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max-v-waldenfels Gründer Max von Waldenfels im Büro in Berlin Mitte

Die Insolvenz hat für großes Aufsehen gesorgt, nicht nur in der Tech-Szene. Das Startup Food Express wuchs vergangenes Jahr massiv: Im Dezember beschäftigten die Gründer Maximilian von Waldenfels und Benjamin Pochhammer bereits über 1.300 Mitarbeiter. Millionen-Investments von dem Berliner Lieferriesen Delivery Hero hatten das Wachstum möglich gemacht – doch dann verfehlte Food Express seine Ziele. Delivery Hero entschied sich dazu, kein weiteres Geld in das Logistik-Startup zu stecken, Food Express musste Insolvenz anmelden.

Delivery-Hero-CEO Niklas Östberg erklärte damals in einer internen Mail an seine Mitarbeiter: „Wir möchten unsere Anstrengungen und Investments auf unsere eigene Liefer-Initiative Valk Fleet konzentrieren“. Die hatte Östberg in der Zwischenzeit gestartet. Das Konzept war das gleiche wie von Food Express: Man stellte Restaurants ohne eigenen Lieferdienst die passende Logistik und Technologie für Essenslieferungen zur Verfügung. Doch wenig später wurde auch Valk Fleet mit 200 Mitarbeitern und 1.000 Fahrern geschlossen. Grund seien laut Delivery Hero niedrige Margen, man wolle sich im Bereich Logistik nun ganz auf Foodora konzentrieren.

Für die Food-Express-Gründer waren die Monate der Pleite ein Tiefpunkt. Zwar gelang es ihnen aus der Insolvenz heraus, die Assets des Startups an Lieferando zu verkaufen. Doch Maximilian von Waldenfels und Benjamin Pochhammer haben viel aus den Ereignissen gelernt. Im Interview spricht Maximilian von Waldenfels über das Scheitern – und darüber, wie es ist, neu anzufangen.

Max, was war dein größtes Learning aus der Episode mit Delivery Hero?

Das auf eine Sache zu reduzieren, ist schwer. Geht man mit einem strategischen Investor zusammen, muss nicht nur der Beteiligungsvertrag, sondern auch die Zusammenarbeit im Detail juristisch geregelt sein. Du darfst rein gar nichts als selbstverständlich annehmen. Wir haben damals in der Annahme kooperiert, es passe wie die Faust aufs Auge: Wir sind die Logistiker, von Delivery Hero kommen die Aufträge. Immerhin haben sie Millionen davon im Monat. Das von Delivery Hero zugesagte Volumen blieb aber ständig weit hinter allen Zusagen. Und wir hatten nur einseitig verpflichtende Milestones im Vertrag gesetzt, was ein Fehler war.

Der andere Punkt ist das Wachstum. Man sollte genau überlegen, ob man auf organisches Wachstum setzt – oder um jeden Preis wachsen will. Denn letzteres sehe ich momentan bei vielen Startups infrage gestellt. Zunächst sollte ein Gründerteam zeigen können, dass es im kleinen Rahmen profitabel werden kann. Dann kann eine Mischung aus Wachstum und den richtigen Zahlen gelingen, bei der Profitabilität erreichbar ist. Als wir damals die Nachricht über die Insolvenz bekamen, hatten wir überhaupt nicht mehr die Möglichkeit, zu schrumpfen und so profitabel zu werden.

Wie bist Du damit umgegangen, als Du erfahren hast, dass ihr Insolvenz anmelden müsst?

Das war ein Schlag ins Gesicht! Bei all dem, was man hinein investiert, die Leidenschaft, das Engagement. Und man hat große Verantwortung für die Mitarbeiter. Das war der tiefste Punkt in meiner beruflichen Karriere. Frustration, wahnsinniger Verdruss, wirklich eine sehr schwere Zeit. Du wachst nachts um drei auf und schläfst nicht mehr ein, tagelang hintereinander, und fragst Dich: Was ist der Ausweg?

Wie haben denn die Investoren reagiert?

Einige Business Angels haben ihre Anteile vorher erfolgreich verkauft. Die anderen haben schnell gesehen, dass es nicht unser persönliches Verschulden ist und auch sie zum Spielball eines größeren Gesellschafters wurden. Das hat sie natürlich frustriert, schließlich haben sie ihr investiertes Kapital damit verloren.

