nils fischer liefery

Liefery war eigentlich einmal ein Testprojekt von Time:matters, einem Unternehmen von Lufthansa Cargo. Die Firma wurde im letzten Jahr ausgegründet – jetzt hat das Management-Team um Geschäftsführer Nils Fischer die GmbH von der Holding übernommen, wie Gründerszene exklusiv erfuhr.

Das Startup aus Neu-Isenburg bietet Lieferungen von online oder offline getätigten Bestellungen. In über 50 deutschen Städten stellt Liefery bereits Pakete zu – „innerhalb von 90 Minuten oder zur Wunschzeit“, verspricht das Unternehmen. Seit Juni 2014 will man Wachstumsraten von mindestens 20 Prozent pro Monat erreicht haben. Die Serie A soll demnächst folgen.

Im Trend-Markt der taggleichen Lieferungen konkurriert das nun ganz eigenständige Startup nicht gerade mit Unbekannten: Auch Amazon, Ebay und Google wollen noch dieses Jahr mit eigenen Angeboten in Deutschland live gehen. Nils Fischer im Gespräch über Startup-Gefühle, den Same-Day-Delivery-Markt und die Konkurrenz mit den amerikanischen Internetriesen.

Neu-Isenburg ist ist nicht gerade als Startup-Hochburg bekannt. Wieso sitzt Ihr gerade da?

Bedingt durch unsere Historie sitzen wir dicht am Frankfurter Flughafen, da der Hauptsitz der Time:matters Holding dort angesiedelt ist.

Erst Ausgründung, dann Übernahme: Wie kam es dazu?

Innerhalb der Time:matters haben wir uns seit Mitte 2013 überlegt, wie man auf die wachsende Nachfrage im lokalen Bereich eingehen und unsere Netzwerk-Ressourcen für den Handel nutzbar machen kann. Aus diesem zunächst internen Projekt wurde nach sechsmonatiger Pilotierungsphase unsere heutige Firma Liefery. Nach einem Jahr haben wir nun gemerkt, dass es strukturell sinnvoller wäre, die beiden Unternehmen separat voneinander weiter zu führen.

Warum dieser Schritt?

In den ersten eineinhalb Jahren hat Time:matters mit einer Seed-Finanzierung von etwa 2,4 Millionen Euro den Aufbau unseres Geschäfts finanziert. Um die Firma investorenfreundlich, flexibel und agiler aufzustellen, haben wir die Firma nun zusammen mit einem Business Angel aus der Time:matters herausgelöst und arbeiten aktuell am Abschluss der Series-A-Finanzierung.

Das klingt nicht nach dem klassischen Startup-Konstrukt.

Nein, überhaupt nicht. Es ist auch nicht einfach gewesen und wir hatten als Corporate-Startup mit der ein oder anderen Hürde zu kämpfen. Wir haben beispielsweise etwas Neues innerhalb der Gruppe geschaffen, hatten viel Freiraum, haben ganz anders gearbeitet als die Kollegen. Das innerhalb einer Firma unter einen Hut zu bringen und alle Kollegen mit einzubinden und abzuholen war durchaus eine Herausforderung, die nicht immer geglückt ist. Nun haben wir, denke ich, eine gute Basis gefunden, um Liefery nach vorne zu bringen.

Und wie siehst Du das derzeitige Konstrukt?

In den ersten fünf Monaten saßen wir alle in einem Konferenz-Raum und hatten ein unglaubliches Startup-Feeling, mit viel Fast Food, jeder Menge Energy Drinks und Arbeitsstunden bis spät in die Nacht – nichts, worauf unsere Mütter stolz gewesen wären, aber es hat unglaublich viel Spaß gemacht. An dieses Gefühl von damals möchten wir nun anknüpfen. Wir werden jetzt erst mal innerhalb Frankfurts umziehen. Langfristig geht es vielleicht nach Berlin.

Habt Ihr in Frankfurt dann auch die meisten Kunden?

Nein. Das spricht eigentlich komplett gegen Frankfurt, Partner gibt es hier wenige. Dennoch ist Frankfurt eine super Basis für Besuche bei Handelskunden in ganz Deutschland. Unser Kundenportfolio ist zweigeteilt. Das sind zum einen die großen Handelsketten wie beispielsweise ECE, Würth oder Sportcheck. Das andere sind kleine Shops, wie Feinkostläden, Weinhandlungen, Druckereien, Agenturen oder Steuerbüros.

Was wird denn klassisch geliefert?

Generell sehen wir drei große Säulen: Fashion, Consumer Electronics und Food. Dazu kommt noch der klassische City-Messenger-Bereich, das beinhaltet beispielsweise Dokumente und Akten, die von Steuerberatern, Rechtsanwälten oder Unternehmensberatungen verschickt werden.

Dokumenten- und Aktentransport im digitalen Zeitalter?

Das hätte ich auch vorher niemals gedacht. Aber bei Anwälten und Notaren ist beispielsweise immer das Originaldokument gefragt. Das ist ein Segment, wo das Volumen bereits heute vorhanden ist und keine neue Nachfrage geweckt werden muss. Wir stellen mit unserer Technologieplattform ein Vernetzungsökosystem her, mit dem wir im Markt frei verfügbare Kuriere mit dem verbinden, der die Ware versendet und dem, der sie in Empfang nehmen will. Wir wollen dabei aber keine reine Vermittlungsplattform sein, sondern vor allem weiterhin ein Service Provider.

