„Wir bieten mittlerweile nur noch Pflichtpraktika an“

Jetzt ist es tatsächlich so weit: Nach einem Tauziehen der Parteien konnte sich die SPD nach der Bundestagswahl 2013 durchsetzen und das Mindestlohngesetz wurde verabschiedet. Seit dem 1. Januar 2015 gilt das Gesetz – und zwingt große Konzerne sowie kleine Startups dazu, ihr Ausbildungskonzept zu überdenken. Denn die Regelung gilt für alle Beschäftigten, auch für Praktikanten. Bei 8,50 Euro gesetzlichem Mindestlohn pro Stunde müssen auch kleine Unternehmen ihren Praktikanten jetzt rund 1.400 Euro brutto im Monat zahlen. Ausnahmen: Praktikanten, die bis zu drei Monate arbeiten oder ein Pflichtpraktikum im Rahmen ihrer Ausbildung absolvieren, sind nicht betroffen.

Die Startup-Szene trifft dieses Gesetz hart, schon seit Monaten diskutieren viele Gründer über dieses Thema. Insbesondere für kürzlich gelaunchte Startups dürfte der Mindestlohn zum Problem werden, denn Praktikanten sind für sie günstige Arbeitskräfte, die ohne viel Berufserfahrung wichtige Aufgaben übernehmen können – und dabei auch etwas lernen sollen. Darüber lässt sich streiten: Darf es Unternehmen – auch Startups – geben, die ihre Mitarbeiter nicht voll bezahlen können? Werden Praktikanten mit einem Gehalt von einigen hundert Euro einfach nur ausgenutzt? Gilt für Startups das Gleiche wie für große Konzerne? Schließlich geht es um eine gerechte Entlohnung für einen bestimmten Zeitaufwand. Andererseits kann ein Praktikum für Studenten sinnvoll für die berufliche Orientierung sein. Und Unternehmen müssen viel Arbeit und Kosten in die Einarbeitung eines Praktikanten stecken.

Die beiden Bundesverbände Deutsche Startups (BVDS) und Digitale Wirtschaft (BVDW) haben eine klare Position in der Debatte: Beide Verbände sind gegen den Mindestlohn für Startup-Praktikanten – zumindest nach den derzeitigen Regeln.

Doch jetzt bringt die Diskussion nichts mehr. Denn Gesetz ist Gesetz. Vorerst zumindest. Auch Startups müssen deshalb nach praktischen Lösungen suchen. Der Bundesverband für Deutsche Startups bietet kostenlose Seminare zum Thema Mindestlohn für Gründer an.

Zalando oder eDarling schreiben künftig weniger Praktika aus

Noch ist die Verunsicherung groß. Zwei Wochen nach der Umstellung weiß noch niemand genau, was das Gesetz tatsächlich verändern wird. Werden deswegen Startups scheitern – oder gar nicht erst gegründet? Werden insgesamt weniger Praktika angeboten? Bei eDarling beispielsweise schon. Das Berliner Unternehmen beschäftigt rund 300 Mitarbeiter. Gründer David Khalil, der sich bereits im vergangenen Juni auf Gründerszene gegen den Mindestlohn aussprach, erzählt, dass sein Unternehmen nun deutlich weniger Praktika ausschreibt: „Wir bieten mittlerweile nur noch Pflichtpraktika an“, sagt Khalil. „Aktuell sind das um die fünf Positionen. Gegenüber dem Jahresanfang 2014 haben wir damit an die 20 Praktikaplätze abgebaut“ Einige Plätze seien weggefallen, teilweise wurden die Praktikanten aber auch durch Festangestellte ersetzt.

Ähnlich löst Zalando das Problem – der Onlinehändler ist mit seinen 7.000 Mitarbeitern zwar kein klassisches Startup mehr, für den Nachwuchs in der digitalen Branche aber ein wichtiger Ausbilder. „Wir denken jetzt bei jeder Stellenanzeige genau darüber nach, ob es sinnvoll ist, eine Praktikantenstelle auszuschreiben“, sagt ein Sprecher gegenüber Gründerszene. „Insgesamt wird es deswegen künftig weniger Praktikanten bei Zalando geben, stattdessen denken wir mehr über Azubis nach.“ Im Sommer 2014 seien nur noch unter zwei Prozent aller Beschäftigten Praktikanten gewesen – Tendenz weiter sinkend. Bei 7.000 Angestellten sind das also maximal 140 Praktikanten.

