Lean Startup Erfahrung

Innovation scheitert in starren Organisationsformen

Während unseres gemeinsamen Aufbaustudiums an der HPI School of Design Thinking konnten wir – die 30 Gründer der Innovationsberatung Dark Horse (www.thedarkhorse.de) – erleben, wie sich in interdisziplinären Teams in kurzer Zeit nutzerzentrierte Produkte und Services entwickeln lassen. Wir lernten die Prinzipien iterativer Produktentwicklung (à la Lean Startup) kennen und lieben.

Gleichzeitig sammelten wir in unseren 25 verschiedenen Fachrichtungen Arbeitserfahrung und -frust: Häufig hemmten klassische Organisationsformen, interne Machtspielchen oder langwierige Entscheidungsspiralen unsere kreativen Geister und vor allem unsere innovativen Taten.

„Leane“ Prinzipien auf die Organisation übersetzen

Wir erfuhren, dass leane Arbeitsmethoden nur dann funktionieren, wenn die Organisation dies zulässt. Bereits Unternehmen mit mehr als drei Mitarbeitern waren jedoch häufig schon too big and failed – jedenfalls, was agiles Projektmanagement anging.

Als wir vor etwas mehr als drei Jahren zu 30-st Dark Horse gründeten, fragten wir uns deshalb: Wie können wir nicht nur unsere Innovationsprojekte, sondern auch unser Unternehmen entlang der Prinzipien von Lean Startup entwickeln? Seither arbeiten wir kontinuierlich und iterativ an der Beantwortung dieser Frage. Zeit für ein Zwischenresümee mit vier Einsichten aus unserem Selbstexperiment:

1. Klein-klein fürs große Ganze: Autonome Teams mit gezielten Querverbindungen

Eines der Prinzipien von Lean Startups ist es, angeblich brilliante Ideen in Hypothesen zu zerlegen und diese dann systematisch zu testen und anzupassen. Diese Denkweise haben wir auf die Struktur unseres Unternehmens übertragen:

Unsere unternehmerischen Aufgaben gehen wir in kleinen Teams an, die klein genug sind, um keine Zeit für die Koordination der Koordination zu verlieren und groß genug, um Lasten auf mehrere Schultern und Entscheidungen auf mehrere Gehirne verteilen zu können. Je nach konkreter Aufgabe sind meist zwei bis fünf Dark-Horse-Mitarbeiter in einem Team.

Diese Teams überlegen sich völlig autonom, auf welche Art und Weise sie ihre jeweilige Verpflichtung erfüllen. In regelmäßigen Treffen bringen alle Funktionsteams sich gegenseitig auf den neusten Stand, so dass Querschnittsaufgaben nicht verloren gehen.

Wir haben zudem eine schleichende Rotation in das System eingebaut, so dass die Gruppen sich immer wieder, aber nie auf einmal ändern. So gewährleisten wir, dass Erfahrungen im Team erhalten bleiben und gleichzeitig immer wieder andere Sichtweisen auf bestehende Probleme dazu kommen.

2. Posthierarchisches Management: Wir sind Chef

Die Institution Chef ist wahrscheinlich eines der letzten Monopole der heutigen Arbeitswelt. Wir sind angetreten, daraus zumindest ein Oligopol zu machen. Bei Dark Horse gibt es 30 Mitarbeiter und damit 30 Chefs. Geschäftsführer haben wir nur, weil das juristisch vorgeschrieben ist. Unsere verteilte Verantwortung hält uns dauerhaft agil, weil sie uns allen neben unseren Managementaufgaben Zeit für inhaltliche Arbeit lässt.

„Chef“ ist im Grunde die Abkürzung für eine Anhäufung an Rollen und Funktionen: Der Chef trifft Entscheidungen, der Chef koordiniert, der Chef motiviert, der Chef verhandelt über Gehälter, der Chef gibt die Richtung vor. Alles Rollen, die lebensnotwendig für ein funktionierendes Unternehmen sind. Aber mit welchem Argument müssen diese an eine Person mit der Position „Boss“ und besonderen Privilegien gekoppelt sein? Wir haben bislang kein gutes Argument gehört.

Deshalb haben wir die Chef-Blase platzen lassen und die Rollen auf verschiedene Akteure verteilt beziehungsweise durch Organisationsmechanismen ersetzt. Entscheidungen treffen wir gemeinsam – unter anderem über unsere Gehälter und unsere strategische Ausrichtung – um die anderen Cheffunktionen kümmern sich wechselnde Personen oder kleine Teams.

