Die deutsche Internet- und Tech-Szene gewinnt zusehends an Fahrt, und auch wenn die großen Firmenbewertungen hierzulande noch ausbleiben, macht der Blick auf Venture Capital in späteren Phasen langsam neugierig. In meiner dieswöchigen Kolumne möchte ich daher eine Systembeobachtung zu Later-Stage-VC anstellen und ein paar Gedanken durchspielen.

Later-Stage-VC

Later-Stage-VC ist in Deutschland noch eine Utopie

First things first: Aus Deutschland heraus braucht derzeit eigentlich gar nicht an Later-Stage-VC gedacht werden. Es gibt sicherlich größere VC-Experten als mich, aber von meiner Warte gibt es weder in Deutschland noch in England oder Rest-Europa einen potenten Venture Capitalist mit Fokus auf die Later-Stage. Also ich verstehe Later-Stage-VC hier jetzt wirklich mal als Case, wo ein mit einer Milliarde bewertetes Internetunternehmen 100 Millionen aufbringen will.

Ausnahmen könnten vielleicht Summit Partners (www.summitpartners.com) oder Access Industries (www.accessindustries.com) sein, wobei dann auch die Frage ist, wie weit man „Later-Stage-VC in Europa“ interpretiert, etwa ob Russland mitgezählt wird oder wie internationale VCs gezählt werden. „Kleinere Runden“ bis zirka 15 Millionen Euro lassen sich sicher auch aus Deutschland heraus auf die Beine stellen.

Im Segment jener, die einer Firma aushelfen können, die mit einer oder zwei Milliarden bewertet wurde und jetzt zur Zwischenfinanzierung um die 100 Millionen benötigen, gibt es ohnehin recht wenige Player weltweit. Mir fallen ad hoc Digital Sky Technologies (DST, www.dst-global.com), General Atlantic (www.generalatlantic.com), Andreesen Horowitz (www.a16z.com), Silver Lake (www.silverlake.com) oder Tiger Global ein. Weil mir zu DST einige Zahlen vorliegen und das Portfolio mit Investments wie Facebook, Twitter oder Groupon sehr griffig ist, nehme ich mir DST zum Beispiel, um eine kleine Systembeobachtung in Sachen Later-Stage-VC anzustellen.

Dass Later-Stage-Deals attraktiv für einen VC sind, ist sicherlich augenscheinlich – ob sie machbar sind, hängt aber vom Kapital ab, das zur Verfügung steht. Wenn das Kapital gering ist, bleiben de facto nur Early-Stage-Deals und die Hoffnung auf hohe Multiples. Am Ende des Tages geht es in Sachen VC ja aber um den absoluten Verdienst. Ein Investment von 150.000 Euro zu verzwanzigfachen, ist attraktiv, aber eine Finanzierung von 400 Millionen zu verdoppeln wohl noch attraktiver – vor allem wenn der Aufwand dafür fast derselbe ist.

Woher kommt Later-Stage-VC?

Für mich stellt sich die Venture-Capital-Situation in Deutschland gerade ungefähr so da: Das Geld für Early-Stage-Finanzierungen liegt quasi auf der Straße, die Frage ist nur, ob die richtige Person zur richtigen Bewertung einsteigt. Auch Series-A-Finanzierungen haben sich in Deutschland mittlerweile etabliert und sind im Bereich bis zu zehn Millionen eigentlich keine Seltenheit mehr. Doch wenn es um Summen geht, die zehn Millionen übersteigen und das Wachstum bis zu einem Börsengang oder Exit finanzieren sollen, scheint mir die Akquise recht schwierig und eigentlich nur im Ausland machbar.

Es ist also spannend, nach all dem Fokus auf Early-Stage-VC zur Abwechslung auch mal auf den Later-Stage-Bereich zu schauen – auch, da wir mit Zalando (www.zalando.de) in Deutschland ein Internetunternehmen haben, das an der Milliarden-Bewertung krazt. Gleichzeitig sehe ich in Deutschland derzeit kaum Exits, was gerade für jene Investment-Player, die Kapital allokieren und investieren (etwa Family Offices), zum Bumerang werden kann. Durch das Fehlen von Exitmärken kriegen diese Akteure kein Kapital zurück und können nicht neu allokieren. Kein freies Kapital, keine neuen Investments beziehungsweise keine neuen Allokationen in Fonds.