Trotzdem will auch Zalando weiterhin viele junge Leute ausbilden: An Stelle von Praktikanten würden deswegen künftig mehr Auszubildende, Junior-Mitarbeiter oder Trainees eingestellt. „Im Bereich Unternehmenskommunikation haben wir beispielsweise die Praktikantenstelle abgeschafft, weil das ständige Anlernen auch hohe Kosten erzeugt hat“, sagt der Sprecher. „Stattdessen gibt es jetzt eine langfristig angelegte Assistant-Stelle.“

Junge Startups versuchen mit Pflichtpraktikanten den Mindestlohn zu umgehen

Bei anderen Startups, beispielsweise bei dem Berliner Heimdeko-Startup Juniqe, das vor rund einem Jahr startete und bei 33 Festangestellten aktuell sechs Praktikanten beschäftigt, wird mittlerweile gezielter nach Studenten gesucht, die nicht mit dem Mindestlohn bezahlt werden müssen: „Wir haben in Q4 des letzten Jahres unsere Hiring-Strategie für Praktikanten angepasst und vermehrt bei Unis und Fachhochschulen Stellen ausgeschrieben, die im Lehrplan Pflichtpraktika vorsehen“, sagt Gründerin Lea Lange. Für die nächsten Monate habe Juniqe bereits Verträge mit Pflichtpraktikanten für die Bereiche Einkauf, Marketing sowie Business Development geschlossen. Diese Umstellung habe intern Ressourcen gekostet, musste früh genug vorbereitet werden – und geht nun zu Lasten der Bewerber, die kein Pflichtpraktikum machen können. „Natürlich haben wir plötzlich Pflichtpraktikanten einer besseren und geeigneteren Bewerbung eines Nicht-Pflichtpraktikanten vorgezogen“, gibt Lange zu.

Bei dem Stuttgarter Süßigkeiten-Startup MyCouchbox, das immer noch gebootstrapped ist und deswegen um jeden Euro kämpfen muss, ist es ähnlich: „Klar, im Zuge der Mindestlohnanpassung suchen wir natürlich auch nach Pflichtpraktikanten. Aber sind wir mal ehrlich: Auch die Zahl derer ist begrenzt“, sagt Gründer Clemens Walter. In Stuttgart sei es aber ohnehin schwierig, günstige Praktika anzubieten, weil in der Stadt ansässige Großkonzerne wie Porsche oder Daimler deutlich mehr zahlen könnten. MyCouchbox muss deswegen vor allem die Studenten überzeugen: „Die Herausforderung ist, ein gutes und zugleich nicht zu teures Employer Marketing zu betreiben“, meint Walter.

Auf die Größe kommt es an

Die Startup-Szene hat sich also schon ausführlich mit dem Thema Mindestlohn beschäftigt, jedes Unternehmen sucht eine individuelle Lösung, um dem Gesetz gerecht zu werden. Doch schon im Gespräch mit einigen Gründern aus der Digitalwirtschaft wird klar: Je größer das Unternehmen, desto weniger problematisch ist das neue Mindestlohngesetz. „Zalando ist zu weit entwickelt, um nur noch auf Praktikanten angewiesen zu sein“, sagt beispielsweise der Zalando-Sprecher. Auch eDarling-Gründer David Khalil meint: „Für die großen oder gutfinanzierten Startups sollte das Mindestlohngesetz keine allzu negative Auswirkung haben.“ Als Business Angel sei er aber auch bei kleineren Unternehmen involviert, „die bei dünner Kapitalausstattung beispielsweise mit fünf Festangestellten und drei Praktikanten gearbeitet haben. Da fällt die Anpassung natürlich deutlich schwerer“.

Das Startup von Lea Lange, Juniqe, zählt mit seinen über 30 Mitarbeitern wohl noch zu den kleinen Startups in Deutschland. „Ich verstehe nicht, dass das Gesetz nicht an eine bestimmte Umsatzgröße von Unternehmen gekoppelt ist, sondern pauschal für alle Unternehmen gilt“, meint Lange. „In Situationen, in denen Startups kurzfristig reagieren müssen und nicht für jede Stelle das Budget haben, sich einen Praktikanten, der den Mindestlohn bekommt, anzustellen, nimmt das neue Gesetz Startups die Flexibilität, um schnell auf Marktänderungen zu reagieren und Projekte und Strategien kurzfristig ohne viele Ressourcen auszutesten.“

Gerade für kleinere Startups bleibt der Mindestlohn also ein Hindernis – und ein Bürokratiemonster dazu, wenn die Gründer alle Vorschriften bei den neuen Verträgen und notwendigen Umstrukturierungen berücksichtigen.

Bild: Hannah Loeffler / Gründerszene