Jan-Christoph Loh, Geschäftsführer von Medexo
Jan-Christoph Loh, Geschäftsführer von Medexo Jan-Christoph Loh, Geschäftsführer von Medexo

Von der Hälfte aller Operationen wird abgeraten

Über das Zweitmeinungportal Medexo.com können Patienten vor einer geplanten Operation eine zweite Meinung einholen – online. Die Basis bildet dabei ein ausführlicher Fragebogen, der vom Patienten beantwortet wird. Außerdem können mit einem Upload-Tool weitere Unterlagen wie MRTs oder Röntgenbilder hochgeladen werden. Ein medizinischer Experte des jeweiligen Fachbereichs – beispielsweise auf dem Gebiet der Orthopädie oder Kardiochirurgie – erstellt anhand dieser Dokumente die zweite Meinung.

Das Berliner Unternehmen wurde 2012 als Weiterentwicklung der stark kritisierten Plattform Vorsicht-Operation.de von den Chirurgen Hans Pässler und Jan-Christoph Loh sowie einer Gruppe von Investoren gestartet. Im Gespräch mit Gründerszene verrät Medexo-Geschäftsführer und -Mitgründer Jan-Christoph Loh, wie die Plattform trotz des Fernbehandlungsverbots Zweitmeinungen über das Internet vermittelt und warum ein Patient für den Service der Plattform zahlen sollte, obwohl er stattdessen auch bei einem lokalen Arzt eine zweite Meinung kostenlos einholen könnte.

Medexo ist aus der Plattform Vorsicht-Operation.de hervorgegangen, die unter heftiger Kritik der Mediziner-Kollegen stand. Vorsicht-Operation.de wurde dann von Medexo übernommen und zu einer reinen Informationsseite zum Thema Zweitmeinung umgesetzt. Warum dieser Schritt?

Das Portal war rechtlich noch nicht abgesichert und schwierig war auch der Name, in dem eine grundsätzliche Verteufelung von Operationen mitschwingt. Das wollen wir auf keinen Fall, es gibt viele Diagnosen, bei denen eine Operation die richtige Therapie ist. Wir wollen nicht die Gegner der operierenden Kollegen sein, sondern für mehr Transparenz und Qualität in der Medizin sorgen. Der Berufsstand leidet seit geraumer Zeit darunter, dass eine Unsicherheit beim Patienten besteht.

Genau dies wurde allerdings Vorsicht-Operation.de vorgeworfen – dass sich die Betreiber an der Unsicherheit der Patienten bereichern wollten. Was kostet die Zweitmeinung bei Medexo?

Das Honorar für die Zweitmeinung rechnen wir bei Medexo nach der Gebührenordnung ab, das war vorher bei Vorsicht-Operation.de nicht der Fall. Hinzu kommt eine Pauschale für unseren Service – also die Entwicklung des Portals, das ärztliche Beratungstelefon und die Vor- und Nachbetreuung des Patienten. Insgesamt ergibt das Kosten von 300 bis 400 Euro.

Ich kann für eine Zweitmeinung doch auch zum Beispiel einfach zu einem Orthopäden um die Ecke gehen – kostenlos. Warum sollte ich für den Service bei Medexo zahlen?

Der Orthopäde um die Ecke muss sich – insbesondere in ländlicher Umgebung – mit allem auskennen: Knie, Rücken, Schulter, Hüfte und so weiter. Unsere Experten haben sich dagegen ihre gesamte Karriere lang auf ein bestimmtes Gebiet spezialisiert. Außerdem sind unsere Zweitmeinungen standardisiert in Form und Prozess, wir garantieren eine Bearbeitung innerhalb von sieben Werktagen und bieten die Beurteilung wie auch Alternativvorschläge in „Laiendeutsch“ an, sodass der Patient alles verstehen kann und umfassend informiert wird.

Darüber hinaus übernehmen einige Kassen bereits die Kosten für unseren Zweitmeinungsservice. Unser Hauptfokus ist es derzeit, weitere Kassen zu akquirieren, sodass wir irgendwann anbieten können, dass alle Patienten bei uns kostenfrei eine Zweitmeinung einholen können. Ein wichtiger Faktor ist auch, dass unsere Spezialisten kein Interesse daran haben, Patienten eine finanziell motivierte Empfehlung zu geben, da eine Weiterbehandlung für unsere beurteilenden Kollegen vertraglich ausgeschlossen ist.

Jan-Christoph Loh, Geschäftsführer von Medexo
Jan-Christoph Loh, Geschäftsführer von Medexo Jan-Christoph Loh, Geschäftsführer von Medexo

Zweitmeinung ausstellen ohne direkten Patientenkontakt?

Ein großer Kritikpunkt an Medexo ist, dass die Zweitmeinung ausgestellt wird, ohne dass die jeweiligen Ärzte einen direkten Kontakt zu den Patienten haben – Stichwort Fernbehandlungsverbot. Wie löst Medexo das rechtlich?

