Das war ein seltsamer Wochenabschluss in der Gründerszene-Redaktion. Nach einem Monat mit tollen Reichweiten für unsere Geschichten, herrschte drinnen und draußen an den digitalen Endgeräten plötzlich sommerliche Mattheit. Leider ohne das dazugehörige Wetter. Passend zur Stimmung traf man in Berlin tonnenweise verirrte Touristen. Viele versuchten verzweifelt, die richtige Fahrkarte für die U-Bahn aus dem hochkomplexen Fahrkartenautomaten zu ziehen. Daran sollen auch schon Eingeborene gescheitert sein. Selbst die Gesprächsthemen des Tages waren auf unseren Fluren keine längere Rede wert. Man schlich wortlos in Richtung Kaffeemaschine und zurück.

Was ist denn zum Beispiel mit den Ermittlungen der Bundesanwaltschaft wegen Landesverrats gegen den Netzpolitik-Blog von Markus Beckedahl und Andre Meister? Selten gibt es Aufreger, bei denen die Rollen zwischen Gut und Böse so klar und eindeutig verteilt sind. Unter dem Hashtag #Landesverrat durfte sich jeder mit 140 Zeichen noch schnell und kurz vor dem Wohlverdienten auf die gute Seite der Macht klicken.

Der Chor der Kommentatoren ist sich einig. Geht gar nicht, Angriff auf die Pressefreiheit, Blogger sind auch Journalisten. Inzwischen will Generalbundesanwalt Harald Range mit weiteren Ermittlungen erstmal abwarten. Damit wäre das wohl geklärt. Hat jemand den Mumm, zumindest ganz kurz auf die Argumente der Gegenseite hinzuweisen? Müsste es doch eigentlich geben, oder? Niemand? Keiner? Ich sehe keinen Finger? Doch einen.

Tja, Herr Koeppen, das ist ungefähr so, als wenn man während des Films „Alien“ mit den schleimigen Monstern fiebern würde. Und nicht mit den menschlichen Helden. Kommt jetzt natürlich nicht ganz so gut an. Und der CDU-Abgeordnete Koeppen, der auch noch seit 2014 Vorsitzender des Ausschusses „Digitale Agenda“ ist, wird natürlich auch gleich behutsam auf seinen Irrtum hingewiesen.

Da alle Argumente für Netzpolitik und die Pressefreiheit schon von fast allen ausgetauscht wurden, werden wir an dieser Stelle ganz trocken unserem Informationsauftrag gerecht und publizieren den Paragrafen 94 aus dem Strafgesetz unter dem Titel „Landesverrat“. Für den Smalltalk am Tresen.

Wer ein Staatsgeheimnis

  • 1. einer fremden Macht oder einem ihrer Mittelsmänner mitteilt oder
  • 2. sonst an einen Unbefugten gelangen läßt oder öffentlich bekanntmacht, um die Bundesrepublik Deutschland zu benachteiligen oder eine fremde Macht zu begünstigen,
  • und dadurch die Gefahr eines schweren Nachteils für die äußere Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland herbeiführt, wird mit Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr bestraft.
  • In besonders schweren Fällen ist die Strafe lebenslange Freiheitsstrafe oder Freiheitsstrafe nicht unter fünf Jahren. 

Ein besonders schwerer Fall liegt in der Regel vor, wenn der Täter

  • 1. eine verantwortliche Stellung mißbraucht, die ihn zur Wahrung von Staatsgeheimnissen besonders verpflichtet, oder
  • 2. durch die Tat die Gefahr eines besonders schweren Nachteils für die äußere Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland herbeiführt.

Steht da so drin. Können wir jetzt auch nicht ändern. Wir lernen: Moral und Recht mögen Schnittmengen haben – mehr aber auch nicht.

