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Fragen und Antworten zu Netzneutralität und Startups

„Innovation wird gebührenpflichtig“, „Geld gegen Geschwindigkeit“, „Zerstörung des Internets“: Über Netzneutralität wird gerade viel geschrieben und heftig diskutiert. Warum? Und was hat der sperrige Begriff eigentlich mit Startups zu tun? Die wichtigsten Fragen und Antworten zur Diskussion.

1. Wieso reden jetzt wieder alle über Netzneutralität?

Anlass sind Pläne der US-amerikanischen Regulierungsbehörde für Telekommunikation FCC. Die war bislang eher netzneutralitätsfreundlich eingestellt, sieht sich nun aber gezwungen, ihre Regeln zu überarbeiten. Denn im Januar urteilte ein Berufungsgericht in Washington, dass die Behörde mit ihren bisherigen Regeln ihre Befugnisse überschritten habe. Damit wurde einer Klage des Internetproviders Verizon stattgegeben. Am Mittwoch gelangte das überarbeitete FCC-Konzept zur Netzneutralität über das Wall Street Journal an die Öffentlichkeit.

2. Halt, Stop! Was ist Netzneutralität überhaupt?

Das Konzept, vor etwas über einem Jahrzehnt von dem Rechtswissenschaftler Tim Wu geprägt, bedeutet ganz grundsätzlich: Im Internet sind alle Datenpakete gleichberechtigt, egal was sie zum Inhalt haben. Eine Email hat keine Vorfahrt vor einem YouTube-Video, und umgekehrt auch nicht. Netzneutralität ist damit auch Ausdruck des demokratischen und egalitären Charakters des Netzes. Sie soll gewährleisten, dass Kunden die Website mit dem Dienst eines frisch gegründeten Startups genauso leicht erreichen wie den Auftritt eines finanzstarken, etablierten Players.

3. Warum sollte irgendjemand etwas gegen das Prinzip haben?

In den vergangenen Jahren sind die Inhalte im Netz immer datenintensiver geworden. Das liegt vor allem an Diensten für Videostreaming, an YouTube und Netflix. Gleichzeitig kommen die Netzbetreiber und Internetprovider mit dem Ausbau der Infrastuktur nicht hinterher (oder, das ist eine rivalisierende Interpretation, sie bemühen sich absichtlich nicht darum) – also gibt es einen Engpass. Netzbetreiber wie Comcast oder Verizon in den USA oder die Telekom in Deutschland würden deshalb gern eine Art First-Class-Internet einführen, für das ihre Kunden extra zahlen sollen. Mit den Einnahmen aus den Gebühren würde dann, so die Argumentation, der Netzausbau finanziert. Wer draufzahlt, kommt dadurch schneller als andere Nutzer an bestimmte Dienste, die vom Provider bevorzugt behandelt werden.

4. Okay, und was hat die FCC nun genau vor?

Der Kernpunkt des Entwurfs: Netzbetreiber und Inhalteanbieter können vereinbaren, solche Überholspuren für ihre Daten einzurichten – solange die Vereinbarungen „kommerziell vernünftig“ seien. Was darunter genau zu verstehen ist, will die Behörde selbst entscheiden. Die FCC betont, kein Anbieter würde unter den neuen Regeln diskriminiert werden – allerdings wenden Kritiker zu Recht ein, dass die Bevorzugung eines Anbieters bei gleichbleibender Datenkapazität automatisch eine Diskriminierung aller anderen Anbieter mit sich bringt.

5. Müssen wir in Europa ähnliches befürchten?

Auf europäischer Ebene stecken Politiker, Lobbyisten und Netzaktivisten noch mitten in der Debatte. Das EU-Parlament hat sich Anfang April zwar für Netzneutralität ausgesprochen und gegenläufigen Plänen der Kommission eine Absage erteilt, der Europäische Rat – also die Staats- und Regierungschefs – muss allerdings noch dazu Stellung nehmen. Denkbar ist, dass die Entscheidung der Amerikaner als Rechtfertigung für ähnliche Regelungen in Europa herhalten könnten. Denkbar ist aber auch, dass die negativen Effekte der FCC-Entscheidung in den USA als abschreckendes Beispiel dienen.

6. Was haben Startups von Netzneutralität?

Die Befürworter der Netzneutralität beziehen sich in ihren Beispielen häufig auf Startups, die unter den neuen FCC-Regeln besonders negative Effekte zu spüren hätten. Warum? Ganz grundsätzlich ist die Idee von Startups, etablierte Branchen aufzubrechen und mit neuartigen Produkten und Geschäftsmodellen etablierte Firmen verdrängen. Das funktioniert im digitalen Bereich so besonders gut, weil jeder theoretisch über die gleichen Startbedingungen verfügt. Das Produkt eines Entrepreneurs in einer Garage im Valley ist genauso schnell zu erreichen wie das Angebot eines Riesenkonzerns mit milliardenschweren Kriegskassen und Rechenzentren auf der ganzen Welt. Soweit zumindest die Theorie.

Konkret vorstellbar wird das Dilemma im Bereich der Streaming-Dienste. Der New Yorker Investor Fred Wilson hat im Januar drei Beispiele aufgeschrieben, in denen Gründer sich spannende Geschäftsmodelle in den Bereichen Foto-Sharing, Audio- und Video-Streaming überlegt haben – VCs aber kein Kapital geben wollen, weil die etablierten Konkurrenten in diesen Branchen bereits über teure Spezial-Deals mit den Netzbetreibern verfügen, mit denen sie ihre Kunden viel schneller bedienen können. „Wir mögen dich und deine Idee sehr, aber wir müssen leider absagen“, sagt der hypothetische VC dem Gründer des fiktiven Video-Diensts SubHumor, der die lustigsten Internetvideos des Tages in 30 Minuten zusammenpacken sollte. Aber Hulu, Netflix und YouTube haben den Video-Markt schon unter sich aufgeteilt – abgesichert durch Deals mit den Netzbetreibern.

7. Aber wird das Prinzip nicht schon längst untergraben?

Das stimmt leider. Denn während sich die Debatte um Netzneutralität vor allem auf die „letzte Meile“ konzentriert, jenen Abschnitt des Internets, der vom letzten Knotenpunkt bis zum Router des Internetnutzers geht, werden weiter hinten, tief in der Infrastuktur des Internets, längst teure Deals zwischen Inhalteanbietern und Netzbetreibern geschlossen. Der US-Provider Comcast brachte die Online-Videothek Netflix vor wenigen Wochen dazu, einen nicht bekannten Betrag für eine neue Netzwerkvereinbarung zwischen Netflix und Comcast zu bezahlen. Die kaum verhaltene Drohung des Netzbetreibers: Wer nicht zahlt, dessen Daten brauchen eben länger.

8. Kann man irgendwas tun?

Klar. Es gibt eine ganze Reihe von Initiativen, die sich für Netzneutralität einsetzen. Echtes Netz gehört dazu, Save the Internet, und: Startups for Net Neutrality. Auch der Bundesverband Deutsche Startups setzt sich dafür ein. Der IT-Branchenverband Bitkom glaubt zwar, „dass der Erhaltung des offenen und neutralen Charakters des Internet hohe Bedeutung beizumessen“ sei. Allerdings spricht sich der Verband klar für eine „marktgetriebene Etablierung von Preis- und Produktdifferenzierungen“ aus – und teilt damit die Position der Telekomfirmen.

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