Die Deutschen trauen sich laut Umfragen die Gründung eines eigenen Unternehmens eher zu als die Vertreter der Gründer-Nation Amerika. Allerdings nur in der Theorie. In der Praxis scheuen die Deutschen das Risiko einer Unternehmensgründung. Im Jahr 2014 kamen so wenige Interessenten wie nie zuvor zu einem Beratungsgespräch zu den Industrie- und Handelskammern (IHK).

Die Zahl der Gründungsgespräche ging um drei Prozent auf 227.703 zurück. Das ist der vierte Rückgang in Folge und ein neuer Negativrekord. Dies zeigt der „Gründerreport 2015“ des Deutschen Industrie- und Handelskammertages (DIHK), der der „Welt“ vorliegt. „Deutschland steckt in einer Gründungsmisere“, sagt DIHK-Präsident Eric Schweitzer.

Einziger „Hoffnungsschimmer“ sind dem Verbandspräsidenten zufolge Gründer mit Migrationshintergrund: Fast jeder fünfte Gründer (19 Prozent) in der IHK-Gründungsberatung hat mittlerweile einen Migrationshintergrund – ein Plus um fünf Prozentpunkte seit dem Jahr 2007.

Die Migranten zeigten sich gut vorbereitet und wollten rasch im Markt Fuß fassen, sagt Schweitzer. So stellen die IHK-Experten fest, dass bei diesen Ratsuchenden ein hoher Wille zur Integration in hiesige Geschäfts- und Gesellschaftsstrukturen herrscht. Allerdings haben sie einige Hürden bei der Unternehmensgründung zu bewältigen.

Großer Nachholbedarf

So sehen 78 Prozent der IHK-Gründungsberater „Qualifikationsbedarf beim kaufmännischen Handwerkszeug“, beispielsweise wenn es um Planrechnungen geht. Fast 70 Prozent der Migranten müssten zudem ihre Sprachkenntnisse verbessern, um mit Geschäftspartnern in verhandlungssicherem Deutsch kommunizieren zu können.

„Mehr Welcome-Center und bessere Willkommensstrukturen, die bei den ersten Schritten begleiten, würden Gründern den Einstieg noch erleichtern“, sagt Schweitzer. Zudem sei es wichtig, dass Bund und Länder ihr Angebot an Sprachkursen auch für Selbstständige verbessern.

Ohne die Migranten sähe die Gründer-Statistik noch viel trüber aus. Studien bescheinigen Deutschland seit vielen Jahren einen Nachholbedarf bei Unternehmensgründungen. Während andere Länder wie die USA immer wieder Tech-Giganten wie Apple, Facebook oder Google hervorbringen, ist Deutschland in diesem Bereich international nur mit SAP vertreten – dessen Gründung inzwischen 43 Jahre zurückliegt.

Fachkräfte suchen Sicherheit

Neben einer offenbar gering ausgeprägten Startup-Kultur ist die alternde Gesellschaft ein Grund für die geringe Gründungsbereitschaft. Weniger junge Menschen führen zu weniger Unternehmensgründungen. Das spüren auch die Handelskammern: So kommen mehr Gründer im Alter von 45 oder älter zu den Beratungsgesprächen.

Auch die seit Jahren gut laufende Konjunktur sorgt dafür, dass sich der Druck zur Gründung aus der Arbeitslosigkeit lindert. Und Fachkräfte suchen in solchen Phasen immer eher die Sicherheit einer Festanstellung.

In einer schlechten Wirtschaftslage dagegen schießen die Gründungen nach oben: So hatte es im Jahr 2004 noch rund 406.000 Gründungsgespräche gegeben – rund 180.000 mehr als im Jahr 2014. Doch viele dieser Gespräche waren aus der puren wirtschaftlichen Not geboren, weil so viele Menschen damals arbeitslos waren.

Von der Politik umgarnt

Das ist heute anders. So wollen laut Gründerreport zwei Drittel der Interessenten, die ihrer IHK ein Geschäftskonzept vorlegten, vornehmlich aus unternehmerischem Antrieb gründen, weniger aus Mangel an Jobalternativen. Eine „erfreuliche Entwicklung“, heißt es im Gründerreport. Sie reiche aber nicht aus, um den Gesamttrend ins Positive zu drehen.

Schweitzer macht dafür auch die Bundesregierung verantwortlich. Zwar umgarnt die Politik seit Jahren junge Unternehmensgründer. Zuerst hatte der frühere Wirtschaftsminister Philipp Rösler (FDP) die Startup-Szene für sich entdeckt. Und auch sein Nachfolger Sigmar Gabriel (SPD) versucht, durch Förderprogramme und Steuererleichterungen Startups das Leben zu erleichtern.

Dennoch sei „die derzeitige Wirtschaftspolitik alles andere als Werbung für Unternehmensgründungen“, sagt Schweitzer. Den Unternehmen würde durch den Mindestlohn mehr Bürokratie aufgebürdet. Mit dem Entgeltgleichheitsgesetz und Regulierungen bei Zeitarbeit drohten weitere Belastungen.

Klare Präferenzen

Auf das im Koalitionsvertrag angekündigte Venture-Capital-Gesetz wartet die Branche dagegen seit eineinhalb Jahren. Stattdessen prüft die Bundesregierung die Einführung der Steuerpflicht von Veräußerungsgewinnen bei Streubesitzanteilen an Kapitalgesellschaften, das heißt für Beteiligungen von unter zehn Prozent. Dies würde Beteiligungen für Investoren „unattraktiv machen“, warnt der DIHK. Auch in der Unionsfraktion gibt es Widerstand gegen die Pläne aus dem Bundesfinanzministerium.

Wer in Deutschland ein Unternehmen gründen möchte, hat in der Regel klare Präferenzen, in welchen Bereich es gehen soll. Die Industrie ist für Gründerinteressenten wenig interessant. Beliebt sind stattdessen Branchen, in denen im Gegensatz zum Verarbeitenden Gewerbe ein Start auch mit wenig Kapital möglich ist: 84 Prozent aller Interessenten wollen deshalb ein Unternehmen im Bereich Handel und Dienstleistungen gründen.

Darunter sind zunehmend auch Frauen. Ihr Anteil in IHK-Gründerseminaren liegt mittlerweile bei 44 Prozent. Allerdings hakt es auch hier: Viele Frauen haben Probleme, Familie und Selbstständigkeit zu vereinbaren. Häufig entscheiden sie sich deshalb für eine Gründung im Nebenerwerb – obwohl sie eigentlich Vollzeit durchstarten wollen.

Dieser Artikel erschien zuerst in der Welt

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