Das gilt auch für das Datenschutzgesetz. Eine der emsigsten Gallionsfiguren dieses Werkes ist Hamburgs oberster Datenschützer Johannes Caspar. In dieser Woche stemmte er sich wieder einmal mit all seiner Kraft gegen seinen Lieblings-Endgegner Facebook. Caspar will Facebook zwingen, Pseudonyme zuzulassen und hat deshalb eine Anordnung erlassen, die die Klarnamenpflicht des Netzwerks für unzulässig erklärt. Der FAZ hat er dazu ein Interview gegeben und sagt: „Die Nutzer haben ein Recht auf Verwendung eines Pseudonyms. Wenn Sie im realen Leben eine Zeitung kaufen, müssen Sie auch nicht Ihren Namen nennen, und auch nicht, wenn Sie sich in der U-Bahn mit ihrem Gegenüber unterhalten.“

Nun haben wir selten auf Facebook eine Zeitung gekauft oder sind dort mit der U-Bahn gefahren. Eigentlich verbreiten wir den ganzen Tag nur Katzenfotos, Emoticons und lustige Kommentare zu den Themen der Zeit. Deshalb mal ganz kurz eine Frage: Was sollte man eigentlich auf Facebook wollen, wenn man es nicht unter seinem richtigen Namen macht? Nach unserem – natürlich völlig unmaßgeblichen – Gefühl, ist man doch gerade deshalb auf Facebook, um als echte Person zu echten Dingen Stellung zu nehmen und sich als Person einzubringen. Wäre es nicht viel bedenklicher, wenn jeder dort unter Pseudonym jeden Unsinn der Welt raushauen könnte?

Bereits jetzt wird auf Facebook unfassbarer Quatsch und zum Teil sogar gefährlicher Quatsch geschrieben und geteilt. Fast wie im richtigen Leben. Unter Angabe des richtigen Namens. Offener Antisemitismus und Rassismus sind zum Beispiel immer wieder zu finden. Derzeit weiß man wenigstens, wie die Idioten heißen, die das verzapfen. Caspar sieht es andersherum: „Pseudonyme sind der Schlüssel zur Meinungsfreiheit, insbesondere zum Schutz gegen politische oder rassistische Verfolgung, ebenso für Personen, die gestalkt werden.“ Aha. Wir freuen uns auf die unter Pseudonym veröffentlichten Aufrufe zu Diskriminierung und Gewalt gegen Andersdenkende, lieber Herr Caspar. Wir sind auch für Meinungsfreiheit. Aber nur, wenn der Absender der Meinung öffentlich sein Gesicht zeigt.

In der Startup-Szene haben uns diese Woche die drei jungen Leute aus dem Schwarzwald begeistert, die sich vorgenommen haben, die gute, deutsche Wurst zu disrupten. Irgendwie hat die Geschichte bei uns zügellosen Appetit auf Bärlauchwurst ausgelöst. Außerdem haben sich zwei Studenten aus Berlin eine ungewöhnliche Jobbörse ausgedacht: Über das Portal wollen sie Flüchtlinge und deutsche Arbeitgeber zusammenbringen. Sehr verdienstvoll. Der Berliner Concierge-Dienst GoButler hat jetzt Unterstützung von Ashton Kutcher bekommen. Und dann waren da noch die Macher von Buergeramt-termine.de. Sie vermitteln gegen Geld Termine bei den völlig überlaufenen Bürgerämtern in Berlin und lösen gerade einen Sturm der Entrüstung aus. Da fällt mir gerade ein – mein Pass ist seit Monaten abgelaufen. Und der nächste Termin im Amt wäre dann Ende Oktober frei.

Bis dahin warten wir – und hören Musik. Handverlesen. Mit dem Gründerszene-Gütesiegel des Vertrauens.

Gute Güte. Das nennt man dann wohl Soul.

Irgendwie ist uns nach Paul. Hier ein Stück von seinem unterschätzten Soloalbum „Chaos and Creation in the Backyard“.

Wir lieben dich, Honigbär!

Foto: Screenshot / Youtube / Father John Misty