Innovation_Europa

Ein Beitrag von Kumardev Chatterjee, Gründer und Präsident des European Young Innovators Forum (EYIF), das Jungunternehmern EU-weit das Eingehen von Risiken erleichtern will.

Warum Europa wachgerüttelt werden muss

„Wandel“ ist keine Luxus-Frage. „Wandel“ ist Pflicht. Die Alternative ist ein signifikanter Abschwung bis hin zur Bedeutungslosigkeit. Denn unsere gegenwärtigen Geschäftsmodelle und Geschäftspraktiken steigern nicht gerade unsere innovative Leistungs- und Wettbewerbsfähigkeit: In Sachen Innovation fällt Europa im Vergleich zu den führenden Wirtschaftskräften zurück.

Die gemeinsame Innovationsleistung aller 27 EU-Mitgliedsstaaten hinkt den beiden traditionell führenden Staaten USA und Japan hinterher. Darüber hinaus bleiben wir inzwischen aber auch hinter Südkorea zurück, einem Land, das vor zehn Jahren niemand als weltweit führende Innovationskraft auf dem Schirm hatte. Auch aufstrebende Innovationskräfte wie China und Indien holen kontinuierlich auf und werden schon bald an uns vorbei ziehen.

Dass wir darin scheitern, Innovation – insbesondere in der digitalen Welt – besser und zügiger hervorzubringen, ist unser Verderben. Es ist nicht nur eine zentrale Bedrohung für Europas digitale Zukunft, sondern auch für unseren Wohlstand sowie unsere Rolle, die wir in dieser Welt einnehmen. Europa muss es in absehbarer Zeit gelingen, diesen Trend umzukehren. Es ist an der Zeit, Europa aufzumischen – und zwar mit digitaler Innovation und Gründergeist.

Die Ursachen für den Innovationsnotstand

Europäer sind in den vergangenen 30 Jahren zunehmend risikoavers geworden. Für Innovation und Entrepreneurship, ob digital oder nicht, ist jedoch grundsätzlich eine Mentalität erforderlich, die durch zwei wesentliche Elemente gekennzeichnet ist: Erstens darf die Furcht vor dem Scheitern kein Grund sein, es nicht zu versuchen. Zweitens muss man daran glauben, eine einfache Idee in einem erfolgreichen Projekt verwirklichen zu können.

Traditionell werden junge Europäer allerdings dazu ermutigt, Risiken zu vermeiden und stattdessen herkömmliche Pfade – gekennzeichnet durch einen festen Arbeitsplatz und Sicherheit – einzuschlagen. Diese kulturellen und sozialen Grundlagen haben dazu geführt, dass eine Generation hochqualifizierter, aber risikoaverser junger Menschen Kreativität und unternehmerische Ideen für sichere und angesehene Karrieren zurückgestellt hat, die in dieser Form allerdings zunehmend seltener werden.

China ist Europa dicht auf den Fersen

Auch strukturell hat sich Europa schwer darin getan, das Eingehen von Risiken zu fördern und zu belohnen. Typischerweise erhalten junge Menschen mit einer innovativen Idee weder Zugang zu den erforderlichen Finanzmitteln noch zu Kunden, Märkten und Ressourcen und auch nicht zu Wissen und Infrastruktur, um diese Idee in die Tat umzusetzen.

Junge Innovative werden abgeschreckt durch das Fehlen einer unterstützenden und einheitlichen regulatorischen europäischen Umgebung. Vor diesem Hintergrund ist es wenig überraschend, dass Europa das Wettrennen um digitale Innovationen gegen die globale Konkurrenz verliert.

Trotz mehr als 20 Jahren finanzieller Unterstützung und Forschung und trotz etlicher Gespräche über die lebhafte europäische Startupszene, dreht sich im weltweiten Top-10-Ranking in Europa üblicherweise alles um zwei wesentliche Startup-Metropolen: London, Berlin und Stockholm. Es gibt zwei Startups, die mehr als eine Milliarde Dollar wert sind, nämlich Spotify und Zalando, gefolgt von Delivery Hero.

Im Gegensatz dazu kann China, das viel später Zugang zur digitalen Startup-Welt gefunden und eine viel kürzere Geschichte im Funding sowie dem Zugang zu internationalen Märkten hat, bereits vergleichbare Zahlen vorweisen. Bitte wenden – Hier geht’s zur zweiten Seite.