Auf welchen Fahrertyp greift ihr zurück?

Wir benutzen keine normalen Paketfahrer, sondern Kurierfahrer. Erstere fahren im schlimmsten Falle 14 Stunden am Stück und werden nur nach geleisteten Auslieferungen bezahlt. Bei Kurieren gibt es eine andere Vergütungsstruktur und deshalb auch eine andere Einstellung zum Umgang mit dem Kunden. Viele Fahrradkuriere beispielsweise sehen das als Passion.

Wie wird der Service angenommen?

Wir sind mittlerweile in über 50 Städten und hätten am Anfang nicht gedacht, dass es so gut angenommen wird, besonders bei den großen Handelsketten. Alle größeren Händler arbeiten teilweise bereits seit Jahren am Thema, weil man weiß, dass größere amerikanische Handelsriesen mit so einem Service nach Deutschland kommen werden.

Warum bieten Google, Amazon, Ebay und Co hierzulande noch keine Same-Day-Lieferung an, obwohl sie es bereits getestet haben?

Angefangen haben sie aktiv erst letztes Jahr. Bei Ebay ist es in den USA wieder etwas in der Versenkung verschwunden. Google baut es gerade weiter aus. Die Frage ist, wer davon in Deutschland zuerst den Aufschlag macht. Das dürfte spätestens in Q3 dieses Jahres der Fall sein. Vom Gefühl her könnte mit Blick nach UK der erste Amazon sein.

Müssen wir deshalb über Drohnen sprechen oder ist das nur ein Hype?

Ich rede da nicht besonders gerne drüber, weil ich finde, dass es ein Hype-Thema ist. Für bestimmte Bereiche ist es total relevant, etwa für schwer erreichbare Regionen, aber ansonsten ist es sehr plakativ.

Auch Mytaxi versuchte sich in dem Bereich und Unternehmen wie ShopWings von Rocket Internet und GoButler von Joko Winterscheidt sind im Kommen. Sind das Konkurrenten oder Kooperationspartner?

ShopWings ist ein sehr interessantes Modell und hat nicht umsonst ein Millionen-Funding eingefahren. Ich glaube, dass es in diesem Bereich Kooperationsmöglichkeiten gibt. Irgendwann werden ShopWings-Mitarbeiter vielleicht nur noch das „Pick and Pack“ in den Supermärkten durchführen und die Auslieferung uns überlassen.

Update vom 02.07.2015: In der usprünglichen Version dieses Artikels vom 01.07.2015 hieß es, Liefery übernehme teilweise das Fullfillment für GoButler. Mittlerweile hat Nils Fischer von Liefery folgende Stellungnahme gegenüber Gründerszene abgegeben: „Bedauernswerterweise kam es im Bezug auf meine Aussage zu GoButler zu Unstimmigkeiten, die ich hiermit klarstellen möchte. Es entspricht ausdrücklich nicht der Wahrheit, dass wir aktuell aktiv mit GoButler zusammenarbeiten. Es haben lediglich erste Sondierungen stattgefunden. Intention der Kommentierung einer Interview-Frage zu GoButler war nicht, die Aufmerksamkeit des Unternehmens GoButler oder die von Joko Winterscheidt für uns zu nutzen. Hierfür möchte ich mich beim Team von GoButler entschuldigen.“

Wäre es auf menschlicher Ebene nicht traurig, wenn man nicht einmal mehr zum Einkaufen das Haus verlassen müsste?

Ich glaube, dass das sehr traurig wäre. Alles wird man sich sicher nicht liefern lassen. Ich selbst gehe gerne beim Metzger meines Vertrauens Fleisch kaufen oder suche mir auf dem Markt mein Obst aus. Was mich aber wirklich nervt, ist das Einkaufen von Basics wie Milch, Wasser und Toilettenpapier. Da bietet sich eine Lieferung wirklich an, ebenso wie bei Elektronik- oder Sportartikeln, auf die man sich wirklich freut. Drei Tage warten und dann noch einen Zettel im Briefkasten vorfinden ist den meisten meiner Freunde und Kollegen ein echter Dorn im Auge.

Hier gibt es natürlich auch schon ein entsprechendes Angebot von Amazon.

Klar, genau hier deckt Amazon einen Bedarf ab. Amazon wird am Geschäft einen großen Share haben. Aber hier steckt auch Potenzial für den lokalen Handel. Denn im Gegensatz zu großen Onlinehändlern hat der lokale Einzelhandel die Ware genau da, wo man sie braucht: In der Nähe des Kunden.

Gibt es Expansionspläne eurerseits?

Wir hatten eine erste Internationalisierung für Ende diesen Jahres geplant, sind dann aber von einem großen Kunden aus dem Rocket-Internet-Umfeld gebeten worden, kurzfristig Wien live zu nehmen. Das haben wir in drei Wochen geschafft. Als nächstes kommen vermutlich die Niederlande an die Reihe. Zudem halte ich den skandinavischen Markt für sehr interessant.

Danke für das Gespräch.

Bild: Liefery