziger Landgericht heißt es, für diesen April seien bereits Verhandlungstage festgesetzt gewesen. Allerdings habe die Staatsanwaltschaft im Februar eine zweite Anklage gegen Unister eingereicht und beantragt, beide Anklagen zu verbinden. Das sei mittlerweile geschehen, dadurch habe sich aber die Verhandlung verschoben. Es heißt, die Eröffnung des Prozesses sei „zeitnah beabsichtigt“.

Endlich.

Titelbild: Collage Gründerszene/Unister, Movinga, Lovoo