Mister-Spex-CEO Dirk Graber

Auf der Kartbahn „Altes Lager“ in Niedergörsdorf in Südwestbrandenburg stehen grüne und rote Karts bereit, außerdem Flitzer mit zwei Sitzen. Dirk Graber schlägt eine Fahrt mit dem Doppel-Kart vor. Aber das geht nicht. Die Doppelsitzer sind für Eltern mit Kindern gedacht, nicht für mitfahrende Reporter.

Stattdessen wählen wir ein schnelles Kart und eines mit weniger PS. Am Ende des Rennens auf der 1.500 Meter langen Strecke liegt der Gründer des Online-Brillenhändlers Mister Spex 15 Sekunden vorn – auf der Kartbahn eine kleine Ewigkeit. Zufrieden ist Graber dennoch nicht. Vor wenigen Tagen ist er auf der Strecke deutlich schneller gefahren.

Herr Graber, auf dem Parkplatz vor der Kartbahn steht gar kein Porsche oder ein anderes schnelles Automodel. Welchen Wagen fahren Sie denn?

Wir fahren zurzeit einen VW Caddy, ein Familienauto. Davor war es Audi, aber davon wurden mir zwei Wagen vor der Haustür gestohlen. Jetzt warten wir, bis unser neues Haus mit der Garage fertig gebaut ist, und kaufen uns dann ein anderes Auto. Sonst begeistere ich mich auch sehr für ältere Wagen.

Sie mögen das schnelle Fahren, warum dann nicht auf der Straße?

Einen Porsche würde ich nicht fahren, höchstens auf der Rennstrecke. Ich möchte auch kein Motorrad haben, damit würde ich mich nur totfahren. Ich fürchte, dass ich zu schnell unterwegs wäre. Man muss auch nicht immer selbst schuld sein, wenn etwas passiert.

Haben Sie sich nicht im Griff?

Doch, das habe ich. Ich würde mich eher als ruhigen und unemotionalen Typen beschreiben. Aber ich teste gern meine Grenzen. Wenn ich 30 Minuten auf der Kartbahn bin und 25 Runden drehe, kann ich dabei komplett abschalten. Ich probiere ständig aus, was ich besser machen kann. Eigentlich möchte ich kontinuierlich am Grenzbereich fahren. Aber ich schaffe es trotzdem selten, dauerhaft gut zu sein. Als Unternehmer will ich zeigen, dass es doch geht.

Treten Sie nur gegen sich selbst an oder auch gegen andere?

Ich mag es, wenn die Kartbahn voll ist. Mit anderen ein Rennen zu fahren, die ein ähnliches Leistungsniveau haben, macht mir Spaß. Ich lerne, welche Linie die anderen fahren und wann sie Gas geben oder bremsen. Als ich einmal an einem Tag hier war, an dem die Deutschen Meisterschaften ausgefahren wurden, war ich allerdings schon erschrocken, wie schnell diese Fahrer waren.

Haben Sie sich Ihre Frisur passend zum Kartfahren schneiden lassen?

Der Friseur nennt es „Flat Top“, die trage ich schon seit dem Ende meiner Schulzeit. Wenn meine Haare länger sind, stehen sie in alle Richtungen ab. Deshalb habe ich mich für kurze Haare entschieden. Das ist praktisch, ich muss sie nie föhnen. Allerdings muss ich alle drei Wochen zum Haareschneiden gehen. Ich wüsste auch gar nicht, was mir sonst stehen würde.

Sind Äußerlichkeiten für Sie wichtig?

Das ist mir nicht sonderlich wichtig. Ich persönlich komme mit sehr wenig zurecht. Ich kaufe mir zum Beispiel wenige Klamotten. Das merke ich immer, wenn meine Mitarbeiter mich nach einem Einkauf ansprechen und fragen, ob ich etwas Neues trage.

Sie sind in Halle an der Saale aufgewachsen und waren zwölf Jahre alt, als die Mauer fiel. Waren Sie es gewohnt, mit wenig auszukommen?