Wie hast du dich aus diesem Loch wieder herausgezogen?

Das ist eine Phase, die andauert und die auch andauern muss. Was wichtig ist: Man darf nicht hinschmeißen. Nach der Ankündigung von Delivery Hero nicht mehr zu investieren, haben wir uns sofort hingesetzt und versucht, einen Plan B zu finden. Jemanden, der kurzfristig viel Kapital geben kann. Wir haben am gleichen Tag Lieferando angerufen, mit denen wir schon vor dem Einstieg von Delivery Hero Kontakt hatten. Nach der Anmeldung der vorläufigen Insolvenz haben wir alles dafür getan, das Geschäft verkaufen zu können. Schließlich hat Lieferando Food Express gekauft.

Dann ist es wesentlich, dass Du einen Counterpart hast. Ich wüsste nicht, wie ich das hinbekommen hätte, wenn wir nicht zu zweit gewesen wären. Benjamin ist ein positiver, nicht aus der Ruhe zu bringender und anpackender Mensch. Wenn Du als Gründer gemeinsam durch Höhen und Tiefen gehst, dann ist das ein sehr gutes Zeichen. Wir verstehen uns – und vertrauen uns blind. In dieser Phase also war klar: Das ist ein ganz massives Problem, aber wir packen das. Sich da gegenseitig nicht hängen zu lassen oder die Schuld zuzuweisen, das war wichtig. Und natürlich hat meine Familie sehr geholfen.

Was war da der beste Tipp?

Das Wichtigste ist, dass die Familie für einen da ist. Aber natürlich relativieren die Angehörigen auch Dinge. Man will es zwar in dem Moment nicht hören, aber es ist niemand krank, es ist keiner gestorben – und es wird vorbei gehen. Es gibt viele Beispiele von Leuten, die gestärkt aus so einer Situation herausgehen.

Was hast du in der Zeit des vorläufigen Insolvenzverfahrens gelernt?

Sehr viel. Wir mussten den Betrieb am Laufen halten und die Mitarbeiter in allen Städten trotz der vorläufigen Insolvenz dazu motivieren, dabei zu bleiben. Sonst ist der Betrieb ja nicht interessant für einen Käufer – das war eine extreme Herausforderung.

Für die Bürokratie musste man außerdem einige Stunden am Tag aufwenden, gerade bei den Lohnabrechnungen musste viel gemacht werden. Schließlich ging es um immerhin 1.300 Mitarbeitern mit verschiedenen Gehältern. Häufig musste ich deswegen bei der Arbeitsagentur vorsprechen. Man will in der vorläufigen Insolvenz dafür sorgen, dass die Gehälter weitergezahlt werden. Und das passiert nur, wenn es eine positive Fortführungsprognose gibt. Dem Gremium muss man also vorlegen, warum es wichtig ist, so viele Mitarbeiter zu haben, um das operative Geschäft am Laufen zu halten, und warum es bei uns klappen könnte.

Wie fühlt man sich, wenn man dann tatsächlich einen Käufer findet?

Das war wirklich eine große Erlösung und Bestätigung.

Was hast du gedacht, als der eigene Logistikdienst von Delivery Hero, Valk Fleet, dicht gemacht hat? Der hatte ein ähnliches Geschäftsmodell wie ihr.

Es ist schon sehr merkwürdig, dass die Strategie so wenig durchdacht wurde – und das von einem so großen Unternehmen.

Wenn du jetzt zurückschaust, kannst du schon sagen, dass alles für etwas gut war? Oder ärgerst du dich einfach nur?

Es gibt Fehler, die macht man einmal und nie wieder. Ich werde irgendwann aus persönlicher Sicht zurückschauen und sagen, es sollte so sein, es hat seinen Sinn und Zweck.

Wie startet man nach einer solchen Geschichte neu?

Nach den schwierigen Monaten habe ich den Entschluss gefasst, die negativen Erlebnisse abzuschließen und bewusst einen Schlussstrich darunter zu ziehen. Dann hab ich wieder Mut gefasst und wir haben etwas Neues gestartet. Es inspiriert und motiviert, wenn man wieder aufbauen kann.

MyLorry
MyLorry Max von Waldenfels mit seinem Mitgründer Benjamin Pochhammer zu Food-Express-Zeiten (Bild: Food Express)

Du und Benjamin haben ein Startup mit dem Namen Caspar-Health gegründet. Wie kam das?

