Die Kanzlerin Angela Merkel spricht mit Gründerin Catharina van Delden

Der Ruf nach der Politik, die alles richten soll, gehört eher nicht ins Repertoire von Gründern. Denn uns vereint ein grundsätzlicher Optimismus selbst zu gestalten, etwas nach vorne zu bringen.

Als ich in der vorvergangenen Woche zu einer Runde mit der Bundeskanzlerin eingeladen wurde, habe ich diese Gelegenheit trotz dieser Vorbehalte gerne wahrgenommen. Die Bundestagsfraktion der Union hatte mich eingeladen, eine Dreiviertelstunde lang mit Bundeskanzlerin Angela Merkel und Michael Hüther vom Institut der deutschen Wirtschaft über „Wirtschaft 4.0 – Chancen für Deutschland“ zu diskutieren.

Der Fraktionssaal war mit mehr als 400 Leuten gut gefüllt. Abgesehen von Politikern fanden sich zahlreiche Vertreter aus der Wirtschaft und Startupszene unter den Gästen. Die positive Stimmung im Publikum sorgte dafür, dass sich meine wohl nicht zu vermeidende Nervosität rasch legte.

Dazu kommt: Die digitale Transformation ist ein Thema, das mich in meiner täglichen Arbeit bei meiner Firma Innosabi, einem Anbieter digitaler Innovationsinfrastruktur für große Unternehmen, schon lange begleitet. Wirtschaft 4.0 heißt, dass mehr als die Hälfte der deutschen Unternehmen ihr Geschäftsmodell im Zuge der Digitalisierung werden ändern müssen, wie eine Bitkom-Umfrage ergeben hat. Viele unserer Kunden arbeiten gerade deswegen mit uns zusammen, sie nutzen unsere Software, um ihre Innovationsprozesse auch in der digitalen Welt ankommen zu lassen.

Die Politik kann nicht bei der Produktentwicklung helfen

Was bedeutet das in der Praxis? Ein Automobilzulieferer, der derzeit Autoschlüssel an seine Kunden liefert, weiß ganz genau, dass dieses Geschäftsmodell nicht mehr dauerhaft tragen wird. Schlüssel verschwinden, nicht nur beim Auto. Die einzige Lösung ist die rechtzeitige Umstellung auf andere, auf digitale Produkte – vom Fingerabdruck-Scanner bis zur Schloss-Öffnungs-App.

Als Gründerin weiß ich: Die Politik kann weder bei der Produktentwicklung helfen noch den Unternehmen die grundsätzliche Entscheidung abnehmen, ihr Geschäftsmodell der Digitalisierung anzupassen. Aber Politik kann dafür sorgen, dass Unternehmen und vor allem auch Startups nicht noch zusätzliche Steine in den Weg gelegt werden. Und sie kann zumindest bei einzelnen Problemen ganz konkret unterstützen und Lösungen finden. Diese Erfahrung habe ich als Bitkom-Präsidiumsmitglied gemacht. Und deshalb freue ich mich, dass es mir gelungen ist, in der Diskussionsrunde mit der Kanzlerin zwei Themen, die mich und viele Startups bewegen, anzusprechen.

Zum einen steht jedes Startup vor dem Problem, potenziellen Kunden zu belegen, was sie leisten können. Da geht es um Umsatz, da geht es um Referenzprojekte. Denn jedes Unternehmen, das Geschäfte mit Startups macht, muss eine gewisse Risikobereitschaft mitbringen.

Mein Vorschlag an die Bundeskanzlerin war: Wieso kann die Politik an dieser Stelle nicht mit gutem Beispiel vorangehen? Warum kann die öffentliche Verwaltung nicht Vorreiter sein und bei Vergabeprozessen ganz gezielt auch Startups ansprechen und Ausschreibungen entsprechend gestalten? Das würde zum Beispiel bedeuten, auf umfangreiche Referenzen oder Umsatzzahlen der vergangenen drei Jahre – die Startups sehr häufig nicht liefern können – zu verzichten. Mein Eindruck war, dass die Bundeskanzlerin diese Idee noch nicht so oft gehört hat – und es hat mich gefreut, wie offen sie war, darüber nachzudenken und die Anregung mitzunehmen.

Die Kanzlerin sagte: „Wenn Ihnen das wichtig ist, dann denke ich darüber nach.“

Das zweite große Thema der Runde, das wohl die meisten Startups bewegt, ist der Fachkräftemangel, vor allem bei Entwicklern – auch bei Innosabi ein wichtiges Thema. Politisch nicht wirklich neu, zugegeben, dennoch müssen wir unser Bildungssystem dringend darauf einstellen. Wir brauchen Englisch als Lingua franca der digitalen Welt ab der ersten Klasse, wir brauchen ein Pflichtfach Informatik – wir brauchen eine Programmiersprache als Fremdsprache in der Schule.

Nur: Selbst wenn wir jetzt sofort unsere Schulen umbauen, dann löst sich das Problem frühestens in einigen Jahren, vielleicht auch erst in zehn bis 15 Jahren. Das ist viel zu spät. Wir müssen kurzfristig über eine richtige Einwanderungspolitik sprechen und vor allem auch über Weiterbildung von Fachfremden. In unserem eigenen Entwicklungsteam haben wir beispielsweise keinen einzigen studierten Informatiker. Da sind dicke Bretter zu bohren und es gibt keinen Königsweg, umso wichtiger ist mir an dieser Stelle die Antwort der Kanzlerin: „Wenn Ihnen das wichtig ist, dann denke ich darüber nach.“

Für mich hat die Bundeskanzlerin bei der Veranstaltung eindrucksvoll gezeigt, wie wichtig ihr das Thema Digitalisierung ist. Sie hat sich Zeit genommen, zugehört, nachgefragt – und das in Zeiten, in denen ganz konkrete, drängende Probleme wie die Flüchtlingskrise die Menschen, die Politik und vor allem auch die Regierung bewegen. Sie hat auch gezeigt, dass für sie das Thema Digitalisierung direkt mit dem Thema Startups verknüpft ist.

Angela Merkel wird wohl nie ein digitalisiertes Leben führen

Mir gefällt der pragmatische Ansatz der Bundeskanzlerin, die einräumt, wohl selbst nie ein digitalisiertes Leben führen zu werden, aber dennoch so viel wie möglich verstehen möchte. Für sie ist die Digitalisierung ein „klassischer Bereich für lebenslanges Lernen“, wie sie selbst sagt. Sie habe bereits viel gelernt, aber freue sich, dass sie Kollegen habe, um alle verbleibenden Fragen zu klären. Und mir hat ihre Ergänzung gefallen, die sie mit einem gewissen Augenzwinkern hinzugefügt hat: „Manchmal gehört ja schon ein gewisses Wissen dazu, die Frage richtig zu stellen.“

Bild: Bitkom