Als Kind kam mir das nicht so vor. Mein Vater war Polizist, meiner Familie ging es gut. Ich erinnere vielmehr, dass ich nach dem Mauerfall enttäuscht war, weil ich plötzlich noch andere Verwandte hatte. Eine Schwester meines Großvaters lebte im Saarland, von der ich davor überhaupt nichts wusste. Meine Eltern hatten es mir verschwiegen, weil sie keinen Kontakt haben durften und mich und meine Schwester schützen wollten. Ich habe da erst realisiert, dass es keine heile Welt war.

Gibt es Dinge aus der Zeit, die Sie geprägt haben?

Im Osten war keiner reich oder hatte Vermögen. Kaum einer hatte wirklich etwas zu verlieren. Das war auch bei mir so. Vielleicht ist deshalb meine Bereitschaft, ein Risiko einzugehen, größer als bei anderen. Außerdem mussten wir wegen der limitierten Ressourcen improvisieren und erfinderisch sein. Das hat sich bei mir bis heute gehalten.

War Ihnen frühzeitig klar, dass Sie ein Unternehmen gründen wollten?

Das kam recht früh. Nach der Bundeswehrzeit habe ich bei derCommerzbank in Leipzig eine duale Ausbildung gemacht. Dort sollte ich einmal in der Kreditabteilung Geschäftsbilanzen analysieren. Als ich mit einer Aufgabe nach einer Stunde fertig war, sagte mir eine Kollegin, dass das so nicht gehe und eigentlich vier Stunden dauern müsse. Da war mir klar, dass ich hier nicht dauerhaft arbeiten möchte. Danach habe ich an der privaten Handelshochschule Leipzig studiert. Dort entstand der Wunsch, Unternehmer zu werden.

Stiftung Warentest hat Anfang dieses Jahres Mister Spex die Gesamtnote 2,8 verpasst (Quelle Grafik: Die Welt)

Was Sie aber nicht gleich wurden.

Ich kam mit 25.000 Euro Schulden aus der Hochschule heraus, die musste ich erst einmal meiner Sparkasse zurückzahlen. Deswegen habe ich bei der Boston Consulting Group als Berater angefangen. Aber nach gut zwei Jahren wollte ich etwas Neues machen.

Warum haben Sie sich Brillenhandel als Gründungsidee ausgesucht?

Bei Boston Consulting hatte ich mit Handelsunternehmen zu tun, zuvor im Studium an der HHL hatte ich Praktika bei Ebay und Jamba gemacht, also bei Onlinehändlern. Zusammen mit meinen Mitgründern suchte ich eine Kombination daraus. Es sollte ein Geschäftsbereich sein, der noch nicht im Onlinehandel erfolgreich ist. Wir hatten damals auch an Schuhe gedacht, Zalando gab es noch nicht. Aber dagegen sprach, dass wir viel Geld für Ware benötigen würden, die auf Lager gehalten werden müsste. Brillen erschienen uns ideal, da ist die Lagerhaltung nicht in dem Umfang notwendig. Außerdem trägt die Hälfte der Deutschen eine Brille, der Durchschnittspreis liegt mit 300 Euro recht hoch, und der Rohgewinn ist mit 80 Prozent sehr groß.

Wie kommen Sie auf diese Zahl?

Bei der Brille wird das Geld mit dem Glas verdient. Fassungen sind im Preis je nach Optikerbetrieb nicht so unterschiedlich. Insgesamt ist der Preis bei Brillen so wenig transparent wie bei kaum einem anderen Produkt. Wenn Sie sich in der Bilanz von Fielmann den Materialeinsatz und den Umsatz anschauen, werden Sie sehen, dass 20 Prozent für Material aufgewendet wird. Der Rest sind Personal, Marketing und Gewinn.

Das klingt alles sehr einfach, um damit eine Menge Geld zu verdienen.

Das ist es aber nicht. Wir waren am Anfang schon ganz schön naiv. Wir haben zum Beispiel die Menge an Retouren komplett unterschätzt. Auch das Thema der Brillenwerte war komplexer, als wir es gedacht hatten. Deshalb haben wir in den ersten Jahren fast nur Sonnenbrillen und Kontaktlinsen verkauft. Das ist aber heute anders.

Wollten Sie in der Zeit mal aufgeben?