Welche Möglichkeiten bieten sich also stark wachsenden Startups in Sachen Later-Stage-VC? Ich möchte DST als Betrachtungselement nehmen, um einmal einen Blick auf das obere Ende des VC-Spektrums zu wagen. Das Modell, mit dem Later-Stage-VCs agieren, ist dabei interessant, gleichzeitig frage ich mich aber, wie sich die Finanzierungssituation durch zuletzt enttäuschende US-Börsengänge wie jenen von Facebook oder Groupon verändern wird. Müssen sich auch deutsche Startups bald mit der Börse anfreunden, wenn sie ihr Wachstum durch Kapital befeuern wollen?

Das DST-Modell: Spät reingehen, viel rausziehen

In einem Artikel zu geheimen Unterlagen von DST habe ich die Konditionen und das Vorgehen von Yuri Milners Venture-Capitalist ja schon einmal beleuchtet, aber hier nochmal ein kurzer Abriss, was DST anders macht als sonstige VCs: DST kauft sich in späten Phasen mit nicht-kontrollierenden Investments bei Firmen ein, die mindestens über eine Pre-Money-Bewertung von 500 Millionen US-Dollar verfügen – so heißt es zumindest für den dritten Fonds von DST.

Warum ist dies sinnvoll? Je später die Beteiligungsphase, desto höher sind zwar Kapitalaufwand und Bewertung, doch gleichzeitg sinkt auch das Risiko einer Beteiligung, weil das Geschäftsmodell und der dazugehörige Markt bereits ausgetestet sind. In der untenstehenden Infografik verhält sich die Entwicklungskurve des Risikos also ähnlich dem Commitment der Geldgeber: Sie nimmt ab, je später bei einem Unternehmen eingestiegen wird.

Infografik Finanzierung vs. Commitment

Gleichzeitig ist der Management-Aufwand solch umfangreicher Investments praktisch derselbe, egal, ob nun fünf oder 100 Millionen US-Dollar investiert werden. Für gewöhnlich interessieren sich VCs ja für hohe Multiples; ist der Druck, hohe Multiples zu erzielen, allerdings nicht so stark vorhanden, weil ein großer Fonds vorliegt, ändert sich auch die Investitionsart. Als Fondsbetreiber kommt man bei umfangreichen Investments zu hohen Bewertungen auch mit kleineren Multiples auf einen guten Schnitt, hat aber weniger Risiko und den gleichen Aufwand zu tragen.

Und warum nicht-kontrollierende Investments? Mal jenseits der Tatsache, dass kontrollierende Anteile in einer so späten Phase sehr teuer wären, würde DST mit einer anderen Haltung keine Top-Teams für sich gewinnen können. Stattdessen betrachtet DST Unternehmen lieber ausführlich, und investiert spät, um so eine höhere Sicherheit zu haben. Die Kunst besteht dann vor allem darin, an diese Deals überhaupt heranzukommen, denn ist ein Startup erst einmal etabliert und hoch bewertet, kann es sich seinen Investor praktisch aussuchen.

DST schiebt hohe Summen durch die Fondsgröße

Der DST-Ansatz eines späten Anstiegs verbindet sich also vor allem mit guten Kontakten und wirtschaftlich kommen hier durch die Höhe der Investments gewisse Skalen-Effekte zum Tragen, die diese Deals attraktiv machen: Mit seinem dritten Fonds visiert DST eine Größe von einer Milliarde US-Dollar an und partizipiert dabei mit einer Gewinnbeteiligung (Carried-Interest) von 20 Prozent.

Um zu verhindern, dass sich die General-Partner des DST-Fonds auf ihrer Management-Fee ausruhen und nur risikoaverse Anlagen machen, ist dabei eine Hurdle-Rate von acht Prozent eingebaut. Ehe also nicht das aufgewandte Kapital plus eine Mindestverzinsung von acht Prozent eingefahren ist, springt für DST also nichts ab. Wenn der Fonds aber entsprechende Gewinne erzielt, winken 20 Prozent der Wertschöpfung.

DST, Digital Sky Technologies, Deal-Terms

Jetzt wagen wir mal einen Blick auf die bisherigen Fonds von DST und betreiben etwas Mathematik: Für seinen ersten Fonds aus dem Jahre 2009 gibt DST an, einen Gross Multiple von 4,89 erzielt zu haben und investierte bisher 826 Millionen US-Dollar. Ein guter Multiple und bei 20 Prozent Carry hätte DST rund 800 Millionen Dollar verdient. DST schaut sich seine Investments zwar länger an, aber sonst ist der Aufwand solcher Finanzierungen nicht wesentlich höher als bei kleineren Größen.

