Woman checking self tracking app after jogging.
Woman checking self tracking app after jogging. Jogging-App (Symbolbild)

Die Joggingapp Nike+ des US-Sportartikelherstellers ist eine der erfolgreichsten Fitness-Apps weltweit. Allein in Googles Play-Store für Android-Smartphones wurde das Programm mehr als zehn Millionen Mal heruntergeladen. In Apples Appstore konnte sich das Programm jahrelang in den Top Ten der Fitness-Apps halten.

Doch wer aktuell einen Blick auf die Appstore-Seiten vom Nike+ Run Club wirft, findet ein Desaster für die Entwickler der App vor. Dutzende Nutzer bewerten die neueste Version der Software mit nur einem oder zwei Sternen und beklagen sich bitterlich über Nike. Auf der Facebook-Seite zum Run Club tobt ein Shitstorm, Dutzende Nutzer beschweren sich über das neueste Update der App.

„Ich fühle mich komplett verraten von einer App, die ich über ein Jahr lang mit am meisten genutzt habe“, „das neue Update schockiert“, „Ich will die alte App zurück“, lauten nur einige Zitate aus den Facebook-Kommentaren und App-Bewertungen. Nikes Social-Media-Manager versuchen sich auf Facebook an Beschwichtigungs-Rhetorik und werden digital niedergeschrien. Was ist bei Nike schiefgelaufen?

Die Macher der App hatten die Idee, das Programm komplett umzubauen und dabei stärker auf Social Media und Wettbewerb unter Freunden zu setzen. Die Grundfunktionalitäten der App – Jogging-Trainingsrunden per GPS aufzuzeichnen und Trainingsfortschritte zu analysieren – bleiben dabei zwar erhalten.

Viele Nutzer nun ohne Trainingsplan für ihren Marathon

Doch die Entwickler haben kurzerhand alle Funktionen über Bord geworfen, mit denen die Nutzer zuvor zum Laufen motiviert werden sollten. Die Nike-Kunden konnten in der App Trainingsziele erlaufen und wurden dafür mit virtuellen Pokalen belohnt. Sie konnten zudem über Wochen oder Monate individuelle Trainingspläne etwa für die Marathon-Vorbereitung abarbeiten. All diese Funktionen sind in der neuesten Version der App nicht mehr vorhanden.

Viele Nutzer stehen nun ohne Trainingsplan für ihren Marathon da – andere beschweren sich darüber, dass virtuelle Trophäen, die sie sich über Jahre mühevoll erlaufen haben, über Nacht per Auto-Update verschwunden sind.

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Nikes Social-Media-Manager bieten aktuell als Notnagel tatsächlich schriftliche PDF-Versionen der einst interaktiven automatischen Trainingspläne zum Download an und werden dafür auf Facebook ausgelacht. Zwar hat Nike in einem weiteren Update der iOS-App einige Funktionen wieder hergestellt. Doch die Daten der Nutzer wie etwa digitale Notizen zum Trainingsplan oder Rekordzeiten sind verloren.

Es ist schwierig, ein beliebtes Programm zu renovieren

„Dass Trophäen und Auszeichnungen, die ich in über einem Jahr hart erarbeitet habe, komplett verloren sind, ist ein Schlag ins Gesicht“, kommentiert Facebook-Nutzer Billini Benoit auf Nikes Facebook-Seite, „danke, ich werde ab jetzt die Konkurrenz-App ‚Runkeeper‘ nutzen und meine Freunde dahin mitnehmen.“ Der Kommentar erntet aktuell viel Zustimmung.

Das Nike-Run-Club-Update zeigt, wie schwierig es für App-Entwickler ist, ein beliebtes Programm zu renovieren. Sobald Nutzer etwa in der Applikation eigene Daten hinterlegen oder virtuelle Gegenstände wie Trophäen sammeln können, investieren sie viel Zeit in diese Individualisierung. Streichen die App-Entwickler danach die Funktionen wieder, gehen die Nutzer-Errungenschaften verloren, die Nutzer fühlen sich um die investierte Lebenszeit betrogen.

Für klassische Konsumgüter-Hersteller ist die Nike-Run-Club-Lektion schwierig. Sind sie es doch gewohnt, neue Produkte ohne große Rücksicht auf Altkunden zu entwerfen. Dass bei einer App mit einer eigenen, mühsam aufgebauten Online-Community andere Regeln gelten könnten, wird an den Bewertungen des Updates deutlich. Wie schnell eine solche Community an die Konkurrenz verloren gehen kann, ebenfalls.

Zwar zeigt der Blick in die Bewertungsseiten der App-Stores von Google und Apple auch, dass bei jedem Update irgendeiner App ein kleiner Prozentsatz aller Nutzer prompt den Entwicklern den Ruin attestiert. Doch wenn Entwickler komplett an den lieb gewonnenen Gewohnheiten oder hart erarbeiteten Errungenschaften der Nutzer vorbeientwickeln, dann können komplette Nutzergemeinden innerhalb von Tagen oder Wochen zur Konkurrenz wechseln oder die App-Nutzung komplett einstellen.

Foursquare erholte sich bis heute nicht vom App-Update

Pokémon-Entwickler Niantic etwa entfernte vor einigen Wochen per App-Update eine Suchfunktion für die virtuellen Pokémon-Minimonster aus seinem Spiel. Zudem sperrte man den bei vielen Spielern beliebten Zugang für externe Such-Programme. Prompt hagelte es Kritik von der Spielergemeinde, zudem sank die Zahl der täglich aktiven Spieler bereits wieder. Mit einem einzigen Update könnte Niantic also den Hype um sein Spiel bereits gebrochen haben.

Das wohl bekannteste Beispiel für den kompletten Untergang einer über Jahre gewachsenen Nutzergemeinschaft ist das Lokale-Empfehlungen-Netzwerk Foursquare. 2014 entfernte das Start-up die bei vielen Nutzern extrem beliebten Trophäen und Social-Network-Funktionen aus seinem Programm, und gliederte sie in einer Zweit-App namens Swarm aus.

Doch Swarm erreichte nie denselben Kultstatus wie das ursprüngliche Foursquare. Der Foursquare-App fehlte dagegen plötzlich jede Differenzierungsmöglichkeit zu Konkurrenz-Apps wie Yelp. Prompt brachen die Nutzerzahlen ein, Foursquare hat sich bis heute nicht von dem Bedeutungsverlust erholt.

Dieser Text erschien zuerst in der Welt.

Bild: Gettyimages/Guido Mieth