Ende 2008 hatten wir die schwierigste Phase. Ein Jahr nach der Gründung waren wir fast pleite, und wir fanden keine neuen Investoren. Wir hatten zwar nur fünf Angestellte, aber ein Aufgeben wäre eine Niederlage für mich gewesen. In der Zeit plagten mich Selbstzweifel, ob ich zum Unternehmer taugen würde. Da habe ich manche Nacht schlecht geschlafen. Als wir dann zwei Tage vor Weihnachten beim Notar die neue Finanzierungsrunde mit einem Investor aus Stuttgart und dem High-Tech-Gründerfonds unterschrieben haben, war ich wie erlöst. Zum Glück hatte ich seither nie wieder solch einen Megastress.

Günther Fielmann hat ab 1972 die gesamte Optikerbranche gegen sich aufgebracht, als er begann, Brillen viel günstiger zu verkaufen. Heute sind Sie der Buhmann, weil Mister Spex den Brillenverkauf ins Internet bringt. Haben Sie darüber einmal mit Fielmann gesprochen?

Ich habe Herrn Fielmann leider noch nicht persönlich kennengelernt. Aber der Vergleich zeigt doch auf erschreckende Weise, wie wenig Veränderungsbereitschaft in der Branche steckt. Optiker ziehen mit ihrem Laden noch nicht einmal an einen anderen Standort, wenn sich Einkaufsregionen verändern. Es hat noch keine Marktbereinigung in der Optikerbranche gegeben.

Fielmann hat noch kein eigenes Onlinegeschäft. Das ist doch eine gute Gelegenheit, Mister Spex an ihn zu verkaufen, oder?

Wir waren noch nicht bei Fielmann, um an ihn zu verkaufen. Ich glaube auch, dass der Zug abgefahren ist. Als Start-up-Unternehmen stellt sich für Mister Spex nach acht Jahren schon die Frage, wie es weitergeht. Wir werden in den nächsten 18 bis 36 Monaten entweder an die Börse gehen oder eine Mehrheit an einen strategischen Investor verkaufen. Das würde aber eher ein internationales Unternehmen sein, das dann auch deutlich größer wäre als Fielmann. Entscheidungen dazu sind aber noch nicht gefallen.

In beiden Fällen sind Sie dann ein reicher Mann. Was machen Sie nach Mister Spex?

Ich würde in beiden Fällen sicher noch ein paar Jahre im Unternehmen bleiben und arbeiten. Danach müsste ich schauen. Vielleicht werde ich ein zweites Mal Firmengründer. Wie wohlhabend ich dann bin, werde ich sehen. Mein Anteil am Unternehmen liegt zwischen vier und fünf Prozent. Auf jeden Fall werde ich reich an Erfahrung sein.

Mehr Zeit zum Kartfahren hätten Sie dann bestimmt. Sind Sie auch sonst ein sportlicher Typ?

Ich habe immer gern Sport gemacht, komme jetzt aber wenig dazu. Als Junge habe ich von der ersten bis zur neunten Klasse Handball gespielt und viermal in der Woche trainiert, bis mir das Spiel als Jugendlicher zu hart wurde. Ein Sportlehrer an meiner Schule hat mich zum Basketball gebracht. In der Zeit meiner Ausbildung und später im Studium war ich Trainer einer Jugendmannschaft des Universitätssportvereins Halle, des USV.

Waren Sie besser als andere?

Als Spieler nicht so sehr, ich hatte einfach zu spät mit dem Basketball angefangen. Nach der Schule war ich aber für ein Jahr auf Long Island in den USA und besuchte die Highschool, dort habe ich einiges dazugelernt. Beim USV hatte ich sehr gute Spieler in meiner Mannschaft, wir sind sogar Landesmeister in Sachsen-Anhalt geworden. Björn Sykora, mit dem ich später Mister Spex gegründet habe, war damals einer meiner Spieler. Ich mag den Sport immer noch sehr.

Welche Vorbilder haben Sie?

Das sind Michael Jordan im Basketball und Ayrton Senna im Motorsport. Und von meinem Vater habe ich übernommen, dass mich nichts aus der Ruhe bringen kann.

Dieser Artikel erschien zuerst bei Die Welt.

Bild: Mister Spex