Dabei handelt es sich um Gross Multiples (Ausgaben wie etwa für die Management-Fee sind also noch nicht berücksichtigt) und viele der Returns sind noch nicht materialisiert worden und damit reine Buchwerte. Aber die Dimensionen werden klar: Bewegt man so hohe Summen mit einem attraktiven Carry, ist der Multiple natürlich nicht unwichtig, aber in erster Linie geht es eigentlich darum, Investments mit verhältnismäßig hoher Sicherheit auszumachen, weil so sicher verdient wird. Lieber bei hohen Beträgen zwei Mal Geld machen und mit 20 Prozent partizipieren, als bei Pfennigsätzen das 20-fache rausziehen.

Herausforderungen für das Later-Stage-Modell

DST steht in diesem Kontext ja nur exemplarisch für eine Art von Venture-Capitalist, der eine bestimmte Strategie verfolgt – ein paar andere Akteure habe ich dazu ja oben schon aufgegriffen. Und wer einen 100-Millionen-Check im Tech-Bereich braucht, kommt an diesem High-End-VC-Segment kaum vorbei. Einzig der Gang zur Börse könnte eine Alternative sein. Bisher ließen sich Börsengänge durch solche Later-Stage-Akteure recht lange hinauszögern – im Falle von Facebook vielleicht sogar zu lange.

Wie oben bereits geschrieben, gibt es dieser Tage ja kaum potente Exits, und angesichts der – nennen wir sie höflich mal – suboptimalen IPOs von Unternehmen wie Facebook, Groupon oder Zynga frage ich mich nun, wie sich der Later-Stage-Bereich verändern wird. In den USA werden Fonds eigentlich immer relativ schnell geraised, gleichzeitig haben viele Later-Stage-VCs gerade einen Markt vor sich, der in Sachen Stimmung und Börsenerfolge gegen sie spielt und sollten daher nicht raisen.

Sein Übriges tut die Sorge um den Euro und um die Wirtschaftslage als Ganzes, was so manchen anscheinend in eine Schockstarre verfallen lässt. Alles in allem ist das Raisen von Fondskapital also derzeit eher kompliziert und die Stimmung entsprechend.

Silicon Allee meets Frankfurt?

Aus diesen Entwicklungen ein Resümee zu ziehen, ist schwierig und eine komplexe Angelegenheit. Fakt ist, dass der Later-Stage-Bereich bisher Börsengänge häufig hinausgeschoben hat, der aktuelle Markt aber eigentlich gegen Akteure wie DST und andere Later-Stage-VCs läuft. Gerade jene, die mit Druck noch kurz vor einem IPO in ein Unternehmen drängten, werden jetzt von der Börse verwässert und machen eventuell sogar plus-minus-null am Ende des Tages.

Wenn es dieses Segment nicht mehr gäbe, müssten sich die Firmen früher an der Börse Kapital besorgen und auch dann bleibt fraglich, ob die aktuelle Wirtschaftssituation hier in die Karten der wachstumsorientierten Tech-Unternehmen spielt. Es ist also unklar, welche Auswirkungen die derzeitige Later-Stage-Situation für das Ökosystem hat, und ich könnte mir vorstellen, dass sich die Silicon-Allee womöglich langsam auch mit Frankfurt anfreunden muss – zumindest wenn sie große Räder drehen will.

Was ist eure Meinung zur aktuellen VC-Situation? Male ich etwas zu schwarz und alles ist viel besser? Ich sehe derzeit viel Bewegung im Early-Stage-Bereich, nach hinten raus ist aber kaum Dampf auf dem Kessel – zumindest nicht hierzulande, wo es jenseits von einigen Leuchttürmen und den Samwer-Aktivitäten ja wenig Material mit dreistelligen Millionenbewertungen gibt. Quo vadis Later-Stage-VC?

Über die Indivijoel-Kolumne:

“Indivijoel” ist die Kolumne von Gründerszenes Chefredakteur Joel Kaczmarek. Durch seinen Beruf und die damit verbundenen Inhalte sieht Joel quasi täglich Unternehmen von innen, tauscht sich mit den relevanten Akteuren der deutschen Webwirtschaft aus und kennt viele Facetten des Unternehmertums aus der Praxis. In seiner Kolumne möchte er daher sein Wissen und seine Ansichten teilen sowie relevante Themen der Gründerszene thematisieren. Ihr könnt Joel Kaczmarek auch bei Facebook folgen!

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Bildmaterial: Victorblagovici