Neur Markt 2.0 Dating Portal

Nach eineinhalb Jahren immer noch nichts zu sehen

Der Wirtschaftsminister hieß noch Philipp Rösler (FDP), als die Idee eines neuen „Neuen Marktes“ geboren wurde. Im Juni 2013 sollen sich Vertreter des Wirtschaftsministeriums, der Deutschen Börse und des Bundesverbands Deutsche Startups das erste Mal getroffen haben, um die Chancen für eine Wiederbelebung des Börsensegments auszuloten.

Eineinhalb Jahre später, der Wirtschaftsminister heißt längst Sigmar Gabriel (SPD), ist von einem neuen Börsensegment für junge Technologieunternehmen immer noch nichts zu sehen. Doch nun kommt nach Informationen der „Welt“ wieder Bewegung in die Sache.

Am 18. Dezember ist im Wirtschaftsministerium ein Spitzentreffen angesetzt. Geladen sind viele Hochkaräter von Banken, Börse, Anleger- und Unternehmensseite, etwa Deutsche-Bank-Chef Jürgen Fitschen oder die Unternehmerin Susanne Klatten. Auf dem Treffen soll der „Markt 2.0“, für den sich auch Gabriel starkmacht, endlich Formen annehmen.

Startups machen Druck auf die Börse

Schon im Vorfeld machen Jungunternehmer Druck. Neun Startup-Unternehmer haben einen Brief an Reto Francioni, den Chef der Deutschen Börse, geschrieben. In dem Schreiben, das der „Welt“ vorliegt, verweisen die Unterzeichner um Florian Nöll, Chef des Bundesverbands Deutsche Startups, auf einen „signifikanten Handlungsbedarf“.

Die erfolgreichen Börsengänge von Zalando und Rocket Internet im Oktober zeigten zwar, dass Emissionen von schnell wachsenden Technologieunternehmen möglich seien. Doch notwendig sei eine Börse, die auch Unternehmen listet, die nur ein Zehntel der Größe von Zalando erreichen. „Deutschland braucht eine deutsche Nasdaq“, so der Appell an den Börsenchef.

Am Ende des Briefs drohen die Jungunternehmer mit einem Listing in New York oder einem anderen europäischen Börsenplatz. Der Schlusssatz lautet: „Wir würden es jedoch sehr begrüßen, wenn Sie – sehr geehrter Herr Dr. Francioni – uns mit einem Technologiesegment eine wettbewerbsfähige Alternative in Deutschland anbieten.“ Bei der Deutschen Börse will man den Brief nicht kommentieren.

Die Situation ist verfahren: Jungunternehmer fordern eine neue Börse. Für Verbandschef Nöll ist sie „das fehlende Rohrstück im Finanzierungskreislauf“.

Deutsche Börse spricht von einem „Irrweg“

Wirtschaftsminister Gabriel fordert eine neue Börse. „Die Einführung eines neuen, für Startups attraktiveren Börsensegmentes bietet die Chance, dass sich deutsche Unternehmen auch hierzulande entwickeln können“, teilt sein Haus auf Anfrage mit.

Nur bei der Deutschen Börse selbst will man von einer neuen Börse nichts wissen. „Das ist ein Irrweg“, sagte Cord Gebhardt, Geschäftsführer der Frankfurter Wertpapierbörse, Anfang des Monats. Die Leute, die ein weiteres Segment forderten, würden zu kurz springen.

Ganz verschließen will man sich bei dem DAX-Unternehmen aber auch nicht. „Wenn der Bundeswirtschaftsminister einen in die Pflicht nimmt, kann man sich nicht einfach wegducken“, sagt einer, der mit den Vorgängen vertraut ist.

Allerdings haben die Vorstellungen der Deutschen Börse mit einer richtigen Börse, auf der täglich Aktien gehandelt und Kurse gestellt werden, nichts gemein. In der Zentrale in Eschborn kann man sich dem Vernehmen nach höchstens eine vorbörsliche Plattform vorstellen, auf der Profi-Investoren wie Venture-Capital-Gesellschaften und kapitalsuchende Jungunternehmen zusammenfinden.