3. Stakeholder – Problem – Solution: Diskussionsrunden mehrschrittig moderieren

Lean-Startup-Erfahrene kennen die Systematik, um sich Ideen anzunähern: Wer ist der Kunde? Welche Schwierigkeiten hat er? Wie sieht die passgenaue Lösung aus? Diese Schritte halten wir auch ein, wenn wir uns unternehmerischen Herausforderungen annähern: Wer hat das Problem? Was genau ist das Problem? Welche Meinungen gibt es zum Lösungsvorschlag? Was tun wir?

Wir trennen Diskussionen in Informations-, Meinungs- und Entscheidungsrunden. Diese simple Moderationsmethode führt dazu, dass wir praktisch gar keine Diskussionen mehr führen, sondern schnell zu Entscheidungen kommen, mit denen alle leben können.

Alle Informationen sind auf dem Tisch und für alle verständlich – Entscheidungen müssen nur wegen neuer Entwicklungen, nicht wegen eigentlich bekannter Fakten neu aufgerollt werden.

Alle Akteure haben reihum die Möglichkeit, ihre Meinung kundzutun anstatt in endlose Ping-Pong-Palaver zu verfallen. Für Diskussionsteilnehmer, die eigentlich nur bereits geäußerte Beiträge bestätigen wollen, haben wir sogar ein Sehe-ich-auch-so-Handzeichen erfunden.

4. Soziokratische Entscheidungsfindung: Iterativ und inklusiv

Wir mischen also alle bei strategischen Entscheidungen mit. Das ist für uns kein idealistischer Anspruch, sondern unternehmerische Notwendigkeit. Woher sollte in unserem interdisziplinären Gründerclub ein Chef die Weisheit für weitreichende Entscheidungen und die Macht zu deren Umsetzung nehmen? Wir waren ja gerade angetreten, die destruktiven Dynamiken klassischer Hierarchien zu überwinden.

Andererseits sind 30 gleichberechtigte Enthusiasten mit unterschiedlichen Meinungen ein prima Rezept für unendliche Diskussionen und Marathonmeetings.

Um auch strategischen Unternehmensentscheidungen lean treffen zu können, nutzen wir soziokratische Prinzipien. Hinter diesem komplizierten Wort verbirgt sich ein Perspektivwechsel: Uns geht es nicht darum, den möglichst perfekten Plan zu schmieden, denn ob eine Idee zu guten Ergebnissen führt, lässt sich so oder so nicht voraussagen. Stattdessen fragen wir uns immer, ob es sich lohnt, einen Vorschlag auszuprobieren.

In unserer Soziokratie hat zwar jeder ein Einspruchsrecht, darf davon aber nur Gebrauch machen, wenn eine Entscheidung aus seiner Perspektive nicht mit den grundlegenden Zielen der Organisation vereinbar ist.

Unser System strebt nicht nach perfekten Lösungen, sondern nach Lösungen, mit denen jeder leben kann. So ist Dark Horse ein Unternehmen, dass sich permanent verändert, auf Eigeninitiative basiert und gleichzeitig schnell zu brauchbaren Entscheidungen kommt.

Lean funktioniert auch für Organisationsentwicklung

Nach drei Jahren unseres Selbstexperiments können wir vorläufig behaupten: Bei Dark Horse arbeiten wir nicht nur agil, unser Wahlfamilienunternehmen „ist“ agil.

Heute beraten wir etablierte Unternehmen, wie sie das Korsett ihrer Organisation lockern können, um Mitarbeitern Luft zum Innovieren zu geben. Und wir helfen Startups, die leane Prinzipien nicht nur in der Produkt-, sondern auch in der Organisationsentwicklung anwenden wollen.

Der Autor Fried Große-Dunker ist auch als Referent bei den Gründerszene-Seminaren tätig. Zusammen mit Lisa Zoth von Dark Horse wird er am 30. Mai das Seminar zum Thema Lean-Startup halten.

Lean Startup angewandt
Wie man Lean in die Praxis umsetzen kann
30. Mai 2013, 9 bis 13 Uhr

Nicht vergessen: Aktuell gibt es auch einen 20%-Rabatt auf alle Gründerszene-Seminare im Mai! Der entsprechende Rabatt-Code lautet: Mai-Spezial
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Foto: Dark Horse