Eine ausschließliche Fernbehandlung über Print- und Kommunikationsmedien ist in Deutschland nicht erlaubt. Deshalb machen wir auch keine Erstdiagnosen, sondern sind ein telemedizinischer Service zur unabhängigen Zweitbeurteilung.

Telemedizin ist in Deutschland erlaubt und inzwischen allgemein üblich, zum Beispiel bei Radiologen. Es muss dabei gewährleistet sein, dass das Bildmaterial beim Spezialisten ohne Qualitätsverluste ankommt, außerdem muss gewährleistet sein, dass der Patient vor Ort durch einen Facharzt betreut ist. Bei uns muss der Patient voruntersucht sein, er muss also bei einem niedergelassenen Kollegen schon eine Diagnose und eine Therapieempfehlung erhalten haben und muss durch einen Arzt vor Ort weiterbetreut werden.

Wenn ich allerdings Zweifel daran habe, ob die geplante Operation wirklich notwendig und sinnvoll ist, ist es ja nicht gerade vertrauensbildend, wenn ich gar keinen direkten Kontakt zu dem Spezialisten habe, der mir eine Zweitmeinung ausstellt. Wie schafft Medexo Vertrauen bei den Patienten?

Eine unabhängige objektive Zweitbeurteilung lässt sich gerade ohne direkten Patientenkontakt optimal umsetzen. Wir bilden Vertrauen einmal über unsere Spezialisten, die auf ihren Gebieten Koryphäen sind. Und auf der anderen Seite auch dadurch, dass Krankenkassen und Institutionen wie die unabhängige Patientenberatung uns empfehlen.

Wie werden die Experten und Spezialisten für Medexo gewonnen?

Im Moment haben wir einen Ärztebeirat, der mit uns gemeinsam die Spezialisten aussucht und überprüft. Wir haben objektive Aufnahmekriterien: Als Experte bei Medexo muss man sich zum Beispiel auf einen bestimmten Bereich spezialisiert und eine bestimmte Anzahl an Eingriffen durchgeführt haben, man muss wissenschaftlich tätig sein und Gutachtererfahrung haben. Zukünftig möchten wir unsere Spezialisten auch über Institutionen und Fachgesellschaften akquirieren, mit denen wir planen zu kooperieren.

Wie viele Zweitmeinungen, die über Medexo eingeholt werden, weichen von der ursprünglichen Therapieempfehlung ab?

Bei vorheriger Operationsempfehlung haben wir bei 49 Prozent stattdessen eine konservative Therapie empfohlen, bei 32 Prozent haben wir die Therapieempfehlung bestätigt – und bei 19 Prozent haben wir eine ganz andere Operation empfohlen.

Noch interessanter als diese Zahlen ist aber unsere Langzeitstatistik. Da befragen wir die Patienten in Abständen nach der Einholung der Zweitmeinung danach, an welche Therapieempfehlung sie sich gehalten haben und wie es ihnen damit geht. Da kommt heraus, dass sich 86 Prozent der Patienten an unsere Empfehlung halten und sich danach zu rund 85 Prozent die Beschwerden verbessert haben. Dagegen sind von den Patienten, die einer anderen Empfehlung gefolgt sind, nur 20 Prozent beschwerdefrei.

Wie ist Medexo finanziert?

Wir sind zum einen durch die Gründer eigenfinanziert und haben außerdem bereits eine externe Finanzierungsrunde mit Privatpersonen gemacht. Nun suchen wir einen starken Partner für eine weitere Finanzierungsrunde.

Der Koalitionsvertrag sieht vor, dass Ärzte zukünftig verpflichtet sind, zehn Tage vor einer geplanten OP den Patienten auf das Recht auf Zweitmeinung hinzuweisen, darüber hinaus sollen die Krankenkassen die Kosten für die zweite Meinung übernehmen. Wie wird sich dies auf den Service von Medexo auswirken?

Wir begrüßen das sehr, es ist das richtige Signal dafür, dass Qualitätssicherung in der Medizin einen deutlich höheren Stellenwert als bisher erhalten soll. Unser Angebot hatte ja gerade das im Sinn – und bei der Umsetzung wollen wir dann natürlich mitreden.

Die grundsätzliche Verpflichtung der Kostenübernahme und des vorherigen Hinweises sagt letzten Endes ja noch nichts darüber aus, wie die Zweitmeinung ablaufen soll. Da wir hier bereits seit mehr als einem Jahr eine gut funktionierende Lösung anbieten und schon zahlreiche Versicherungspartner haben, sehen wir uns als Vorreiter einer telemedizinischen Lösung, die den ganz eindeutigen Vorteil maximaler Objektivität und Unabhängigkeit hat.

Bild: Medexo