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Viel Computer, wenig Studium

Eigentlich müsste der Gameforge- und Flaregames-Gründer Klaas Kersting nie wieder arbeiten. Aber er brauche eine Aufgabe, sonst werde ihm langweilig, sagt er. Ein Leben ohne Arbeit könne er sich nicht mehr vorstellen. Dabei deutet direkt nach seinem Abitur wenig darauf hin, dass sein Leben jemals in einer erfolgreichen Bahn verlaufen wird.

Mit einem eher durchschnittlichen NC schickt ihn die ZVS 1999 nach Chemnitz – und nicht wie gewünscht nach Passau oder Bayreuth. „Ich habe versucht, BWL zu studieren“, sagt Kersting mit einem Lachen, „aber habe im Wesentlichen nur Computer gespielt.“ Während seine Kommilitonen studieren, zockt er semiprofessionell Counterstrike. Oder Alpha Centauri, dort erreicht Kersting sogar Platz eins der Weltrangliste. „Weil ich relativ wenig studiert habe, hielten sich meine sozialen Kontakte mit den anderen Studenten in Grenzen“, erzählt Kersting. „Und nach einem Jahr in Chemnitz habe ich festgestellt, dass es so nicht weitergehen kann.”

Eine andere Umgebung soll frischen Wind bringen. Die Nähe zu einer Großstadt, die Lage am Rhein und eine renommierte Uni lassen die Wahl auf Bonn fallen. „Und es gab die richtige Entfernung zu meinen Eltern“, fügt Kersting lachend hinzu. Die ZVS-Frist verpasst er. Er schreibt sich für Geschichte, Jura und Kommunikationswissenschaften ein. „Eine wilde Kombination“, gibt er zu. „Aber auch da habe ich nicht wirklich studiert.” Stattdessen zockt er Baldur’s Gate 2, verbringt die Zeit mit Freunden, geht auf Partys und genießt das Leben.

Seine Eltern sind zu diesem Zeitpunkt bereits tief besorgt und schicken wöchentlich Ideen für die Zukunftsplanung. Eine dieser Ideen: Eine frisch von KPMG gegründete Akademie in Mannheim, die Information Risk Management Specialists ausbildet. Kersting lernt Grundsätzliches aus Bereichen wie Programmieren, BWL, Mathematik, Statistik oder Projektmanagement. Durch die Anwesenheitspflicht wird seine Selbstdisziplin auf die Probe gestellt. „Aber auch hier stellte ich fest, dass das nicht meine Welt ist.“

Kerstings erstes Spiel: Wogen des Schickals

Dennoch bleibt Kersting passiv, bis er 2001 auf das Browser-Spiel Galaxy Wars stößt. Mit einigen Kommilitionen fachsimpelt er – im betrunkenen Zustand – wie schwierig es wohl wäre, ein derartiges Spiel nachzubauen. Wenig später stellt Kersting ein Team zusammen und baut an dem Spiel Wogen des Schicksals: „Ein fantastischer Name“, lacht Kersting. Das Spiel erreicht 3.000 Nutzer, die damals noch sehr teuren Serverkosten zahlt er vom Geld, das seine Eltern eigentlich für Nahrungsmittel und Miete überweisen. „Ich habe mich zwei Monate lang nur von Fertignudeln ernährt – ich kann Nudeln mit Tomatensauce bis heute nicht mehr sehen.“

Um die Serverkosten zu stemmen, bittet Kersting die Community um Spenden. Als auch das nur passabel funktioniert, kümmert er sich um eine Mediaagentur und blendet Werbung ein. Plötzlich trägt sich das Spiel selbst. „Ich habe mit der Werbung dann weiter herumexperimentiert und optimiert und es stellt sich heraus: Damit verdiene ich ja mehr, als die Serverkosten“, so Kersting. „Und dann dachte ich mir: Das Problem haben sicherlich auch andere.“ Er wendet sich an Alexander Rösner, der zu dem Zeitpunkt mit OGame einen der erfolgreichsten Browser-Titel Deutschlands gebaut hat.

Rösner – ein gestandener Geschäftsmann und Mitgründer des Internet-Providers Schlund und Partner, der von 1&1 übernommen wurde – ignoriert seine Anfrage erwartungsgemäß, aber Kersting lässt nicht locker. In einer Folgemail erwähnt er sein eigenes Spiel, Rösner ist dann doch interessiert. „Zwei Wochen später saßen wir in meiner schmuddeligen WG-Küche und eine weitere Woche später beim Notar, um die Gameforge zu gründen.“

Gameforge, heute eines der größten Spieleunternehmen Deutschlands, verdient das erste Geld mit der Vermarktung von Online-Flächen in Spielen. „Wir stellten 2003 fest: Wenn man den Leuten die Möglichkeit gibt, die Werbung auszublenden, geben sie dafür Geld aus“, so Kersting. „Wir führten dann damals bei OGame den Premium-Account ein – der für die einmalige Zahlung von fünf Euro die Werbung ausschaltete.“ Wenig später weicht die einmalige Zahlung einem Abo-Modell, bei dem das Spiel für drei Euro pro Monat werbefrei wird. „Und als man es dann auch noch übers Handy abrechnen konnte, ging das Abo-Geschäft durch die Decke.“

Bitte wenden – hier geht’s zur zweiten Seite: Gameforge-Wachstum und Flaregames-Gründung