Max Michels von der Michels Klinikgruppe kam auf Benjamin und mich zu. Die Idee war, Reha-Behandlungen zu digitalisieren und so für jeden zugänglich zu machen. Die Behandlungen sind noch auf dem gleichen Stand wie in den 90ern, da ist nichts digital.

80 Prozent aller Therapien sind sogenannte Hands-Off-Therapien. Der Therapeut lernt den Patienten an und der Patient trainiert zu Hause weiter. Diese Therapien können auch digital dargestellt werden: Was der Therapeut macht, kann auch vor einer Laptop- oder Smartphone-Kamera mit der entsprechenden Software funktionieren. Ich bin als Co-Founder bei Caspar-Health eingestiegen und wir haben erste Reha-Kliniken und Therapiezentren an Bord geholt und unsere erste Finanzierungsrunde geschlossen.

Das ist ja nun etwas ganz anderes als Food Express.

Absolut und es macht verdammt viel Spaß. Der Mehrwert ist leicht zu erklären und man identifiziert sich gern mit dem Thema. Ich bin wieder für die Investor Relations, den Aufbau des Teams und rechtliche Themen zuständig. Das ist bei jedem Unternehmensaufbau ähnlich, egal welches Businessmodell dahinter steht.

Dann sind Benjamin und du noch bei einem anderen Startup dabei, das PrintPeter heißt.

Ja, ein sehr cooles Konzept. Das ist eigentlich die Idee zweier Studenten, Cecil Croy und Charly Bagusat, die wir im letzten Jahr begleitet haben. Von der Idee bis zum Launch hat es nur eine Woche gedauert. Studenten können die Lernunterlagen, die sie im Copyshop zum Teil mühsam und teuer ausdrucken müssen, bei PrintPeter hochladen. PrintPeter druckt das Skript, bindet es und sendet es den Studenten kostenlos zu. Finanziert wird das über Werbeanzeigen in den Skripts und auf dem Online-Portal.

Und das funktioniert?

In den ersten sechs Wochen hat PrintPeter eine hohe fünfstellige Anzahl an Studenten erreicht und große Werbepartner gewonnen. Ohne einen Cent für Marketing auszugeben, melden sich bis zu 500 Studenten am Tag neu an. Und für die Werbekunden ist das attraktiv, weil die Studenten sich sehr aktiv und über Monate hinweg mit den Seiten auseinandersetzen, auf denen die Anzeigen stehen. Individuell targeten können die Werbenden nach Geschlecht, Semester, Uni, Studienfach und so weiter. Und die Studenten stört die Werbung nicht. Im Gegenteil, sie bekommen zum Beispiel Rabattcodes für einen Einkauf bei Microsoft, Amorelie oder Lieferando.

Du hast ja wieder mit Benjamin gegründet, das ist durchaus selten nach so einer harten Phase. Wie hat die Zeit mit Food Express das Verhältnis zwischen euch beeinflusst?

Benjamin und ich hatten natürlich schon vor der Insolvenz sehr stressige Phasen, die uns zusammengeschweißt haben. Da ist es wichtig, dass klar ist, wie man miteinander umgeht. Jeder von uns hat seine Fehler gemacht, aber nicht ein einziges Mal haben wir sie auf den anderen abgeschoben oder ihn beschuldigt. Wir teilen die gleichen Werte und das Verständnis, Herausforderungen und Probleme anzugehen. Jetzt wollen wir unsere Learnings aus dem vorherigen Unternehmen effektiv einsetzen.

Wie hat das Ganze eure Zusammenarbeit verändert?

Du weißt genauer, wo Deine Stärken und Schwächen sind. Das Hinterfragen ist viel mehr geworden: Sind wir wirklich auf dem richtigen Weg – oder treffen wir gerade eine persönliche Annahme? Und dann sind unser Zusammenhalt und das gegenseitige Vertrauen noch größer geworden. Wir können uns gar nicht vorstellen, etwas anderes zu machen, als gemeinsam Unternehmen aufzubauen.

Haben deiner Erfahrung nach die Deutschen ihren Komplex mit dem Scheitern mittlerweile überwunden?

Man merkt, dass sich in diese Richtung einiges bewegt und Scheitern nicht mehr als Versagen gilt. Gerade wenn man aus den Fehlern lernt, kann man aus solchen Erfahrungen viel Kapital schlagen.

Danke für das Interview, Max!