BILD: Namensnennung BESTIMMTE RECHTE VORBEHALTEN VON CODEPO8


Innovation_Europa

Tolerieren, wenn’s schief geht

Es gibt in Europa ein zunehmendes Bewusstsein und ein gemeinsames Verständnis für den Ernst der Lage, und dies in ganz verschiedenen Teilen der Gesellschaft, in den Regierungen und in der Industrie. Aber eine Rekonfiguration der bestehenden nicht-funktionierenden Systeme hilft uns nun nicht mehr weiter.

Wir benötigen einen disruptiven Wandel, und zwar einen, der das Digitale an erste Stelle setzt und hinter dem Europa voll und ganz steht. Wir benötigen eine Umgebung, die das Eingehen von Risiken ermöglicht, in der das Scheitern akzeptiert und Erfolg gefeiert wird.

Es gilt, Europa nachdrücklich in der weltweiten Digitalwirtschaft zu platzieren, unserem Wohlstand dadurch neuen Schwung zu geben und unser Gewicht sowie unsere Rolle in einer globalisierten Welt zu stärken. Die übergeordneten Ziele eines „Europas für Startups 2020“ sollten zu einer nachhaltigen und pulsierenden digitalen Startup-Wirtschaft in Europa führen. Diese lauten:

  • 10.0000 neue Startups jährlich
  • 2.000 neue Seed-gefundete Startups jährlich
  • 1.000 durch Wachstumskapital finanzierte Startups jährlich
  • vier Startups jährlich im weltweiten Top-10-Ranking, im Durchschnitt drei Startups alle zwei Jahre, mit einem Milliarden-Dollar-Exit
  • 250.000 neue Arbeitsplätze durch Startups jährlich
  • 2,5 Prozent des Arbeitsmarktes wird durch Startups gedeckt
  • 9,5 Prozent des europäischen Bruttosozialprodukts beruht auf Startup-Aktivitäten (inklusive Exits)
  • Mindestens 70 Prozent dieser Zahlen sollten im digitalen Geschäft erreicht werden.

Von der Idee zur Aktion

Die Einstellung zugunsten von Innovation und Entrepreneurship in Europa zu ändern, ist der zentrale Schlüssel, um diese Vision zu erreichen. Der erste Schritt ist, junge Menschen zu ermutigen, ihre traditionellen Risikoaversionen zu überwinden und aus ihrer Komfort-Zone herauszukommen, um die Möglichkeiten und die Herausforderungen von Innovation und Entrepreneurship zu ergreifen – auch wenn sie dabei scheitern können. Erreicht werden kann dieses Ziel durch…

  • das kontinuierliche und nachhaltige Werben für eine unternehmerische, risikobereite Kultur, die ein Bewusstsein dafür kreiert, dass junge Menschen auch Alternativen zu herkömmlichen Karrieren in Betracht ziehen;
  • Möglichkeiten für junge Innovative, ihre Talente zu entwickeln sowie Zugang zu Mentoren, Finanzmitteln und anderen Ressourcen;
  • das Präsentieren erfolgreicher Rollenbilder und innovativer Ökosysteme;
  • Initiativen wie pan-europäische Wettbewerbe für Early-Stage-Ideen, Festivals und Roadshows, durch die Netzwerke entstehen, die es erleichtern, Ideen in Projekte umzusetzen.

Gleichzeitig müssen europäische Regierungen, Unternehmer, gesellschaftliche Gruppen und Individuen das Eingehen von Risiken unterstützen und belohnen. Sie können dies tun, indem sie ein Ökosystem für Gründer kreieren und aufrecht erhalten. Ein solches Netzwerk hilft jungen Menschen, die richtigen Mentoren und Zugang zu Finanzen, Kunden und Märkten für ihre Ideen und Geschäfte zu finden.

Das Europäische Parlament und insbesondere die Kommission müssen einheitliche regulatorische Rahmenbedingungen auf die Beine stellen, die sich an den Notwendigkeiten und Bedürfnissen von Startups orientieren, und sie müssen mit spezifischen Policy-Instrumenten das Gründen neuer Startups von der Idee bis zum Wachstum, die Marktpenetrierung oder das Scaling-Up unterstützen und entsprechende Ressourcen bereit stellen.

Ein Europa, das das Digitale an erste Stelle rückt, wird ein Europa, das die Spielregeln von Grund auf ändert, wenn es um Innovation und Leadership geht. Dieses Europa gibt dem Wohlstand neuen Schwung und stärkt seine Relevanz als ein Europa, das für seine Bürger da ist und an das sie glauben können.

Bild: Namensnennung Bestimmte Rechte vorbehalten von codepo8