Bild: Flaregames, Klaas Kersting


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Gameforge wächst rasant

In den Jahren 2004 und 2005 kommen neue Spiele hinzu, später folgt die Internationalisierung. „In Deutschland gab es zu dem Zeitpunkt bis zu 70 solcher Spiele – aber beispielsweise in der Türkei, in Polen oder in Frankreich gab es keins.“ Gameforge sitzt auf einer Goldgrube und wird in kürzester Zeit zu einer Instituition im Spiele-Segment. „OGame hatte in den türkischen 8-Uhr-Nachrichten sogar mal eine eigene Sektion – jeden Tag“, erinnert sich Kersting. Im Jahr 2006 erweitert Gameforge sein Angebot um Client-basierte Titel und wirbt dafür den jetzigen CEO Carsten van Husen von Tiscali Games ab, um drei B-Ware-Spiele aus Asien zu lizenzieren. Bei einem geht der Entwickler pleite, das zweite wird nie fertig und das dritte ist Metin 2.

Obwohl erste Ansätze von Free2play in Asien bereits verbreitet sind, setzt Gameforge bei Metin 2 weiter auf sein Abo-Modell – und scheitert. Trotz starker Cross-Promotion erreicht das Spiel nur 4.000 zahlende Kunden. „Wir probierten also Free2play aus – und danach hat es sich jeden Monat verfünffacht“, schwärmt Kersting. „Es war beängstigend, wie gut das funktioniert hat.“ Das Spiel rollt in weitere europäische Länder aus und die Nutzerzahlen explodieren. Es folgen weitere Lizenzierungen von asiatischen MMOs und trotz zahlreicher Shitstorms die Einführung der Free2play-Mechanismen in die bestehenden Browser-Games.

Bis 2007 bleibt das Unternehmen komplett in Gründerhand, dann holt Gameforge den VC Accel Partners an Bord. „Es befreite mich von materiellen Altlasten, die sich in Studienzeiten angetürmt hatten“, lacht Kersting. „Auf der anderen Seite haben wir natürlich einen vernünftigen Sparrings-Partner an Bord gebracht.“ Es folgen drei Jahre knallharter Execution, Gameforge wächst in einem Jahr von 180 auf 400 Mitarbeiter an. „Total verrückt“, nennt Kersting das. „Und einer der größten Fehler, die ich je gemacht habe. Das war zu viel Wachstum in zu kurzer Zeit, ohne die nötige Infrastruktur an Prozessen und Management.“

Bis 2010 wächst Gameforge jährlich um den Faktor drei. „Ich stellte fest, dass die Firma plötzlich ganz ganz groß war – wir waren über 550 Mitarbeiter. Und ich merkte, dass schon etwas die Luft raus war und die Begeisterung fehlte, die ich die Jahre davor hatte“, gibt Kersting zu. Im März 2010 verlässt er das Unternehmen.

Flaregames, das zweite Spieleunternehmen

Er verbringt viel Zeit mit Freunden und Familie, bereist die Welt, unterrichtet zwischendurch in einer Schule in Ghana und ist nach einem USA-Trip fest entschlossen, eine Frozen-Yogurt-Kette zu eröffnen. Der Plan wird allerdings genauso schnell wieder über den Haufen geworfen und mit dem 2011 aufkommenden Erfolgs des iPhones und mobiler Spiele ist Kersting klar, wohin die Reise geht: die Gründung von Flaregames. Ursprünglich als Entwickler von Mobile-Reality-Games gestartet, entwickeln und publishen die Karlsruher mittlerweile Free2play-Games. Unter anderem den finanziell erfolgreichen Titel Royal Revolt 2. Das aktuelle Spiel Agents of Storm bauten Kerstings „Helden der Kindheit“, die finnischen Max-Payne-Macher Remedy.

Bei Flaregames scheint es zu laufen, dieses Jahr sollen etwa sechs neue Titel erscheinen – mehr als in der gesamten Historie der Firma. Das Unternehmen ist bereits auf über 100 Mitarbeiter angewachsen. Angst, dass er bei 500 Mitarbeitern wieder die Lust verliere, hat Kersting nicht. Das derzeitige Team sei effizient, er selbst mittlerweile ein besserer Manager und von erfahrenen Leuten umgeben. Zudem sei er aus seiner Zeit bei Gameforge mit einer Liste von 37 schwerwiegenden Fehlern herausgegangen. Diese Liste diene aktuell als „What not to do“-Handbuch für Flaregames. „Und bisher habe ich es geschafft, keinen Fehler zu wiederholen – sondern reichlich neue zu machen“, witzelt Kersting.

Ob er noch Zeit zum spielen findet? „Ja, aber…“, beginnt Kersting. „… Arbeit und Familie nehmen mir sehr viel Zeit. Und auf der anderen Seite – gerade wenn es Free2play-Mobile-Sachen sind – setze ich sehr schnell die Analysten-Brille auf und nehme die Spiele im Kopf auseinander.“

Mittlerweile ist Kersting mehr als elf Jahre im Geschäft. Mit seinem Investmentvehikel, der Kersting Holding, legte er in der Zwischenzeit vier Exits hin, darunter erfolgreiche wie Supercell oder Daily Deal. Wenn er an die Anfänge zurück denke, komme es ihm vor, als wäre es „gestern“ gewesen.

BILD: FLAREGAMES, KLAAS KERSTING