„Das kann sogar nur eine Art Datenbank sein“, heißt es. Dort könnten sich beide Seiten beschnuppern, die gegenseitigen Erwartungen abgleichen, bevor in einem nächsten Schritt vielleicht tatsächlich eine Börsennotiz angestrebt wird.

Schlechte Erfahrungen mit der Dotcom-Blase

Was eher nach einem Dating-Portal für Startup-Unternehmen als nach einem neuen Neuen Markt klingt, kann die Kapitalprobleme vieler Jungunternehmer durchaus lösen. Sinn und Zweck eines solchen Portals wäre, dass Unternehmen Geldgeber finden, doch in einer frühen Unternehmensphase müssen dafür keine Aktien platziert werden. Investoren können sich auch anders beteiligen.

Die Zurückhaltung der Deutschen Börse ist verständlich. Die Geschichte des alten Neuen Marktes war schließlich alles andere als eine glorreiche.

Viele Kurse von IT-Unternehmen kletterten erst in schwindelerregende Höhen und stürzten dann mit dem Platzen der „Dotcom-Blase“ ins Bodenlose. Auch viele Kleinanleger verloren ihre Ersparnisse. Der Reputationsschaden war gewaltig. 2003 stellte die Deutsche Börse den Neuen Markt ein.

Doch die Angst vor einer Wiederholung dieses Desasters allein ist es nicht. Man sieht auch schlicht keinen Bedarf. Zalando und Rocket Internet hätten mit ihren Börsengängen unlängst gezeigt, dass Internetunternehmen erfolgreich ihre Aktien an den bestehenden Segmenten platzieren können, heißt es.

Gerade im Entry-Standard, den Rocket Internet für sich wählte, sind die Hürden bereits niedrig. Weder eine strenge Ad-hoc-Pflicht noch die mit viel Aufwand verbundenen Quartalsberichte sind dort verlangt.

Startups fehlt das Risikokapital

Im Wirtschaftsministerium hält man den Standard dennoch für nicht ausreichend. Er sei „offensichtlich nicht attraktiv genug für junge Unternehmen“, heißt es.

Allerdings sind neben der Deutschen Börse auch Investoren skeptisch. „Wir brauchen erst die Unternehmen, dann das Segment“, sagt Christian Nagel, Partner bei Earlybird Venture Capital, der ebenfalls zum Treffen im Bundeswirtschaftsministerium eingeladen ist.

Es sei zwar richtig, dass bislang in Deutschland zu wenig Geld für junge Unternehmen bereitstehe. Doch dies liege nicht daran, dass der Zugang zur Börse versperrt ist.

„Wenn man die Hürden noch weiter senkt, werden die Unternehmen nicht besser“, so Nagel. Aus seiner Sicht müsse vielmehr an den Rahmenbedingungen gearbeitet werden. Steuererleichterungen, schnellere Arbeitsgenehmigungen für ausländische IT-Kräfte, das sind die Stichworte, die Nagel nennt.

Coding statt Altgriechisch lernen

Auch bei der Deutschen Börse ist von einer „Paketlösung“ die Rede. Dem Vernehmen nach will man auch dort zur Förderung junger Technologieunternehmen unter anderem bei steuerlichen Punkten ansetzen.

Venture-Capitalist Nagel sieht in der Förderung junger Wachstumsunternehmen ohnehin ein langfristiges Projekt. Grundsätzlich müsse die Politik das Thema Innovationsstandort Deutschland sehr viel höher auf ihrer Agenda rücken. Dazu gehöre es, die großen deutschen Konzerne zu Investitionen in Startups zu ermutigen. Genauso könne man bei der Ausbildung ansetzen.

„Warum lernen junge Menschen hierzulande immer noch Latein und Altgriechisch, warum nicht Coding?“, fragt Nagel. Mit Coding meint er das Programmieren von Internetseiten und Apps.

Wirtschaftsminister Gabriel hat selbst solche Ideen unlängst auch ins Spiel gebracht. Doch die Umsetzung solcher Vorschläge braucht Zeit – Gabriel aber kurzfristig Erfolge.

Dieser Beitrag erschien zuerst in der Welt.
Bild: © panthermedia.net / Bernd Stuhlmann